Monatelang eingesperrt: Aktivist Steudtner spricht über Haft

21.11.2018, 09:45 Uhr
Peter Steudtner (46) beschäftigt sich seit dem Politikstudium mit gewaltfreier Konfliktbearbeitung. Als Seminarleiter und Menschenrechtsaktivist war er unter anderem in Nepal, Mosambik und Palästina tätig. Im Juli 2017 wurde er in Istanbul verhaftet und saß wegen Terrorvorwürfen bis Ende Oktober 2017 in U-Haft. Der Prozess gegen ihn läuft weiter.

© Michael Kappeler/dpa Peter Steudtner (46) beschäftigt sich seit dem Politikstudium mit gewaltfreier Konfliktbearbeitung. Als Seminarleiter und Menschenrechtsaktivist war er unter anderem in Nepal, Mosambik und Palästina tätig. Im Juli 2017 wurde er in Istanbul verhaftet und saß wegen Terrorvorwürfen bis Ende Oktober 2017 in U-Haft. Der Prozess gegen ihn läuft weiter.

Herr Steudtner, Sie wurden mit anderen Aktivisten während eines Workshops auf der Istanbuler Insel Büyükada festgenommen. Worum ging es da?

Peter Steudtner: Es ging darum, wie Menschenrechtsverteidiger besser mit Stress und Trauma umgehen können und wie sie ihre Daten und Kommunikation mit legalen Mitteln schützen können. Der Workshop wurde von der türkischen Menschenrechtsplattform IHOP veranstaltet. Neben zwei Übersetzern gab es acht Teilnehmende, darunter Menschenrechtsanwälte und eine Mitarbeiterin von Amnesty International Türkei.

Was geschah nach der Festnahme?

Steudtner: Die ersten zwei Nächte verbrachte ich zusammen mit meinem ebenfalls festgenommenen Kollegen Ali Gharavi (iranisch-schwedischer IT-Strategieberater und Menschenrechtsaktivist, Anm. d. Red.) in zwei Polizeizellen auf Büyükada, die durch Gitter getrennt waren. Meine Sachen wurden mir abgenommen und durchsucht. Entsprechend der Notstandsgesetzgebung durften wir während ersten 24 Stunden mit niemandem Kontakt aufnehmen. Erst dann konnte ich das deutsche Konsulat einschalten, das aber schon durch unsere Familien und Kollegen informiert war. Das hat zum Glück gleich geklappt, vom Konsulat wurde ich gut betreut. Die folgenden zwei Wochen verbrachten wir dann im unterirdischen Anti-Terror-Gewahrsam unter dem Polizeipräsidium Vatan in Istanbul.

Wie waren dort die Bedingungen?

Steudtner: Gar nicht gut. Das ist eine ehemalige Tiefgarage, in die die Zellen eingebaut wurden. Die hygienischen Bedingungen und das Essen waren sehr schlecht.

"Solidarität ist sehr wichtig"

Ihren Mitgefangenen wurde wie Ihnen Terrorunterstützung vorgeworfen wurde. Wie kamen Sie aus?

Steudtner: Die Kommunikation war gut, einige konnten Englisch. Wir haben kleine Workshops veranstaltet, wie wir mit dem Stress und auch der Wut und Traurigkeit umgehen können. Solidarität ist in so einer Situation sehr wichtig und war zwischen allen Gefangenen dort zu spüren.

Sie berichten sehr ruhig von der Haftzeit. Hat diese Erfahrung für Sie heute, gut ein Jahr später, etwas Surreales, wie eine Art böser Traum?

Steudtner: Teilweise, wobei ich immer wieder daran erinnert werde. Auch der Prozess gegen mich und die übrigen Workshop-Teilnehmenden läuft ja weiter. Ich versuche, sie zu unterstützen und arbeite mit meiner Partnerin und anderen gerade an einer Art Ratgeber mit praktischen Tipps für Menschen, die zu politischen Gefangenen werden, sowie für ihre Angehörigen und Anwälte. Ich versuche, diese Geschichte positiv aufzuarbeiten. Trotzdem gab es in der Haft immer wieder auch Momente der Angst. In denen denkt man, was bei einer Verurteilung wegen Terrorunterstützung passiert: Dann wachsen die Kinder ohne dich auf, deine Partnerin wird zwangsweise zur Alleinerziehenden.

Wann war Ihnen nach der Festnahme klar, dass Sie sich auf eine längere Haftzeit einstellen mussten?

Steudtner: Als wir erfahren haben, dass es um Terrorvorwürfe ging. Nachdem das Gericht Untersuchungshaft angeordnet hatte, wurden wir in ein anderes Gefängnis verlegt. Zuletzt kam ich für zweieinhalb Monate in das politische Gefängnis Silivri. Nach drei Tagen in Einzel-Isolationshaft, war ich dort in Zweier-Isolationshaft mit einem jungen Türken. Wir haben uns ganz gut verstanden, ich habe ihm aber nichts erzählt, das ihn oder mich in Bedrängnis bringen könnte. Wir haben manchmal gescherzt, dass wir in einer Zwangs-WG leben.

Waffendeals und öffentliche Aufmerksamkeit

Nach fast vier Monaten in verschiedenen Zellen durften Sie ausreisen. Wissen Sie, ob die Bundesregierung dafür Zugeständnisse an die Türkei gemacht hat?

Steudtner: Nein, darüber weiß ich nichts. Es könnte sein, dass dafür Verträge oder Genehmigungen für Waffenexporte unterzeichnet wurden, aber eine Bestätigung dafür gibt es nicht. Das finde ich sehr unbefriedigend, ich bin dagegen, dass Menschenrechte mit Waffendeals erkauft werden. Das widerspricht auch dem Ziel unserer Arbeit.

Immer noch befinden sich auch deutsche Staatsbürger in türkischer Haft. Die deutsche Journalistin Mesale Tolu, die über ein halbes Jahr wegen des Vorwurfs der Terrorpropaganda festgehalten wurde, hat Betroffenen geraten, an die Öffentlichkeit zu gehen. Wie sehen Sie das?

Steudtner: Öffentliche Aufmerksamkeit kann helfen. Sie kann auch dazu beitragen, dass man in der Haft zumindest ordentlich behandelt wird. In meinem Fall war die Unterstützung durch Menschenrechtskollegen in der Türkei und durch meine Anwälte sehr wichtig. Ein solches Netzwerk hilft auf jeden Fall, die Zeit zu überstehen.


Peter Steudtner erhält am Mittwoch einen mit 1500 Euro dotierten Menschenrechtspreis der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Erlangen. Bei einem Kommentargottesdienst in der Hugenottenkirche ab 19 Uhr hält er die Kanzelrede. Die Laudatio hält der Erlanger Professor Heiner Bielefeldt, Lehrstuhlinhaber für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik.

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