"Ich möchte Leid verhindern"

20.4.2012, 15:35 Uhr

Auch heute besinnt sich der Arzt bei seiner Arbeit bisweilen auf seine christliche Erziehung. Es sei doch klar, dass man eine 15-, 20-jährige Prägung nicht einfach ablegen könne, sagt er. Dennoch habe sich seine womöglich vormals mehr religiös motivierte Einstellung zu gewissen Lebenssituationen mehr und mehr erweitert – nie aber durch theoretische Überlegungen, sondern immer durch eigene Erfahrungen.

Abgetrieben – mit Seife und Stricknadel

Wie wichtig es etwa ist, Frauen einen professionell durchgeführten Schwangerschaftsabbruch zu ermöglichen, hat er bei einem früheren Einsatz in Südafrika gelernt: „Wenn Ihnen eine 18-Jährige stirbt, weil bei ihr mit Stricknadeln, Seife oder anderen Dingen versucht wurde, eine Abtreibung zu machen, dann ist das mit Ihrem religiösen Hintergrund nicht mehr zu verstehen.“ Die Haltung der Kirchen, dies als Tötung menschlichen Lebens zu interpretieren, habe er in diesem Moment nicht mehr nachvollziehen können: „Ich erkenne keinen Sinn darin, ein 18-jähriges Mädchen aus diesem Grund sterben zu lassen – das kann mir auch die Bibel nicht erklären.“

Theologen und Kirchenvertreter machten es sich in dieser Frage manchmal zu einfach, findet der Frauenarzt. Konfessionelle Krankenhäuser würden bei den Frauen zwar pränataldiagnostische Untersuchungen durchführen und somit Embryos auf genetische Defekte untersuchen. Wenn sich dabei dann tatsächlich eine schwere Missbildung herausstellt und sich ein Paar zur Abtreibung entschließt, überließen die kirchlichen Häuser das den nicht kirchlichen: „Kirchliche Häuser diagnostizieren die Erkrankungen und schicken die Paare dann woanders hin, weil sie die schmutzige Arbeit nicht machen wollen“.

Katholiken und auch Teile der Protestanten spielten sich bei solchen existenziellen Fragen oft zum Richter auf, obwohl sie zu den betroffenen Frauen und Familien häufig keinen Kontakt hätten. „Wir aber sehen, wie verzweifelt die Paare sind und in welchem Gewissenskonflikt sie sich befinden“. Natürlich habe auch krankes Leben eine Berechtigung, meint der Medizinprofessor. Allerdings sei bei ihm der Grad der Behinderung ausschlaggebend: „Wenn man eine Fehlbildung an einem Arm hat, ist das für mich kein Abtreibungsgrund.“ Anders hingegen verhalte es sich, wenn die Schwangere ein Kind erwartet, das nicht mehr als zwei Monate überleben wird: „Dann“, gibt der Experte zu bedenken, „kann man schon darüber nachdenken, ob man das ganze Leid des Kindes und der Familie auf sich nehmen will.“ Oft genug sehe er auf der Intensivstation Mütter und Väter, die weinend und völlig verzweifelt am Bett ihres Babys stehen. Eine Situation, an der Beziehungen und Ehen nicht selten zerbrechen.

Natürlich kennt Beckmann auch Gegenbeispiele: Eltern, die mit ihren nicht gesunden Töchtern und Söhnen überaus glücklich sind. Die endgültige Entscheidung für oder gegen ein solches Kind müsse aber jeder Frau oder jedem Paar selbst überlassen bleiben – auch wenn die Uni-Klinik die Betroffenen in der schwierigen Phase begleitet. Für die zum Schwangerschaftsabbruch notwendigen Gespräche stehen Mitglieder des Ethik-Komitees zur Seite sowie Ärzte, Pflegepersonal und Psychologen. „Es ist nicht so, dass die Frau am Freitag um neun Uhr zu uns kommt und um drei findet die Abtreibung statt“, sagt Beckmann, „ganz im Gegenteil.“ Der Abbruch stehe am Ende eines langen mehrtägigen und mehrstufigen Entscheidungsfindungsprozesses.

Ähnlich verhalte es sich bei der Präimplantationsdiagnostik, kurz PID. Kritik an der im Juli 2011 vom Bundestag in engen Grenzen zugelassenen Methode weist der Mediziner vehement zurück. Natürlich stimme er mit der Kirche darüber ein: Die Verschmelzung von Ei und Samenzelle kann als Beginn menschlichen Lebens gesehen werden – allerdings nur, wenn die Befruchtung auf natürliche Weise, also im Eileiter, stattfindet. Das neu entstandene Leben niste sich ein und lebe weiter, ohne fremde Einwirkung.

Auf die künstliche Befruchtung treffe die christliche Definition hingegen nicht zu: „Wenn ich das Reagenzglas einfach stehen lasse, entwickelt sich daraus kein Mensch, es entstehe gar nichts – die befruchtete Eizelle stirbt ab.“

Reproduktionsmediziner versuchen freilich stets das genaue Gegenteil: nämlich möglichst viele überlebensfähige Embryonen zu erzeugen. Für ungewollt kinderlose Paare ist die In-Vitro-Fertilisation (IVF) meistens die einzige Möglichkeit, Nachwuchs zu bekommen. Einwände vor allem vonseiten der Kirchen, dass niemand Anspruch auf ein (gesundes) Kind habe, bringen den an sich nüchternen Arzt in Rage (siehe nebenstehendes Interview). Kinderlosigkeit, sagt er und trommelt dabei mit den Fingern heftig auf den Tisch, sei eine Krankheit wie jede andere auch. Wenn man diese Diskussion führe, müsse man ebenso über Nieren-, Herz- und Lebertransplantationen reden: „Dann behandeln wir kein Rheuma mehr, wir behandeln kein Asthma mehr und auch keine Infektionserkrankungen – wir lassen die Leute doch auch nicht einfach krank.“

Bei IVF und PID gehe es indes bei weitem nicht um irgendeinen Schönheitseingriff. „Dahinter“, betont der Erlanger, „stehen Schicksale“: zum Beispiel Frauen mit Krebsleiden, Männer, die nach einer Mumps-Erkrankung weniger Spermien produzieren und Paare mit schweren Erbkrankheiten: „Ich halte es für völlig inakzeptabel, wenn man da sagt: ,Das ist doch Gott gewollt’.“ Es könne auf keinen Fall sein, dass Gott Babys wie bei der tödlichen Erbkrankheit Mukoviszidose (zystische Fibrose) leiden lassen will, wenn es sich medizinisch vermeiden lässt – indem man durch eine PID einen bestimmten Gendefekt am künstlich erzeugten Embryo erkennt und diesen dann nicht in die Gebärmutter einsetzt.

Es sei doch humaner, aus künstlich erzeugten Embryonen den gesündesten herauszufinden, als eine Frau auf natürliche Weise schwanger werden zu lassen – um das Kind im dritten Monat abzutreiben (was juristisch möglich ist). Auch die Alternative, eine Frau mit einer Erbkrankheit quasi zur Kinderlosigkeit zu zwingen, lehnt Beckmann ab: „Wer gibt jemandem das Recht, einem anderen den Wunsch nach einem Kind zu verbieten“.

Hinter jeder Behandlung stehe der Versuch, einem Paar noch zu einem Kind zu verhelfen – und eben nicht, zu einem Sohn oder einer Tochter mit ganz speziellem Aussehen und besonderen Begabungen. Die Befürchtungen vor einem sogenannten Dammbruch hätten sich allerdings nicht bestätigt. Das sei reine Propaganda, meint Beckmann: „Es werden nirgendwo blonde, blauäugige Kinder gezüchtet – und das wird auch nie so sein.“

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