Essen in Deutschland: Brötchen am Computer

23.2.2013, 00:00 Uhr
Essen in Deutschland: Brötchen am Computer

© Stefan Hippel

Die Zeiten ändern sich. Das gilt für die Arbeit und für das Essen, sagt Claus Fesel. Zwei Dinge, die auf den ersten Blick nicht sehr viel miteinander zu tun haben, für den Leiter der Nürnberger Slow-Food-Bewegung inzwischen aber doch eng miteinander verknüpft sind. „Die Arbeitszeitmodelle sind heute ganz anders als früher“, erklärt Fesel. Immer mehr Menschen müssen im Beruf flexibel sein, arbeiten am Wochenende, in der Nacht oder im Schichtbetrieb. Auf der Suche nach Möglichkeiten, den Kampf gegen die Uhr im Alltag zu kompensieren, rücke für viele dann die eigene Küche in den Blickpunkt. Wo aber Mahlzeiten nur noch selten gemeinsam eingenommen würden, die Zeit, die Lust oder das Wissen für das Kochen fehlen, entsteht eine Lücke. Und die werde zunehmend mit Produkten aus den Tiefkühl-, Tüten- und Dosenregalen der Supermärkte und Discounter gefüllt. Selbst in Bio-Läden wächst die Zahl der Fertigprodukte. „Das überbordende Angebot induziert Nachfrage“, ist sich Fesel sicher.

Köche, die nicht kochen

Mit dieser Einschätzung stehen er und die 1986 in Italien aus der Taufe gehobene Organisation Slow Food, die sich als Gegenbewegung zur globalisierten Nahrungsmittelindustrie versteht, nicht alleine da. Eine Vielzahl von Untersuchungen hat in der Vergangenheit die Ursachen für den Siegeszug der Fertiggerichte aufgezeigt, der sich längst nicht mehr auf Deutschland beschränkt, sondern auch in „Genießernationen“ wie Italien oder Frankreich zu beobachten ist. Und hierzulande belegt nun eine Umfrage des Forsa-Instituts im Auftrag der Techniker Krankenkasse (TK) erneut, wie schwer es vielen Menschen fällt, sich ausgewogen, gesund oder auch genussvoll zu ernähren.
1000 Männer und Frauen über 18 Jahre wurden dafür im Januar telefonisch zu ihrem Essverhalten befragt. Die Ergebnisse finden sich auf 38 Seiten wieder — und zeichnen das Bild von selbst ernannten Kochkünstlern, die nicht kochen wollen, von Männern, für die noch kein Gemüse erfunden wurde, von jungen Erwachsenen, die ihr Smartphone wirklich nie aus der Hand geben und einer Nation, für die Essen immer öfter so etwas ist wie das Betanken des eigenen Autos. Rund die Hälfte aller Befragten gab an, dass das Essen für sie keinen hohen Stellenwert besitze (45 Prozent der Frauen, 55 Prozent der Männer). Nur in der Hälfte aller Haushalte gibt es täglich ein selbst zubereitetes Mahl. In jedem dritten wird nur noch drei- bis fünfmal in der Woche gekocht.
Fleisch und Fertiggerichte sind gleichzeitig für viele unverzichtbar. Im Bevölkerungsschnitt greifen vier von zehn Menschen mindestens ein- bis zweimal zu Tütensuppe oder Fertigpizza. Je geringer Bildungsstand und Einkommen sind, desto häufiger kommen laut der Studie Fleisch und Wurst auf den Tisch: In Haushalten mit einem Monatseinkommen von maximal 1500 Euro sogar täglich.

Der Griff zum Fertigprodukt oder Fast Food ist hingegen unabhängig von der formalen Bildung, nicht aber vom Alter. Vor allem junge Menschen verzichten darauf, sich regelmäßig selber etwas zu kochen. Bei den unter 25-Jährigen ist das Essen auch am häufigsten reine Nebensache. Vier von zehn schauen gleichzeitig fern, beschäftigen sich mit ihrem Computer oder Smartphone. Insgesamt gab ein Drittel aller Befragten an, sich nicht alleine auf das Essen zu konzentrieren. Jeder Dritte unter 25 ernährt sich zudem mindestens dreimal die Woche „unterwegs“. Ganz oben auf der Wunschliste stehen dann Burger, Pommes und Currywurst.

Besonders schwer scheint auch die Vereinbarkeit von Essen und Berufstätigkeit zu sein. Nur jeder Zweite kann in seinen Pausen in Ruhe essen. Vor allem trifft das Frauen, jüngere Berufstätige und Führungskräfte. 39 Prozent beklagen zudem, dass eine ausgewogene Ernährung angesichts des Angebots in der Kantine schlicht unmöglich sei — hierzulande werden täglich rund sechseinhalb Millionen Menschen in insgesamt 10000 Kantinen versorgt. Der Ausweg für viele: Während der Arbeit wenig, dafür aber abends zu Hause reichlich essen.

Zu viel Stress?

Als größte Hürde auf dem Weg zu einer gesunden Ernährung daheim oder während der Arbeit nannte die Hälfte der Befragten die tickende Uhr, von den unter 25-Jährigen sogar zwei Drittel. Dabei schätzen fast die Hälfte der Männer und rund zwei Drittel der Frauen sich selber grundsätzlich als gute oder sogar sehr gute Köche ein und über 90 Prozent der Befragten gaben an, eine ausgesprochene Vorliebe für Selbstgekochtes zu haben.
Der TK-Vorstandsvorsitzende Jens Baas forderte bei der Vorstellung der Studie, dass das Essen im Alltag wieder mehr Raum bekommen müsste. Man wolle keine Spaßbremse sein, aber „wenn wir eine Gesellschaft wollen, die länger und gesünder lebt, müssen wir uns stärker darum kümmern, was wir essen und wie wir essen“. Das Bewusstsein dafür lasse sich vermitteln, aber nicht verordnen.

So sieht es auch Claus Fesel. Mit dem erhobenen Zeigefinger lässt sich seiner Ansicht nach nichts ändern, wohl aber mit der Sensibilisierung für das Thema Ernährung und Kochen von klein auf. Ihm schwebt eine „Geschmackserziehung“ in Kindergärten und Schulen vor. „Wenn ich im Supermarkt vor dem Gemüseregal stehe, muss ich ja auch wissen, was ich damit anfangen kann.“

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