Kommentar: Wahlergebnis ist ein Denkzettel mit Sprengkraft

28.10.2018, 20:55 Uhr
Volker Bouffier wird weiter Ministerpräsident in Hessen bleiben, musste mit der CDU aber herber Verluste hinnehmen.

© AFP/Thomas Kienzle Volker Bouffier wird weiter Ministerpräsident in Hessen bleiben, musste mit der CDU aber herber Verluste hinnehmen.

Wählen, um damit "die in Berlin" abzustrafen: Die Hälfte der Hessen hat ganz offen zugegeben, so gehandelt zu haben. Rund 50 Prozent der Bürger nutzten die Landtagswahl als Möglichkeit, der Großen Koalition einen Denkzettel zu verpassen.

Noch ein Denkzettel, nach der Bayern-Wahl, die ja ganz ähnliche Ergebnisse brachte: Die beiden Partner der GroKo verloren jetzt wie zuvor auch im Freistaat je rund zehn Prozent. Die Grünen legten jeweils kräftig zu, verdoppelten sich fast.

Wir haben aktuell also einen Trend zu drei annähernd gleich großen Nicht-mehr- oder Noch-Nicht-Volksparteien. Sie kommen auf um die 20 Prozent, mal mehr, mal weniger: Der Schrumpfungsprozess der SPD hält an, aber er hat nun auch die Unionsparteien gewaltig erwischt.

Galoppierende Schwindsucht

Seit längerem schon hätte die — man muss das hinzufügen: früher mal so genannte — Große Koalition im Bund keine Mehrheit mehr, wäre nun Bundestagswahl. Es ist eine Art galoppierende Schwindsucht, die da grassiert: Mit jeder neuen Umfrage werden Union und SPD noch ein Stück kleiner — wobei man sich an die dramatischen Zahlen der Sozialdemokraten fast schon gewöhnt hat. Relativ neu und bedrohlich für die CDU-Chefin ist, dass die Union dies nun nachmacht. Was bedeutet dies nun für die GroKo und ihre Akteure? Erleben wir das x-mal beschworene Ende der Ära Merkel?

Abwarten. Der von den Demoskopen in ihren Umfragen ziemlich genau vorhergesagte Absturz der Union war so wohl schon eingepreist; Volker Bouffier kann immerhin weiterregieren. Es ist momentan auch kein Akteur in Sicht, der es offen wagen kann, gegen Angela Merkel anzutreten. Etliche bereiten sich zwar vor — Annegret Kramp-Karrenbauer, die von Merkel selbst auserkorene Generalsekretärin, der Kanzlerinnen-Kritiker Jens Spahn. Aber sie sondieren noch, sammeln Bataillone. Denkbar also ist: Es passiert erst mal, entgegen allen Kassandra-Rufen vor der Wahl — gar nichts.

Das gilt übrigens auch für die SPD, auch wenn es dort gewiss noch unruhiger, ja chaotischer zugehen wird in den Tagen nach der Wahl. Die Sozialdemokraten stecken in einer gewaltigen Zwickmühle: Natürlich wird der Chor derer nun noch lauter, die den möglichst raschen Ausstieg aus der GroKo fordern oder, wie nun Andrea Nahles, damit drohen. Aber was dann? Die Folge wären, das machte Kramp-Karrenbauer ziemlich deutlich, Neuwahlen im Bund. Wie die ausgehen? Da ist vieles offen, eines aber stünde fest: Die SPD würde sich wohl eher ihrem bayerischen als dem hessischen Wert nähern.

Und etwas Besseres als eine Sozialdemokratie, die von sich aus die GroKo platzen lässt, könnte der Union kaum passieren: Sie würde dann im Wahlkampf auf die ach so unzuverlässigen Genossen verweisen und für sich zum Teil fälschlicherweise jene Stabilität reklamieren, die doch gerade die CSU im Sommer massiv gefährdet hat.

Seehofer war wohl sehr gelassen

Die GroKo geriet da ja vor allem wegen des von Seehofer, Dobrindt und anfangs auch von Söder angezettelten Asyl-Krawalls an den Rand des Zusammenbruchs, nicht durch still und unauffällig regierende Sozialdemokraten. Aber es gelingt den Unionsparteien stets besser als der SPD, Konflikte unterm Deckel zu halten. Wahrscheinlich hat gestern vor allem Horst Seehofer den Wahlabend äußerst gelassen verfolgt: Über ihn reden nach Hessen erst mal noch weniger als zuvor, und er wird auch deshalb von sich aus garantiert nicht weichen.

Hat die GroKo den Doppel-Denkzettel eigentlich verstanden? Das wird sich in den nächsten Tagen zeigen; dazu müsste sie endlich effektiver und offensiver tun, wovon sie zu oft mit ihren ausschließlich hausgemachten Querelen ablenkt: gute Sachpolitik liefern, was teils geschieht, was aber fast niemand merkt.


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Der grüne Höhenflug zur Fast-Volkspartei ist daher wenig überraschend. Die Grünen treten geschlossen auf. Sie setzen auf Zuversicht, auf eine bessere Zukunft — anders als manche Konservative und alle in der AfD, die das Land herunterreden an den Rande des Zusammenbruchs. Die Grünen haben neue, interessante Köpfe an der Spitze — ganz und gar anders als die GroKo. Und: Sie tun und reden sich leicht, sie haben seit langem keine Regierungsverantwortung im Bund mehr. Die strahlt nicht aus, sondern schwächt Parteien, wenn sie so zaghaft und zugleich zänkisch agieren wie Union und SPD.

Die AfD sitzt nun in allen deutschen Landtagen. Aber sie hat ihren Höhepunkt vielleicht schon überschritten: In manchen Umfragen lag sie weit höher als bei jenen gut zehn bis zwölf Prozent, auf die sich nun einzupendeln scheint. Das macht aber genau jenen seit Jahrzehnten meist unverändert großen Rand deutlich rechts von der Mitte aus.

Die Demokratie ist lebendig

Insgesamt gibt diese Landtagswahl keinen Anlass, den Niedergang der Demokratie an die Wand zu malen. Im Gegenteil: Die Wahlbeteiligung sank im Vergleich zu 2013, da fanden am gleichen Tag aber Bundestagswahlen statt, gegenüber 2009 stieg sie. Die Zeiten sind politischer geworden, das zeigen auch die Groß-Demos für eine liberale und offene Gesellschaft.

Deren Anhänger stellen eine überwältigende Mehrheit im Wiesbadener Landtag. Trotz des Einbruchs der einst großen Parteien bleibt mindestens Hessen stabil, mit einer Fortsetzung von Schwarz-Grün oder mit Jamaika. Da deuten sich also neue, spannende Optionen an. Gut so. Denn Demokratie lebt vom Wechsel.

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