Meisterspieler Leupold: "Jeder war stolz auf seinen Club"

10.4.2018, 11:22 Uhr
Mit Horst Leupold war ein echter Meisterspieler des FCN auf dem NN-Forum auf dem Volksfest.

© Sportfoto Zink / DaMa Mit Horst Leupold war ein echter Meisterspieler des FCN auf dem NN-Forum auf dem Volksfest.

NN: Herr Leupold, Sie sind an Ihrem zehnten Geburtstag dem 1. FC Nürnberg beigetreten. Stammen Sie aus einer Fußball-Familie?

Horst Leupold: Nein, gar nicht, mein Vater, er war Eisenbahner, hat selbst nicht Fußball gespielt, und meine Eltern wussten damals auch gar nicht, dass ich in den guten Sonntagsschuhen losgelaufen bin, um mich dem Club anzuschließen.

NN: Sie wollten das einfach unbedingt? Zum Club gehören?

Leupold: Das war ein ganz sehnlicher Wunsch. Für mich war das schon als Bub etwas Besonderes. Das rote Trikot, der Club... Das fasziniert mich jetzt ein Leben lang. Die Eltern haben das damals verstanden und mich unterstützt, mein Vater hat mir die ersten Fußballschuhe gekauft: braun mit gelben Schnürsenkeln, die vergesse ich nie. Aber im Stadion war er zum ersten Mal, als wir 1968 nach dem 2:1-Sieg im letzten Spiel gegen Borussia Dortmund die Deutsche Meisterschaft gefeiert haben. Es hat ihm schon gefallen.

NN: Das glaubt man gerne! Sie haben ja ganz Franken glücklich gemacht.

Leupold: Es war wirklich so, ich habe diese Bilder vor mir, in mir. Die Fahrt in Cabrios durch die Stadt, wenn du in die Augen der Menschen geschaut hast. So viel Freude. Es war alles eins, Nürnberg, wir Spieler, der Club, die vielen, vielen Leute, junge, alte - 80 Jahre alte Großmütter mit ihren Enkeln, jeder war stolz auf seinen Club. Das war ein ganz ergreifendes Gefühl. Es waren einfach richtige Anhänger, die ihren Verein liebten.

"Der Club war im ganzen Land etwas ganz Besonderes"

NN: Ohne Show, ohne die heute üblichen Inszenierungen.

Leupold: Das gab es ja alles noch nicht, diese vielen Fan-Utensilien wie heute. Oder bestimmte Fan-Gruppierungen. Man konnte auch keine Club-Trikots kaufen, die Fahnen und Fähnchen hatten sich die Leute selbst geschneidert, vielleicht einen Schal gestrickt.

NN: Es kam mehr von innen?

Leupold: Ja, vielleicht kann man es so sagen. Es war so unglaublich herzlich, berührend, das werde ich nie vergessen. Die Feier auf der Kaiserburg war dann gigantisch schön, sehr niveauvoll, festlich - ich denke noch nach fünfzig Jahren gern daran. Und an diese ganze Aufbruchstimmung. Die Menschen kannten noch die Nachkriegszeit, jetzt ging es voran, auch mit dem 1. FC Nürnberg. Der Club war, damals ja im ganzen Land, etwas ganz Besonderes.

NN: Hat Ihnen das manchmal persönlich geholfen?

Leupold: Zum Beispiel, als die Bundeswehr rief, obwohl ich schon fast 25 war. Wir haben uns dann etwas ausgedacht... Aber das darf man gar nicht erzählen.

NN: Na, es ist ja, anders als das Meisterglück, bestimmt verjährt!

Leupold: Verrückt war das schon. Bevor ich zum Grundwehrdienst nach Böblingen einrücken sollte, bin ich im Spiel ganz bewusst nach vorne gelaufen, zum Kopfball nach einer Ecke ins Getümmel, und dann habe ich mich bewusstlos gestellt. Es sollte ein bisschen dramatisch aussehen, sie haben mich im Krankenwagen heimgefahren. Genutzt hat es alles nichts, am nächsten Tag - ich habe gerade im Fernsehen die "Sportschau" gesehen - stand der Bundeswehr-Sanka daheim vor unserer Tür. Und ich musste noch so tun, als täte mir alles weh.

NN: Oje.

Leupold: Drei Monate Böblingen - ich war verzweifelt, ich hatte Angst, dass ich meinen Platz in der Mannschaft verliere. Ich war wirklich den Tränen nah. Mein Glück war dann der Hauptfeldwebel.

NN: Ein 1. FC-Nürnberg-Fan?

Leupold: Nein, er schwärmte für den VfB, aber er war vor allem ein leidenschaftlicher Fußballfreund, der mir helfen wollte. Dank seiner Vermittlung durfte ich als Soldat beim VfB Stuttgart trainieren.

NN: Sie haben beim Bundesliga-Rivalen VfB Stuttgart trainiert und für den 1. FC Nürnberg gespielt?

Leupold: Ja, wir kannten uns ja gut, Willi Entenmann, der spätere Club-Trainer, war auch dabei beim VfB. Am Donnerstag ging’s immer zurück nach Nürnberg - oder eben mit dem Club auf die Auswärtsfahrt. Nach drei Monaten, zurück in Nürnberg, war ich dann aber Heimschläfer.

"Ohne unsere Frauen wäre das so nicht gegangen"

NN: Sie waren Fußballer, Soldat - und Ihr Schreibwaren-Geschäft mit Lotto-Toto-Annahmestelle in der Frankenstraße hatten Sie auch schon?

Leupold: Ja, das hat damals aber meine Frau geführt, eine Verkäuferin hatten wir außerdem. Ich wollte das auch nie aufgeben, man hatte damit damals eine Art kleines lokales Monopol. Wir haben es dann fast vierzig Jahre lang geführt.

NN: Nur und ganz auf den Fußball wollte damals noch keiner setzen?

Leupold: Es war die Schwelle zur Zeit, in der Fußballer dann nichts mehr anderes gearbeitet haben. Und es gab schon diese Schein-Jobs, die genug Zeit für den Fußball ließen. Den Arbeitsausfall hat der Verein finanziell beglichen.

NN: Gelernt haben Sie bei MAN, Technischer Zeichner.

Leupold: Das hätte ich auch gerne weiter gemacht, aber es ließ sich nicht mit dem Fußball vereinbaren. Bei allem Verständnis und aller Begeisterung: Das geht nicht, hat mein Chef damals gesagt. Und dann war mir der Fußball zu sehr Herzenssache.

NN: Eigentlich waren Sie also schon Fußballprofi?

Leupold: Vom Volumen des Aufwands her, ja - ohne unsere Frauen wäre das aber so nicht gegangen, fürs Geschäft hatte ich wenig Zeit. Und natürlich waren wir Profis mit viel weniger Geld als heute.

NN: Erinnern Sie sich an Ihr erstes Gehalt?

Leupold: Nicht genau, ich müsste in einer alten Lohntüte nachsehen. Wir bekamen das Gehalt in bar, in der Lohntüte war alles akribisch aufgelistet. Es dürften für junge Spieler, glaube ich, 120 D-Mark im Monat gewesen sein, dazu Prämien. Wir haben es in den Anfängen als eine Art zweites Gehalt gesehen. Du musstest eben etwas tun, jeder musste mithelfen. Die Leute waren alle stolz auf ihre Arbeit, das war eine schöne Verpflichtung - egal, ob einer Installateur war oder Lehrer oder Fußballer.

"Sind immer noch richtige Freunde"

NN: Hat man in der Kabine über Geld geredet?

Leupold: So gut wie nie, es haben ja alle mehr oder weniger das Gleiche bekommen, das war klar geregelt, und unsere Mannschaft bestand überwiegend aus Spielern, die sich jahrelang kannten. Da gab es keine Geheimnisse. Und keinen Neid aufeinander.

NN: Das haben viele der Meisterspieler von 1968 oft gesagt. Dass sie alle Freunde waren. Wart ihr das: richtige Freunde?

Leupold: Ja. Und wir sind es noch, obwohl wir leider schon sieben Mitspieler begraben mussten. Immer, wenn wir uns sehen, ist das sehr innig, sehr herzlich. Es gehören ganze Familien dazu, Kinder, Enkelkinder. Und das galt damals im Meisterjahr 1967/1968 sofort auch für die Neuen.

NN: Das waren Zvezdan Cebinac, der im Sommer 1967 aus Eindhoven kam, und Gustl Starek aus Wien. Sie gehörten gleich dazu?

Leupold: Sie waren sofort Freunde. Gustl mit seinem Wiener Schmäh, seinem Charme und seiner Schlitzohrigkeit - das hat uns gut getan, Cebi hat uns genauso einen Schub gegeben. Er war ein grandioser Rechtsaußen, einer, wie ich ihn selten gesehen habe, wir haben uns sofort verstanden und sind sogar gemeinsam mit den Familien in den Urlaub gefahren.

NN: Und gemeinsam mit Zvezdan Cebinac haben Sie sich etwas ganz Besonderes ausgedacht.

Leupold: Das Wechselspiel auf der rechten Seite. Dass ich als Verteidiger stürme und Cebi mich absichert, das kannten die Gegner damals noch nicht. Beim 1:0 gegen Mönchengladbach, unserem schönsten Spiel im Meisterjahr, war der Borussen-Linksaußen Klaus Ackermann ganz verzweifelt, weil er auf einmal mir hinterherlaufen musste. Der große Hennes Weisweiler hat Gladbach trainiert, Ackermann ist raus zu ihm und hat gefragt: Verdammt, wer ist denn dieser Stürmer? Das war unsere Idee, Max Merkel hat uns machen lassen.

NN: Ihr legendärer Trainer im Meisterjahr. Über Taktik haben Trainer noch nicht so viel geredet?

Leupold: Ganz wenig. Aber man spielte ja ein ganz anderes System. Zwei Verteidiger, drei Läufer, fünf Stürmer. Unsere Mannschaft war so intakt, dass jeder seine Position optimal ausfüllte. Wir waren alle ehrgeizig und selbstkritisch. Merkel hat uns fit gemacht, jeder hat getan, was er wollte. Er war ein Diktator, Spieler waren ihm Mittel zum Zweck - er hat auch über die Presse Druck gemacht.

NN: Tatsächlich?

Leupold: Das damalige 8-Uhr-Blatt war sein Sprachrohr, dem hat er Schlagzeilen geliefert. Und jeder war froh, wenn er nicht drin stand.

NN: Die Medien spielten demnach bereits mit?

Leupold: Ganz wenig im Vergleich zu heute, es war vielleicht einmal die Woche ein Journalist beim Training. Wenn ich, wirklich selten, einmal etwas gefragt wurde, ging es nur um Fußball. Aber Merkel waren die Medien wichtig.

"Merkel war eine Autorität"

NN: Der Trainer war zeitlebens eine höchst umstrittene Figur. Profi durch und durch. Aber unnahbar - und kalt?

Leupold: Ja, das trifft es.

NN: Es gibt keine Bilder von ihm mit einem Spieler im Arm.

Leupold: Das konnte er gar nicht, jemanden umarmen.

NN: Man wusste nie, wer er wirklich war, wie er empfand?

Leupold: Das wollte er wohl nicht. Merkel war eine Autorität, mit ihm haben wir das Höchste erreicht, was man in Deutschland erreichen kann, also hat er es gut gemacht. Widersprochen hat ihm keiner. Aber er hat später die Meistermannschaft auseinandergerissen, er konnte sehr beleidigend sein, hart, sogar gemein - ohne Merkel wären wir 1969 nie abgestiegen, wir hätten in der Bundesliga mit Sicherheit weiterhin eine gute Rolle gespielt. So haben wir dem FC Bayern München das Feld kampflos überlassen. Aber das (lächelt)... das ist ein Thema für das nächste Jahr. In diesem Jahr wollen wir uns an unsere schönste Zeit erinnern.

NN: Sie genießen das immer noch?

Leupold: Ich muss manchmal selbst schmunzeln: Eigentlich habe ich mein ganzes Leben auf zehn Kilometern verbracht. Ich kam am Dutzendteich zur Welt, unser Geschäft war in der Frankenstraße, im Städtischen Stadion habe ich Fußball gespielt. Ich habe Freunde fürs Leben gefunden, und ich würde diese Zeit gegen keine andere tauschen wollen, gegen kein Geld der Welt. Heute kann man so etwas im Fußball gar nicht mehr erleben.

"Es waren einige Schicksalsschläge"

NN: Sie machten immer den Eindruck eines dankbaren Menschen.

Leupold: Das bin ich, ja. Manchmal denke ich an die Mitspieler, die in
viel zu jungen Jahren gestorben sind, sie hätten uns noch so lange so gut getan.

NN: Hubert Schöll nahm sich mit 46 Jahren das Leben, Heinz Strehl starb, offenbar ziemlich einsam, mit nur 48 Jahren. Nandl Wenauer erlag mit 53 jäh einem Herzinfarkt, Roland Wabra verunglückte, nach einem Zusammenstoß mit einem Geisterfahrer, mit 58 tödlich im Auto. Und Helmut Hilpert, Ihr Schwager, starb kurz vor seinem sechzigsten Geburtstag.

Leupold: Es waren einige Schicksalsschläge, jetzt vor rund zwanzig Jahren und damals kurz hintereinander. Das hat uns sehr getroffen. Der Heinz (Strehl) hatte am Ende zu viele falsche Menschen um sich, Schulterklopfer, er war ein feiner, sensibler Mensch und manchmal wirklich alleine. Ich war öfter bei ihm und wollte ihm helfen. Mensch, Heinz, wir sind doch für dich da, habe ich ihm gesagt... Wir vermissen sie alle sehr. Aber viele ihrer Familienangehörigen kommen heute noch gerne zu unserem Meisterstammtisch, wie wir das nennen, zum Endres in den Zabo.

NN: Haben Sie noch eine spezielle Erinnerung an 1968? Eine Medaille oder einen Pokal?

Leupold: Meister-Medaillen gab es damals noch nicht, aber vom Club haben wir jeder eine schöne Uhr bekommen. Als ich später Trainer in Katzwang war, hab’ ich sie verloren, im Winter auf einem morastigen Fußballplatz - leider haben wir sie da nicht mehr gefunden.

NN: Herr Leupold, vielen Dank. Und natürlich ist es eine Ehre, Sie...

Leupold:... nein, nein, überlassen Sie die Rechnung bitte mir. Ich hatte als Fußballer doch zwei Gehälter.

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