Fall Böhmermann: Angela Merkels doppelter Rittberger

15.4.2016, 20:47 Uhr
Der Fall um das Gedicht "Schmähkritik" von Jan Böhmermann geht weiter.

© Ben Knabe/ZDF (dpa) Der Fall um das Gedicht "Schmähkritik" von Jan Böhmermann geht weiter.

Die Bundeskanzlerin brauchte nicht mal zehn Minuten für ihren Auftritt, dann war sie schon wieder verschwunden. Fragen beantwortete sie nicht. Vorher führte die Kanzlerin etwas auf, was als eine Art doppelter Satire-Rittberger in die deutsche Mediengeschichte eingehen könnte. Sie verkündete einerseits eine Maßnahme, nämlich die formelle Zustimmung der Regierung zum Strafverfahren wegen der Erdogan-Beleidigung, deren Sinnhaftigkeit sie aber im selben Atemzug erheblich infrage stellte. Was schon dadurch deutlich wurde, dass sie die Abschaffung des betreffenden Paragrafen (103 Strafgesetzbuch) ankündigte. Das Verfahren soll noch vor der Sommerpause eingeleitet werden.

Verfahrenstechnisch machte die Merkel-Entscheidung kaum einen Unterschied. Der türkische Präsident hatte ohnehin schon — wie das jeder Normalbürger auch tun kann — eine Anzeige gegen den Comedian wegen Beleidigung erstattet. Nun kommt als Ermittlungsgegenstand auch noch der Tatbestand der Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes hinzu. Ein etwas aus der Zeit gefallener Straftatbestand, der früher unter dem Stichwort "Majestätsbeleidigung" bekannt war. In der Nachkriegsgeschichte kam er nur äußerst selten zum Tragen.

Das letzte Wort werden nun die Gerichte haben — im Extremfall sogar das Bundesverfassungsgericht. Beiden Beteiligten, sowohl Recep Tayyip Erdoðan als auch Jan Böhmermann, ist zuzutrauen, dass sie alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen werden. Das kann dann Monate dauern.

Außenminister widerspricht

Innerhalb der Koalition hat die Debatte für erheblichen Ärger gesorgt. Merkel war noch beim Gipfel mit Horst Seehofer und Sigmar Gabriel bemüht gewesen, eine gemeinsame Linie zu finden. Aber jetzt wollte die SPD nicht mitmachen. Bei der regierungsinternen Abstimmung hatte sich vor allem das von Frank-Walter Steinmeier geführte Außenministerium gesperrt.

Dort gab es dem Vernehmen nach erhebliche Zweifel, "ob das Strafrecht der richtige Weg sein kann". Auch Justizminister Heiko Maas (SPD) stellt sich gegen die Kanzlerin — deren Stimme dann den Ausschlag gab, das Verfahren zuzulassen.

Dass die Union selbst nicht besonders glücklich war, das machte einerseits Merkel selbst bei ihrem Kurzauftritt deutlich. Sie merkte ausführlichst an, dass Deutschland "mit großer Sorge" auf die Einschränkungen der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit in der Türkei blicke und die Achtung dieser Rechte fordere. Im Fall Böhmermann vertraue die Bundesregierung nun auf die Entscheidung der hiesigen Gerichte.

Wesentlich kürzer brachte CDU-Generalsekretär Peter Tauber die Zerrissenheit seiner Partei auf den Punkt. "Die Bundesregierung nimmt den Rechtsstaat ernst", stellte er fest, um gleich hinzuzufügen: "Auch wenn es manchmal weh tut."

Hatte Merkel jemals Freunde unter den deutschen Kabarettisten, so dürfte sie diese jetzt verloren haben. Oliver Kalkofe war besonders sauer.

Das dürfte ausnahmsweise mal in vollem Ernst geschrieben worden sein, denn der Spaß ist den Satirikern jüngst abhandengekommen.

Und auch Böhmermanns Anwalt Christian Schertz meinte, er könne die Entscheidung "nur mit erheblichem Unverständnis zur Kenntnis nehmen".

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