Ex-Kultusministerin Hohlmeier über G8-Widerstand

23.2.2017, 08:46 Uhr
Ex-Kultusministerin Hohlmeier über G8-Widerstand

© Foto: Harald Sippel

Die Hängepartie ist vorbei, Bayern wird wohl zum neunjährigen Gymnasium zurückkehren. Monika Hohlmeier veruscht das Scheitern des G 8 in Bayern zu erklären.

Frau Hohlmeier, Sie haben vor 13 Jahren als damalige Kultusministerin das G 8 als künftiges "Erfolgsmodell" angepriesen. Aus echter Überzeugung oder aus Kabinettsdisziplin?

Monika Hohlmeier: Die Modellversuche mit dem G 8 gingen ja zunächst mal sehr gut los. Die Rückmeldungen der Schulen waren positiv und jedes Jahr kamen mehr Schüler hinzu. In den Versuchen sollte geklärt werden, was man für ein G 8 braucht, welche Unterschiede zum G 9 bestehen und ob es für alle Schüler geeignet ist. So manch einer glaubte, dass das G 8 nur ein verkürztes G 9 ist und das ist ein Irrtum. Das G 8 erfordert ein ganz anderes Konzept als das G 9. Ich bin überzeugt, dass beides funktionieren kann, das G 8 oder G 9, meine Bedenken beruhten auf der überhasteten Einführung und dem daraus entstehenden erheblichen Widerstand.

Worin liegen denn die größten Unterschiede?

Hohlmeier: Das G 9 ist eine Schule, in der der Kernunterricht in Unter- und Mittelstufe weitgehend am Vormittag stattfinden kann. Das G 8 erfordert erhöhte Wochenstundenzahlen mit teilweise ganztägigem Konzept, die Schüler sind jünger und die fachliche Orientierung muss früher erfolgen. Das G 8 braucht ein Konzept der stärkeren Rhythmisierung und der Einbindung von Vereinen, Musikschulen und vielfältiger ehrenamtlicher Aktivitäten in die Schule.

Und für eine solches Konzept war keine Zeit, weil das G 8 von heute auf morgen realisiert werden musste. Von wem stammte denn die Idee dazu?

Hohlmeier: Die grundlegende Idee, auch das G 8 zu versuchen, wurde schon in der Zeit von Kultusminister Hans Zehetmair geboren und von der CSU-Landtagsfraktion, von vielen Kabinettskollegen und mir unterstützt. Da bestand große Einigkeit, Versuche einzurichten und diese dann Zug um Zug auszuweiten. Das eigentliche Problem entstand, als wir das G 9 neu mit neuer Stundentafel und neuen Unterrichtsinhalten nach breiter Zusammenarbeit mit Lehrern, Eltern und Schülern gestartet hatten, entschied der Ministerpräsident nach der Landtagswahl, dass er aufgrund der in allen anderen 15 Bundesländern angekündigten Umstellung eine sofortige Einführung des G 8 als notwendig erachtete.

Warum diese plötzliche Eile?

Hohlmeier: Edmund Stoiber war der Überzeugung, dass die bayerischen Schüler im Übergang zur Universität benachteiligt würden, wenn sie als letzter Doppeljahrgang auf die dann überfüllten Universitäten eintreten würden. Zudem waren Einschränkungen in den sozialen Sicherungssystemen beschlossen worden, die ihn zur Sorge veranlassten, Studenten würden sich ab dem 26. Lebensjahr eigenständig absichern müssen. All dies trug zu seiner Entscheidung bei, dass Bayern trotz anderslautender vorheriger Bekundungen sofort auf G 8 umstellen müsste.

Warum haben Sie als zuständige Ministerin die Reform gegen Ihre Überzeugung exekutiert?

Hohlmeier: Im Kabinett waren wir ein Team. Und wenn dieses Team demokratisch entscheidet, was es für den richtigen Weg hält, dann versucht man, das Beste daraus zu machen. Von der Ausstattung der Stundentafeln und den Gestaltungsmöglichkeiten her haben wir sicher das beste G 8, das es in Deutschland gibt.

Warum funktioniert es dann nicht?

Hohlmeier: Durch die extrem beschleunigte Einführung fühlten sich Lehrer, Eltern und Schüler überfahren und reagierten sehr negativ. Alle Probleme, die unabhängig vom G 8 existierten, wurden plötzlich dem G 8 in die Schuhe geschoben. Und das Gymnasium – das mag jetzt hart klingen – ist eine privilegierte Schulart. Im Gegensatz zur Hauptschule oder zu beruflichen Schulen hat das Gymnasium mit weniger sozialen Herausforderungen – etwa mit den Folgen der Migration – zu kämpfen. Das heißt, das Erschrecken in dieser von Kontinuität geprägten Schulart Gymnasium war bei Eltern, Lehrern und Schülern äußerst groß. Und eine Änderung gegen den Willen der Betroffenen ist extrem schwierig.

Warum gab es in anderen Bundesländern nicht ähnliche Probleme?

Hohlmeier: Weil wir Bayern das G 8 sehr ernst genommen haben. Wir wollten keine Standards absenken. Wir wollten neue Unterrichtsmethoden wie die Intensivierungsstunden mit einführen, die nicht von allen akzeptiert wurden. Ich glaube, dass das G 8 bei uns aber aus verschiedenen Gründen scheitert. Einer ist, dass gerade in ländlichen Gebieten viele Eltern ihre Kinder nachmittags nicht so lange in der Schule sehen wollen, sondern lieber in Vereinen und sonstigen örtlichen Aktivitäten. Viele Philologen lehnen bis heute das G 8 aus Prinzip ab. Zudem wurde das grundlegende Problem, dass nicht alle Kinder gymnasialgeeignet sind, zum G 8-Problem deklariert. Und die Übereiltheit der Einführung hat all diese Widerstände verstärkt.

War es nicht auch ein Fehler, dass Sie als Ministerin den Kritikern des G 8 – so weit es Schulleiter waren – sehr massiv gegenübertraten und ihnen einen Maulkorb verpassten?

Hohlmeier: Ich hatte in der Tat einmal eine Auseinandersetzung mit Direktoren, die ich daran erinnert habe, dass sie einen Diensteid abgelegt haben. Einer rückte damals die Staatsregierung indirekt in die Nähe der Nationalsozialisten und meinte, man habe schon 1933 Widerstand leisten müssen und müsse das jetzt wieder tun. Derartig aggressive und unpassende Aussagen waren nicht akzeptabel. Eine kritische, aber konstruktive Diskussion war von meiner Seite aus sogar sehr gewünscht, um konstruktiv an der Lösung von Problemen zu arbeiten.

Machte die Wirtschaft Druck Richtung G 8 mit dem Argument, die deutschen Schul- und Hochschulabgänger seien zu alt und im internationalen Wettbewerb nicht konkurrenzfähig?

Hohlmeier: Dieses Argument gab es – auch aus politischen und akademischen Reihen. Diese wiesen darauf hin, dass in Deutschland so mancher Uni-Absolvent fast 30 Jahre alt sei, während etwa in Großbritannien oder Frankreich junge Leute schon mit 22, 23 Jahren die Unis verließen.

Teilten Sie diese Sicht?

Hohlmeier: Ich stand dem Argument kritisch gegenüber, denn es betraf nicht nur die Diskussion um das G 8, sondern die Wehrpflicht und die überlangen Studienzeiten. Manche verbanden die G 8-Diskussion mit der früheren Einschulung, gegen die ich mich immer gewehrt habe. Ich halte nichts davon, Kinder schon mit fünf Jahren in die Grundschule zu verpflichten, sie schon mit neun auf die weiterführende Schule und mit 17 auf die Uni zu schicken.

Genau diesen Zustand haben wir aber inzwischen. Auch, weil an allen Ecken reformiert wird, ohne dass die Politik ihr Handeln koordiniert.

Hohlmeier: In Bayern haben wir ein gutes und qualitativ hochwertiges Bildungswesen mit vielen Möglichkeiten. Bildungspolitik eignet sich nicht als ständiges Experimentierfeld. Bildungspolitik hat aber auch ein Problem: Jeder war schon mal auf der Schule. Jeder glaubt, dass er weiß, wie man Schule besser machen kann. Und jeder ist der fixen Überzeugung, dass er recht hat.

Sie sprechen von bayerischen Ministerpräsidenten?

Hohlmeier: Nein, ich spreche da letztendlich von allen. Lehrer und alle, die mit Bildung zu tun haben, haben es oft nicht leicht. Sie sind mit unterschiedlichsten Anforderungen an das Bildungswesen konfrontiert. Und gerade deshalb müssen die politisch Verantwortlichen sehr sorgsam mit bildungspolitischen Entscheidungen umgehen.

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