Entscheid zu Diesel-Fahrverbot: So steht es um Nürnberg

21.2.2018, 13:29 Uhr
Das Bundesverwaltungsgericht könnte am Donnerstag den Weg für Diesel-Fahrverbote frei machen. Im Fall der Fälle gäbe es in Nürnberg Möglichkeiten, Alternativen zu schaffen und die öffentlichen Verkehrsmittel zu stärken.

© dpa Das Bundesverwaltungsgericht könnte am Donnerstag den Weg für Diesel-Fahrverbote frei machen. Im Fall der Fälle gäbe es in Nürnberg Möglichkeiten, Alternativen zu schaffen und die öffentlichen Verkehrsmittel zu stärken.

Wie schädlich sind Stickoxide?

Stickoxide (NOx) sind Gase, die in höherer Konzentration giftig sind. Sie können die Augen und die Atemwege reizen, Lungenprobleme und Herz-Kreislauf-Erkrankungen auslösen. In rund 70 deutschen Städten werden die Grenzwerte von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter nicht eingehalten, auch eine der Nürnberger Messstellen meldet regelmäßig leichte Überschreitungen: In der Von-der-Tann-Straße wurden zuletzt Werte von 42 Mikrogramm erreicht. Nach Berechnungen könnten ähnliche Werte in der Maximilianstraße, Ulmenstraße und Dürrenhofstraße vorliegen.

Laut Umweltbundesamt liegt der Anteil des Straßenverkehrs an der Stickoxid-Belastung bei 60 Prozent, daran wiederum haben Diesel-Pkw mit 72,5 Prozent den Hauptanteil. Insbesondere durch Rußpartikel erhöhen Dieselfahrzeuge zudem die Feinstaubbelastung. Diese verschiedenen Schadstoffe können sich in ihrer Wirkung verstärken. Stickoxid kann zum Beispiel die Schleimhaut der Bronchien schädigen – mit der Folge, dass sich diese Schleimhaut weniger gegen Feinstäube wehren kann.

Was entscheidet das Gericht?

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig könnte eine wegweisende Entscheidung zu Diesel-Fahrverboten treffen. Das Gericht wird nicht selbst Fahrverbote anordnen. Doch es könnte den Weg dafür freimachen – verbunden mit einer Signalwirkung an Politik, Städte und Autohersteller. Entschieden wird über die Grundsatzfrage, ob Fahrverbote ein rechtlich zulässiges Mittel sind, um die Belastung in stark betroffenen Städten zu senken. Diese könnten dann Fahrverbote in ihren Luftreinhalteplan aufnehmen. Dazu könnten sie sich auch durch Klagen des Vereins "Deutsche Umwelthilfe" gezwungen sehen, der gegen viele Städte gerichtlich vorgeht.

Es wäre aber in jeder Stadt eine Einzelfallentscheidung, die auf bestimmte Zeiten und Strecken beschränkt sein kann. Die konkreten Fälle, die in Leipzig verhandelt werden, sind die Luftreinhaltepläne von Düsseldorf und Stuttgart. Das Stuttgarter Verwaltungsgericht hatte Fahrverbote bereits als "effektivste" Maßnahme bewertet.

Wie sinnvoll sind Fahrverbote?

Fahrverbote können die Stickoxid-Belastung schnell reduzieren. Die entscheidende Frage ist, ob die Verbote eingehalten werden. Die Polizei signalisiert, dass keine großen Kontrollen, sondern bestenfalls Stichproben denkbar sind: "Wir müssen uns angesichts der Personaldecke auf Kernaufgaben beschränken", betont Arnold Plickert, Vizechef der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Richard Mergner, verkehrspolitischer Sprecher des BUND Naturschutz in Bayern, sieht eine machbare Aufgabe: "Die Polizei schafft es, auf angelegte Gurte und Handytelefonate am Steuer zu achten. Sie wird es auch schaffen, auf eine blaue Plakette zu achten." Für Nürnbergs OB Ulrich Maly ist die Einführung einer blauen Plakette die "ultima ratio" – sie würde aber immerhin die aktuelle Rechtsunsicherheit beseitigen, wovon die Fahrer und Hersteller moderner, schadstoffarmer Diesel-Pkw profitieren könnten.

Das Bußgeld für die Missachtung eines Fahrverbots könnte bei rund hundert Euro liegen: "Man kann das Bußgeld in Umweltzonen als Orientierungswert nehmen", sagt Wolfgang Liebert von der Abteilung Verkehr und Umwelt beim ADAC Nordbayern. "Das liegt bei 80 Euro, hinzu kommen Gebühren von knapp 30 Euro." Falls Fahrverbote kommen, ist es auch den Umweltschützern wichtig, Härtefälle zu vermeiden. "Natürlich muss es Ausnahmen und Übergangsfristen etwa für Handwerker oder Pflegedienste geben", betont Mergner.

Welche alternativen Maßnahmen sind in der Stadt möglich?

"Intelligente Verkehrsleitsysteme und grüne Wellen können den Verkehrsfluss verbessern", sagt Liebert, der dafür auch in Nürnberg noch Spielräume sieht: "Da ist noch nicht alles ausgereizt." Mergner sieht das kritisch: "Ein bisschen lässt sich damit schon regulieren, auch mit Tempolimits. Aber an stark belasteten Strecken wie der Von-der-Tann-Straße wird das nicht durchgreifend etwas bringen." Auch bauliche Maßnahmen können ihn nicht überzeugen: "Es gibt mancherorts Experimente mit Mooswänden. Aber das ist nur ein Kurieren von Symptomen, es geht nicht an die Wurzel des Problems."

Wie können öffentliche Verkehrsmittel gestärkt werden?

Wegen der hohen Schadstoffwerte in vielen Städten übt die EU-Kommission Druck auf Deutschland aus. Vor diesem Hintergrund kam es zum überraschenden Vorschlag der Bundesregierung, den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) gratis anzubieten. Sofort kritisierten Experten, dass dies finanzielle Probleme und eine Überlastung der öffentlichen Verkehrsmittel zur Folge hätte. Ein weiteres Gegenargument liefert die estnische Hauptstadt Tallinn, die seit fünf Jahren auf Fahrscheine verzichtet. Tatsächlich stieg dort die Zahl der Bus- und Bahnfahrer. Der Zuwachs geht aber fast komplett auf Fußgänger zurück, die nun bequemer vorankommen – nur wenige Autofahrer steigen um.

"Der ÖPNV muss vor allem weiter ausgebaut werden", sagt ADAC-Sprecher Liebert. "Die Hürden für das Umsteigen sind noch zu hoch. Die Tarifsysteme müssen vereinfacht werden, und bei den Fahrzeiten muss der Takt erhöht werden. Außerdem sollte es an den Rändern Nürnbergs noch mehr Park-and-Ride-Plätze geben, damit Autofahrer für das Stadtgebiet leichter das Verkehrsmittel wechseln können."

Auch Mergner spricht sich für einfache, merkbare Tarife aus. "In Wien kann man inzwischen mit einem Euro pro Tag das gesamte Netz nutzen, die Zahl der Fahrgäste hat sich verdoppelt." In Bayern hingegen liegt bei den öffentlichen Verkehrsmitteln noch vieles im Argen: "Rund um Nürnberg werden die Autobahnen ausgebaut, und die Bahn fährt hinterher. Wenn man mit dem Zug von München nach Nürnberg fahren will, gibt es im Fahrplan abends gegen neun Uhr eine Lücke von eineinhalb Stunden", staunt Mergner. "Nürnberg tut wenig dafür, dass weniger Autos und Lkw in die Stadt kommen. Beim ÖPNV und den Radwegen muss mehr gemacht werden."

Ein Hoffnungsschimmer: Um Fahrverbote zu vermeiden, hat die Bundesregierung ein Milliardenprogramm auf den Weg gebracht, an dem sich auch die Automobilindustrie beteiligt. Damit sollen unter anderem die Kommunen dabei unterstützt werden, den öffentlichen Nahverkehr zu verbessern und Busse umzurüsten. Das Geld wird bei weitem nicht für einschneidende Veränderungen reichen, aber doch für einige Verbesserungen.

Welche Nachrüstungen sind an Dieselfahrzeugen geplant?

Der ADAC empfiehlt beim Neukauf, auf die Norm Euro 6d zu setzen. Für ältere Fahrzeuge fordert er "verbraucherfreundliche Nachrüst-Möglichkeiten", wie Liebert betont. Die Autohersteller wollen in Absprache mit der Bundesregierung die Emissionen von Millionen Fahrzeugen durch Software-Updates senken. Doch Umweltexperten erwarten mehr von den Konzernen, so der BUND-Landesvorsitzende Mergner: "Nicht die Steuerzahler, sondern die Automobilkonzerne müssen in die Verantwortung genommen werden. Die haben Milliardengewinne und müssen jetzt für wirksame Nachrüstungen zahlen. Nicht bloß neue Software, sondern neue SDR-Katalysatoren."

Zu Kosten von rund 1500 Euro pro Katalysator lassen sich Autos ab der Norm Euro 4 nachrüsten und Werte der Norm Euro 6 oder besser erreichen. Mergner fordert auch von Ulrich Maly als Nürnberger OB und Vizepräsident des Deutschen Städtetags, hier mehr Druck auf die Automobilindustrie auszuüben.

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