Mutig, tapfer, unerschrocken – aber keine Spur von Macho

17.10.2016, 20:09 Uhr
Mutig, tapfer, unerschrocken – aber keine Spur von Macho

© Michael Matejka

Cem ist ein Held, Mert auch. Was an ihnen heldenhaft ist? Ein Heroe ist doch Siegfried, der Strahlemann der althochdeutschen Dichtung Der Feuerwehrmann, der eine alte Frau aus den Flammen rettet. Er ist mutig, tapfer und unerschrocken. Und dank seiner Fähigkeiten begeht er eine außergewöhnliche Tat.

Cem macht sich gegen Rassismus stark. Wenn ihm einer da mit dummen Sprüchen kommt, wehrt er sich – verbal. Und er stellt dem Gegenüber Fragen, wie er denn zu seinen Überzeugungen komme? „Das bringt manche schon zum Nachdenken.“ Mert setzt sich für die Gleichberechtigung von Mann und Frau ein. Und zwar nicht nur für die, die auf dem Papier steht, sondern für ein echtes, gelebtes Miteinander.

Cem und Mert sind Heroes, zertifiziert durch das gleichnamige Nürnberger Projekt. Es richtet sich an junge Männer, die aus so genannten Ehrenkulturen stammen, angesprochen werden Jugendliche mit Migrationshintergrund: Cems und Merts Familien kamen aus der Türkei. Und auch wenn beide versichern, ihre Eltern seien liberal und aufgeschlossen, so hat sie das Projekt doch verändert.

Überlegte Sätze

„Ich kann hier über Themen reden, die meine Freunde nicht so interessieren“, sagt Mert, 18 Jahre, kurze schwarze Haare, ein freundliches, vorsichtiges Lächeln. „Ich habe gelernt, mich besser zu artikulieren“, sagt Cem, 21 Jahre, der in wohlgesetzten, überlegten Sätzen spricht. „So kann ich meine Überzeugungen auch besser rüberbringen.“ Und er hat gelernt, dass es hilft, sich mit dem Gegenüber auseinanderzusetzen, nicht nur dagegen zu sein, den Anderen gleich als Idioten abzustempeln und ihn schwach anzureden.

Das Heroes-Projekt wurde 2007 in Berlin gegründet, unter anderem von dem arabischen Autor und Psychologen Ahmad Mansour. Sieben weitere Städte zogen nach: zunächst Duisburg, dann auch München, Augsburg, Köln, Schweinfurt und Offenbach. 2013 dann auch Nürnberg. Einmal in der Woche trifft sich die Gruppe in Gostenhof in einem etwa 30 Quadratmeter großem Raum, der den spröden Charme eines alten Gruppenstundenzimmers verströmt. In der Ecke steht eine alte Couch, an der Wand hängt ein Foto der Gruppe, es gibt ein Flipchart, auf dem Tisch stehen Kekse und ein paar Flaschen Wasser.

Zwei Welten

Die Gruppe besteht aus aktuell acht Jungs, alle zwischen 16 und 21 Jahre alt und mit Migrationshintergrund. Sie stehen zwischen zwei Welten und müssen gegensätzliche Erwartungen erfüllen: Sie befinden sich zwischen den traditionellen Werten der Elterngeneration und den der Mehrheitsgesellschaft, in der sie leben. Dadurch entstehen Widersprüchen, manche fühlen sich in keiner Welt richtig aufgehoben – dadurch kann es auch zu Aggressionen kommen.

Das Projekt Heroes will hier präventiv ansetzen. Die jungen Männer sollen sich mit Identität, Ehre, Geschlechterrollen, Selbstbestimmung und Rassismus auseinandersetzen. Und immer soll es gegen Unterdrückung im Namen der Ehre gehen – primär bei der Machtausübung von Männern gegen Frauen.

Mert und Cem sind die eher leichten Fälle bei Heroes: von Grund her schon aufgeschlossene Jungs. Wenn auch in ihnen – wie in vielen Gleichaltrigen – manch überholte Denkmuster stecken. Dass der Mann mehr verdienen sollte, als seine Frau, das dachte auch Mert. Schließlich müsse er sie versorgen. So als richtiger Mann. Heute sieht er das entspannter. Und Cem fühlt sich oft in eine Schublade gesteckt. „Du bist doch der Türke“, sagen die anderen und bauen im Kopf das Klischee-Bild eines Machos auf. Cem hat bei Heroes gelernt, damit besser umzugehen, nicht gleich wütend zu werden, sondern zu reden, zu diskutieren.

Und dann gibt es noch die komplizierten Fälle, die Jungs, die wirklich in patriarchalen Strukturen verhaftet sind. Öffentlich darüber reden wollte keiner von ihnen – und auch Cem und Mert nur ihre Spitznamen in der Zeitung lesen —, dafür tun es die Projektmitarbeiter. „Bei manchen haben wir schon eine krasse Wandlung erlebt“, sagt Eric Mbarga, ein schmaler Mann mit ruhiger Stimme.

Der studierte Germanist ist einer der beiden Nürnberger Gruppenleiter; beide haben selber einen Migrationshintergrund, Mbargas Familie kommt aus Kamerun, Talih Igdes aus der Türkei.

Das ist Konzept, die Jungs sollen die Gruppenleiter nicht nur schnell akzeptieren, sondern auch das Gefühl haben, dass die beiden – die ja ähnliche Erfahrungen gemacht haben – sie verstehen. „Wir werden als Menschen wahrgenommen, die sich in sie hineinfühlen können“, sagt Igde.

„Wir bieten einen geschützten Raum, in dem die Jugendlichen über alles reden können“, ergänzt Mbarga. „Es gibt keine Denkverbote.“ Egal ob es um politische Einstellungen, kulturelle Vorstellungen oder Sexualität geht. Gesagt werden kann erst mal alles.

In einem solchen Raum öffnet sich auch ein Teilnehmer und erzählt von seiner Homosexualität – jungen Männern aus patriarchalen Gesellschaften fällt ein Outing besonders schwer. Bei Heroes wagt der Teenager den Schritt. Und andere rückten ab von ihrer alten Überzeugung, die Frau müsse zu Hause bleiben und die Kinder hüten. Dabei wird niemanden eine Überzeugung übergestülpt, betont Mbarga. Doch die Gespräche verändern die Jungs und bauen ihre Vorurteile ab.

Jugendliche halten Workshops

Dies sollen sie weitergeben. Denn die Heroes wirken nicht nur in die Gruppe, sondern auch nach außen. Die Jugendlichen halten selber Workshops an Schulen, stehen vor nur wenig Jüngeren oder gar Gleichaltrigen, erzählen von dem Projekt und ihren Überzeugungen. „Das gibt ihnen für ihr Selbstbewusstsein noch einen ordentlichen Schub.“ Und ihre Gegenüber nehmen ihnen, denen sie sich näher als irgendwelchen Erwachsenen fühlen, die Geschichte auch wirklich ab.

Cem und Mert sind seit einem Jahr bei den Heroes, haben viele, viele Stunden gesprochen, ein Zertifikat über ihre Tätigkeit bekommen und gehen nun selber in Schulen. Und vielleicht, sagen sie, ist unter den Zuhörern der ein oder andere nächste Heroe dabei. Sie würden ihn gerne aufnehmen, mit ihm diskutieren, ihm Fragen stellen. Und auf seine Antworten gespannt sein. Denn Helden kann man immer brauchen.

Junge Männer zwischen 16 und 23 Jahre, die einen Migrationshintergrund haben und sich für das Projekt Heroes interessieren, können sich gerne bei den Projektleitern melden, Tel.: 0911/21248970 oder info@heroes-nuernberg.de