Fernsehen mit Folgen

27.1.2012, 11:56 Uhr

Fünf Kinder hat Manfred Spitzer durch das Gymnasium gebracht — und die damit verbundenen Erfahrungen ließen ihn häufig staunen. Einmal, nur zum Beispiel, wurde das Referat eines Sohnes schlechter bewertet, weil die erwartete Powerpoint-Präsentation fehlte. Dabei hat die US-Raumfahrtbehörde Nasa diese Art des Darstellens gerade abgeschafft: Sie verführt zu so flüchtiger Wahrnehmung, dass deshalb ein gravierendes Problem am Hitzeschild eines Shuttles übersehen wurde.
Denn eines von Spitzers Spezialgebieten ist die menschliche Wahrnehmung; der Professor, Hirnforscher und Psychiater hat, und das ist außergewöhnlich für seinen Beruf, eine bemerkenswert große Fangemeinde: Aus familiärer und beruflicher Beschäftigung mit dem Lernen entstand eine Reihe von Büchern, die ihn bundesweit bekannt machte. Bei seinen Auftritten hat er volle Räume — so auch in der Erlanger Buchhandlung Rupprecht, in der er sein neuestes Werk vorstellt.
Wirtschaftliche Auswirkungen
Spitzer gibt sich eher pessimistisch. „Unser Gehirn ist für die Fernsehbildung nicht gemacht“, sagt der Leiter der Klinik für Psychiatrie an der Universität Ulm. Und weil Kinder trotzdem im Durchschnitt anderthalbmal so lang vor dem Bildschirm als in der Schule sitzen, guckt er skeptisch in die Zukunft: Wirtschaftlicher Erfolg ist von Bildung abhängig, sagt er. Sie droht zu sinken — und deshalb könnten Westeuropäer in 30 Jahren T-Shirts für die Chinesen nähen müssen.
Spitzer kann diese Provokation gut begründen: Das Gehirn besteht aus vielen Milliarden Gehirnzellen, die sich durch schier unzählige Synapsen verschalten. Dieses Lernen müssen sich Kinder und Jugendliche allerdings hart erarbeiten: Immer wieder müssen Impulse über diese Verknüpfungen laufen, damit sie sich ausprägen. Das bedeutet: lesen, schreiben, einen Gedanken immer wieder wenden, bis er sich verfestigt hat. Oder: Selber denken macht schlau.
Das geht vor dem Fernseher natürlich nicht, und auch der Computer ist außen vor: „Das Ergebnis heißt digitale Demenz.“ Und Spitzer kennt Hunderte von Studien, mit denen er seine Kernthese belegt. Eine davon hat sich mit dem TV-Konsum von Babys und Kleinkindern beschäftigt, und Spitzer resümiert sie so: „Das schadet richtig, richtig heftig.“ Denn schon ab dem siebten Lebensmonat beginnt das Erlernen der Grammatik. Damit das funktioniert, müssen sich die Lippen beim Sprecher auf Millisekunden genau zum Ton bewegen — das aber geschieht auf dem Bildschirm häufig nicht. Ergebnis: „Die Kleinen lernen einfach nichts.“
Ebenso kritisch geht Spitzer mit Spielekonsolen um: Wenn Schüler eine geschenkt bekommen, verschlechtern sie sich in den folgenden Monaten beim Lesen und machen keine Fortschritte mehr beim Schreiben. Fazit des Gehirnforschers: „Wenn Sie Schulprobleme verschenken wollen, verschenken Sie eine Playstation.“
Seine Schlussfolgerungen sind radikal: Computer sind schädlich. „In der Schule brauchen Sie Bücher und gute Lehrer — sonst nichts.“
Manfred Spitzer: Medizin für die Bildung: Ein Weg aus der Krise. 19,95 Euro.
 

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