"Manchmal sperre ich mich im Bad ein und weine"

20.2.2018, 17:52 Uhr

© Abdulhakim Al-Ansi/Care

Millionen von Menschen sind von Hilfslieferungen abhängig, Krankheiten breiten sich aus - und nach wie vor führen Saudi- Arabien und der Iran einen Stellvertreterkrieg im Jemen um die Vorherrschaft in der Region. Sie unterstützen verschiedene politische Kräfte und eskalieren so die Lage für die Bevölkerung. Hinzu kommen verschiedene Terrorgruppen wie der Islamische Staat und Al Qaida, die Teile des Landes unter ihrer Kontrolle haben.

Nur wenige internationale Journalisten schaffen es ins Land. Nachdem der Autor im September ein Visum von der jemenitischen Botschaft in Berlin erhalten hatte, war es dennoch nicht möglich, in das Land einzureisen. Die Kriegsparteien erlauben es nicht, dass Journalisten die UN-Flüge ins Land nutzen. Kommerzielle Airlines gibt es so gut wie nicht mehr. Eine angedachte Busfahrt vom Nachbarland Oman in den Jemen wurde wieder verworfen, als klar wurde, dass die Fahrt durch Al-Qaida-Gebiet gehen würde. Als endlich ein Flug vom jordanischen Amman aus nach Aden gefunden wurde, verlangten die Behörden im Jemen einen Sicherheitsnachweis. Doch davon wusste selbst die Botschaft in Berlin nichts. Schließlich lief das dreimonatige Visum aus.

Nach einigen technischen Problemen, aufgrund fragiler Telefonverbindungen, konnte die NZ mit der jeminitischen CARE-Mitarbeiterin Suha Basharen (45) in Sanaa ein Interview führen. Sie arbeitet seit 2015 für die Hilfsorganisation als "Gender Specialist" in der Förderung von Mädchen und Frauen.

NZ: Frau Basharen, könnten Sie die aktuelle Lebenssituation in Sanaa beschreiben, wie kann man sich als Außenstehender das tägliche Leben vorstellen?

Suha Basharen: Sanaa ist relativ – und ich betone relativ – ruhig und sicher. Wenn man nach Sanaa kommt, sieht alles auf dem ersten Blick normal aus, die Läden und der Markt sind geöffnet, die Menschen gehen zur Arbeit, Büros sind gefüllt. Aber wenn man genauer hinsieht, hier lebt oder für ein paar Tage vor Ort ist, dann merkt man schnell, dass sich einiges verändert hat. Die Kaufkraft der Menschen ist in den vergangenen drei Jahren deutlich zurückgegangen. Viele arbeiten für die Regierung, die Gehälter wurden drastisch gekürzt. Anfangs überbrückte man das, indem man sich Geld lieh oder weniger einkaufte. Das merkt man in den Geschäften, man sieht viel weniger Menschen in den Läden, denn keiner kann sich mehr etwas leisten. Dazu kommt, dass man sich immer unsicher fühlt, Luftangriffe können jederzeit passieren.

NZ: Wie sieht Ihr Alltag aus?

Basharen: Wir versuchen, ein normales Leben zu führen. Wir gehen zur Arbeit, unsere Kinder in die Schule. Auch das soziale Leben hat nicht aufgehört. Aber gleichzeitig hat man ständig im Kopf, dass es einen Bombenanschlag oder einen Luftangriff geben könnte. Und man fragt sich, soll ich meine Kinder zur Schule schicken oder sie dort abholen. Man lebt mit dieser ständigen Angst. Gestern Abend gab es in meiner Nachbarschaft einen Luftangriff, deswegen bin ich heute auf einem anderen Weg zur Arbeit gefahren. Man hat gelernt, mit der Angst, dem Stress, dem Krieg zu leben. Und das ist nicht gut. Die Solidarität zwischen Nachbarn ist groß. Man kümmert sich um andere, egal, von wo sie sind. Sanaa ist bekannt dafür, dass hier Menschen von überall aus dem Jemen miteinander leben. Wir sind hier zu einer großen Familie zusammengewachsen.

© Foto: Hani Al-Ansi, dpa

NZ: Was sind derzeit Ihre größten Sorgen?

Basharen: Meine Kinder. Jeden Tag denke ich an sie. Ich habe hier die beste Bildung erhalten, die man kriegen konnte. Ich hatte all die Chancen, zu wachsen, zu lernen, Erfahrungen zu machen, in verschiedenen Bereichen zu arbeiten. Jeden Tag frage ich mich, ob meine Kinder das auch haben werden. Jeder meiner Generation spielte auf der Straße, jetzt geht das nicht mehr, aus Angst, dass etwas passiert. Vielleicht eine Schießerei, vielleicht ein Luftangriff. All das führte dazu, dass meine Kinder nur noch zu Hause sind. Auch Ausflüge, die wir früher geliebt haben, sind nicht mehr möglich, denn man weiß nicht, ob die Straßen sicher sind, ob man die notwendigen Genehmigungen erhält. Ich frage mich da schon, ob meine Kinder ein gutes Leben haben werden.

NZ: Können Sie Ihrer Arbeit, der Förderung von Mädchen und Frauen, noch nachgehen?

Basharen: Ganz klar, es gibt Beschränkungen. Bevor der Konflikt 2015 eskalierte, wurde sehr viel für Frauen gemacht, es gab sogar seit 2011 eine stetig wachsende Frauenbewegung im Jemen. Mit Studien, Forschung und Initiativen wurden Frauen präsenter im öffentlichen und im politischen Leben. Heute beschränkt sich unsere Arbeit fast nur noch auf humanitäre Hilfe. CARE hat nur noch zwei Projekte zur Frauenförderung. Es war keine Wahl, die wir hatten, die Situation hat das einfach so verlangt. Die Not ist einfach zu groß, jeden Tag wird es schlimmer, denn der Konflikt geht weiter, es gibt mehr und mehr Flüchtlinge. Das ist eine Beschränkung meiner Arbeit. Eine weitere ist, dass ich, obwohl ich Jemenitin bin, nicht in jede Region reisen kann, um mit Frauen zu sprechen. Entweder ich bekomme keine Erlaubnis oder es sind wieder Kämpfe ausgebrochen. Unsere Hauptarbeit als CARE, und auch die Arbeit anderer Organisationen, ist derzeit eigentlich nur die humanitäre Nothilfe. Anders geht es nicht.

NZ: Inwieweit können Sie sich noch frei im Land bewegen?

Basharen: Für die Arbeit geht es, wenn ich denn die notwendigen Genehmigungen und Papiere habe, dann kann ich reisen. Privat ist das allerdings sehr schwer. In Deutschland verfolgt man die Wettervorhersage, ob es regnet oder schneit. Wir verfolgen hier die Vorhersagen zu Kampfhandlungen, ob es in einer Region ruhig ist oder nicht, ob man sicher dorthin fahren kann. Unser Alltag wird davon bestimmt.

NZ: Ein Krieg, eine totale Abriegelung des Landes, Nahrungsmittelknappheit, eine Cholerakrise - wie steht man das durch?

Basharen: Glauben Sie mir, ich bin Jemenitin, ich lebe hier und ich weiß nicht, wie das viele Menschen schaffen. In einigen Regionen, die ich besuche, sieht es so aus, als ob alle gleich zusammenbrechen. Vielleicht wäre das eine Lösung, denn Jemeniten sind sehr stark, sie werden wieder aufstehen, aber ich weiß es nicht. Es ist ermüdend, es kostet viel Kraft, es frisst einen von innen auf, wenn man die unterernährten und verletzten Kinder im Krankenhaus sieht, die Eltern, die um ihre Kinder weinen, weil sie ihnen nicht genügend zum Essen geben können. Und dann geht das Leben weiter, es ist alles sehr verwirrend. Ich bin Jemenitin, ich lebe im Jemen, ich verstehe Ihre Frage. . . Aber ich kann sie nicht beantworten.

NZ: Wie gehen Sie selbst mit all diesen Eindrücken und Erfahrungen um?

Basharen: Ich bin eine Mutter, und da liegt schon ein ziemliches Gewicht auf meinen Schultern. Denn ich möchte nicht, dass meine Kinder meine Schwäche sehen. Wenn ich nicht mehr weiter weiß oder Angst habe, versuche ich das zu überspielen. Wenn es wieder Luftangriffe oder Kampfhandlungen um uns herum gibt, versuche ich, ein Lächeln aufzusetzen. Und wenn mich meine Kinder fragen, was los ist, dann sage ich ihnen: "Nichts, alles ist gut. Habt keine Angst, wir gehen rüber ins andere Zimmer." Aber in mir sieht es anders aus. Manchmal sperre ich mich im Badezimmer ein und weine für ein paar Minuten, um alles rauszulassen.

NZ: Was möchten Sie den Lesern dieser Zeilen über die Situation im Jemen mitteilen?

Basharen: Die Krise im Jemen wird auch die vergessene Krise genannt. Was die Menschen in Nürnberg und überall wissen sollten: Es geht nicht darum, wer hier gegen wen kämpft. Es geht um die Menschen, die davon jeden Tag betroffen sind, die hier jeden Tag sterben. Der Jemen kollabiert, ein ganzes Land mit einer reichen Geschichte bricht zusammen. Die Welt darf nicht einfach zusehen und denken, das ist nur ein weiterer Konflikt. Jemeniten haben nicht die Chance, Flüchtlinge zu werden, das Land zu verlassen. Noch nicht mal dieses Grundrecht haben wir. Im Jemen sind jeden Tag 25 Millionen Menschen vom Tode bedroht. Das muss man sehen. Die Leute in Deutschland sollten Druck auf ihre Regierung ausüben, damit diese Druck auf die Kriegsparteien ausüben, um diesen Irrsinn zu stoppen. Wir im Jemen wollen Frieden, die Krise eskaliert jedoch immer mehr. Wir wollen Frieden für den Jemen. Sagen Sie Ihren Lesern, dass die Menschen im Jemen müde sind.

Weitere Infos zur Krise im Jemen: www.care.de/Spendenkonto: Sparkasse KölnBonn, IBAN: DE93 3705 0198 0000 0440 40, BIC: COLSDE33

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