In China verschleppt: Sohn kämpft für inhaftierten Akademiker

12.1.2019, 13:18 Uhr
In China verschleppt: Sohn kämpft für inhaftierten Akademiker

© Diego Azubel/dpa

Alles, was Tahir Mutällip Qahiri von seinem Vater geblieben ist, sind Fotos, Publikationen und Erinnerungen. Der 38-Jährige lebt seit zwölf Jahren in Deutschland, promoviert aktuell im Fachbereich der Turkologie und Zentralasienkunde an der Universität Göttingen. Er hat seit Jahren nichts mehr von seinem Vater gehört, bezieht all seine Informationen über seine Familie aus den Medien.

Dann vor zwei Monaten die Schreckensnachricht: Über den asiatischen Sender RFA Uyghur erfuhr Tahir von der Verhaftung seines Vaters Mutällip Sidiq Qahiri. In Kaschgar, durch chinesische Sicherheitskräfte. Bereits seit September soll der Forscher eingesperrt sein. "Seit Oktober 2017 habe ich gar keinen Kontakt mehr mit meinem Vater, zu seiner eigenen Sicherheit. Aber für gewöhnlich hat er das Handy immer an", berichtet Tahir.

Doch diesmal blieben seine Anrufe unbeantwortet. Er erreichte weder seinen Vater noch jemanden aus der Familie. Die Universität seines Vaters in Kaschgar bestätigte schließlich die schlimmsten Befürchtungen: Professor Qahiri wurde verhaftet. Die Spur des Akademikers verliert sich jedoch im Gefängnis. Obwohl Tahir der Sicherheitsabteilung der Universität seine Lage schilderte, verweigerten sie ihm Informationen. Auch ein Gang zur chinesischen Botschaft brachte nichts. Seither wagte er nicht, weiter bei seiner Familie anzurufen. Ein Telefonat bedeutet fünf Jahre Knast, sagt Tahir. Die chinesische Regierung verbietet ortsansässigen Uiguren Kontakt zu Familienmitgliedern im Ausland, weil dadurch angeblich die Staatssicherheit gefährdet werde.

Verbotene Namen im Nachschlagewerk

Doch warum sperrt der chinesische Staat einen 68-Jährigen weg, einen Wissenschaftler, der an der Universität von Kaschgar lehrte, bis er 2010 pensioniert wurde? Tahir und sein Vater sind Uiguren, Qahiri senior ist Experte auf dem Gebiet der uigurischen Sprache, ein bekannter Lehrbuchautor für das moderne Hocharabisch. Unter anderem ist er auch Namensforscher. Die chinesische Regierung hat bestimmte uigurische Namen im öffentlichen Gebrauch verboten.

Trotzdem fanden sie sich in einem seiner 20 Bücher wieder – weil diese ein fachliches Nachschlagewerk sind. Nun wird Qahiri Islam-Propaganda vorgeworfen, die er angeblich durch seine Lehren und Veröffentlichungen betreiben soll. Ihm soll deshalb in einem der Umerziehungslager in Xinjiang der muslimische Glaube ausgetrieben werden. Die chinesische Regierung unterdrückt in China lebende muslimische Uiguren, Kasachen und Kirgisen wie Qahiri. Sie sollen systematisch politisch umerzogen werden, da man fürchtet, dass sich potenzielle Terroristen unter ihnen befinden.

In China verschleppt: Sohn kämpft für inhaftierten Akademiker

© T. Qahiri

Professor Qahiris Fall ist bei weitem kein Einzelschicksal. Unter dem Deckmantel der Umerziehung und der Terrorbekämpfung werden Uiguren und Kasachen im Reich der Mitte seit zwei Jahren vermehrt in Camps gesperrt. Obwohl China die Existenz dieser Lager zunächst leugnete, straften Satellitenbilder Peking Lügen. Auf ihnen ist zu sehen, dass sich in der Provinz Xinjiang eingezäunte Gefangenenlager in rapider Geschwindigkeit ausdehnen.

Was den Uiguren und Kasachen im Nordwesten des Landes angetan wird, nur weil dem Staat ihre religiöse Orientierung nicht passe, entbehre jeglicher Menschlichkeit, wie die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) anprangert. So seien die muslimischen Nationalitäten in ihrem Hauptsiedlungsgebiet in Xinjiang der absoluten Kontrolle durch den Staat ausgeliefert. Hochtechnologische Methoden machten es ihnen unmöglich, sich in der Region frei zu bewegen.

Ihre Internetaktivitäten werden nachvollzogen, ihr Alltag mit Kameras gefilmt, ihr gesamtes öffentliches Leben überwacht. Dabei werden alle Personen minutiös erfasst, selbst mit Gesichtserkennung wird gearbeitet. An den Emotionen der Gefilmten soll abgelesen werden, ob sie eventuell Demonstrationen planen könnten.

Tausende Menschen geflohen

Über zehn Millionen Uiguren leben allein in China, Tausende von ihnen sind geflohen. Selbst hier in Bayern haben sich etwa 600 angesiedelt. Zuletzt machte der Fall eines 22-jährigen Uiguren Schlagzeilen: Wegen einer Behördenpanne war er ungerechtfertigt von München nach China ausgeliefert worden. Inzwischen ist bekannt: Er soll dort in Haft sitzen. Nun droht ihm dasselbe Schicksal wie Professor Qahiri und geschätzt einer Million weiteren Uiguren und Kasachen, die laut der GfbV in diversen Lagern festgehalten werden.

Folter, die so schlimm sein soll, dass die Opfer an den Folgen sterben. Gehirnwäschen, die die Inhaftierten in den Suizid treiben. Menschenunwürdige Verhältnisse wie überfüllte Zellen — davon berichten Überlebende, die aus den Lagern entlassen wurden. Auch eine ehemalige Aufseherin in einem jener Straflager bestätigte öffentlich die schlimme Lage vor Ort. Seither muss auch sie um ihre Sicherheit fürchten, Peking wolle sie mundtot machen. Sie ist laut GfbV in Kasachstan untergetaucht.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat inzwischen auf die ernste Lage der Uiguren reagiert. Es sprach Abschiebungsverbote für die Betroffenen aus, was bedeutet, dass geflohene Uiguren nicht mehr nach China ausgeliefert werden dürfen. Diese Regelung tritt dann in Kraft, wenn in dem Heimatland des Asylbewerbers eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Auch der UN-Menschenrechtsrat forderte bereits Stellungnahmen von China. Dort wird behauptet, es handle sich bei den Einrichtungen um "Berufsschulzentren", die vor allem der Terrorprävention dienten und in denen die Muslime Chinas resozialisiert und "gerettet" werden sollten.

Botschafter fordern Freilassung

"Der Vorwand der Chinesen, sie würden Terrorismus vorbeugen, ist ein Witz", sagt Hanno Schedler, Referent für Afrika und Asien bei der GfbV. "Sie behaupten, in diesen Zentren sollen Menschen vor dem Terrorismus gerettet und besser für den Arbeitsmarkt qualifiziert werden, und dabei sperren sie Akademiker wie Wissenschaftler und Poeten darin weg."

Insgesamt 15 westliche Botschafter hätten bereits die Forderung an China gerichtet, den für die Inhaftierung der Uiguren und Kasachen verantwortlichen Parteisekretär der Region Xinjiang, Chen Quanguo, zu treffen, um über die Lager zu sprechen. Doch bislang habe dies die chinesische Regierung abgelehnt, so Schedler. Der Fall von Tahirs Vater sei ihm gut bekannt, doch obwohl man helfen wolle, seien den Mitarbeitern die Hände gebunden: "Wir wissen, dass die Versorgung in den Lagern schlecht ist. Doch man kommt schlichtweg nicht in die Camps, um etwas zu unternehmen."

Die größte Chance für die Inhaftierten bestehe darin, dass ihre Angehörigen im Ausland auf sie aufmerksam machen, sagt Schedler. Tahir kann nur hoffen, dass China reagiert, wenn der Druck aus dem Ausland zu groß wird. "Ich muss verhindern, dass der chinesische Staat meinen Vater hinrichtet", sagt Tahir.

Sein Vater ist schwer herz- und nierenkrank und dringend auf Medikamente angewiesen. Es ist gut möglich, dass ihm die Medizin in dem Lager verwehrt wird. Tahir kann derzeit nicht mehr tun, als um das Leben seines Vaters zu bangen. Er weiß bis heute nicht, wie es ihm geht.

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