Leben ist eine Gabe Gottes

20.4.2012, 15:46 Uhr
Leben ist eine Gabe Gottes

NZ: Wann beginnt aus christlicher Sicht menschliches Leben?

Susanne Breit-Keßler: Unabhängig von Glaubensfragen ist wissenschaftlich unbestritten: Durch die Verschmelzung von Ei und Samenzelle wird das individuelle Genom festgelegt. Ab diesem Zeitpunkt besitzt menschliches Leben seine sämtlichen genetischen Anlagen. Die weitere Entwicklung ist ab diesem Zeitpunkt genetisch vollständig vorgegeben. Deshalb wäre es Willkür, zu behaupten, menschliches Leben würde erst zu einem späteren Zeitpunkt beginnen.

NZ: Was genau sagt dazu die Bibel?

Breit-Keßler: Die Bibel definiert den natürlichen Beginn des menschlichen Lebens gar nicht. Sie geht viel weiter: Im Psalm 139 sagt der Psalmbeter zu Gott: „Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war.“ Das heißt: Leben gründet – schon vor der Verschmelzung von Ei und Samenzelle – in Gottes Liebe für den Menschen. Schwangerschaft und Geburt sind also im biblischen Sinne nur Verwirklichung dessen, dass Gott Leben schenkt und Menschen miteinander das Wunder neuen Lebens erfahren lässt. Leben ist weit mehr als das, was wir sehen und definieren.

NZ: Leben als Gottes Geschenk?

Breit-Keßler: Ja, Leben ist eine kostbare Gabe Gottes, die der Mensch schützen soll. Und es versteht sich von selbst, dass dieser Schutz zum frühest möglichen Zeitpunkt beginnen muss.

NZ: Lässt sich das Verständnis noch auf heutige Verhältnisse übertragen?

Breit-Keßler: Aber ja! In Zeiten, in denen nahezu alle Lebensbereiche dem Diktat der Effizienz und Nützlichkeit, der Leistung und des Erfolgs unterworfen werden, braucht es dringend die Erinnerung an die Grenzen des Machbaren. Gerade am Lebensanfang und am Lebensende, beim Embryo, beim Fötus und dann beim sterbenden Menschen zeigt sich die Humanität unseres Gemeinwesens: Neigen wir dazu alles, was nicht der Norm oder unseren Wünschen entspricht, zu eliminieren?

NZ: Eine klare Absage an die Abtreibung von behinderten Kindern.

Breit-Keßler: Ja, wenn Eltern von Kindern mit Behinderungen zu hören bekommen, dass es „das doch nicht gebraucht hätte“ und eine Abtreibung der „bessere Weg“ gewesen wäre, dann läuft es mir kalt den Rücken hinunter. Denn dann wird das menschliche Leben sortiert in eines, dem ein Lebensrecht zugebilligt wird, und in eines, das man „wegmachen“ sollte, um sich Probleme zu ersparen.

NZ: Widerspricht die Religion den Möglichkeiten der Medizin?

Breit-Keßler: Ich sehe überhaupt keinen Widerspruch. Sondern ich freue mich, dass sehr viele Medizinerinnen und Mediziner das Gespräch über ethische Fragen suchen und schätzen. Verantwortliches und verantwortbares Handeln muss stets nach Folgen fragen – und darf nicht einfach alle Instrumente und Methoden anwenden, die zur Verfügung stehen.

NZ: So wie die PID?

Breit-Keßler:
Ja, die PID dient nicht der Heilung von Krankheiten. Sie ist ein diagnostisches Verfahren mit dem Zweck, potenziell erkranktes und oder behindertes Leben frühzeitig zu erkennen und aussortieren zu können. Das ist nach meiner Überzeugung ethisch nicht zu verantworten. Wenn Diagnose nur dem Ziel dient, unerwünschtes Leben zu identifizieren, um ihm sein Lebensrecht zu versagen, dann unterscheidet sich solche Diagnose sehr grundlegend von allen anderen diagnostischen Möglichkeiten.

NZ: Gegner der PID befürchten meist eine zu große Selektion – oft aber bietet die PID den Betroffenen die einzige Möglichkeit, überhaupt ein Kind zu bekommen. Zählt der Wunsch nichts?

Breit-Keßler: Der Wunsch zählt sehr viel. Aber er heiligt nicht jedes Mittel. So sehr ich Frauen verstehe, die sich ein Kind wünschen, so sehr kann ich dennoch daraus kein Recht auf ein Kind – und schon gleich gar nicht ein Recht auf ein gesundes Kind ableiten. Die Kehrseite einer solchen Berechtigung wäre ja der Anspruch, krankes Leben gar nicht erst auf die Welt kommen zu lassen. Dann wäre die Frage, was gesund und was krank ist – und wer das festlegt. Ich werde bald ein Kind taufen, das die genetische Veränderung der Trisomie 21 besitzt. Es ist ein wunderbar fröhliches und total gesundes Kind. Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der solche Kinder nicht mehr geboren werden dürfen.

NZ: Wann sehen Sie einen Schwangerschaftsabbruch gerechtfertigt?

Breit-Keßler: Nach geltendem Recht gibt es keinen „gerechtfertigten“ Schwangerschaftsabbruch. Es gibt bestimmte Not- und Konfliktlagen, in denen nach erfolgter Beratung der Schwangerschaftsabbruch straffrei bleibt. Es ist traurig, dass im öffentlichen Bewusstsein dennoch der Eindruck vorherrscht, als ob Abtreibungen in Deutschland erlaubt oder sogar unter bestimmten Umständen gerechtfertigt seien. Das sind sie nicht! Jede Abtreibung ist Tötung menschlichen Lebens.

NZ: Und wenn die Mutter „Nein“ sagt?

Breit-Keßler: Das Kind im Mutterleib kann man nur schützen, wenn die schwangere Frau auch Ja zu diesem Kind sagt. Deshalb hat es keinen Sinn, Frauen durch Strafandrohung zwingen zu wollen, ihr Kind zu bekommen. Die Schwangerschaftskonfliktberatung unserer Diakonie leistet deshalb auch hervorragende Arbeit.

Verwandte Themen


Keine Kommentare