NGO-Infostände: Viele Passanten fühlen sich bedrängt

19.8.2016, 06:00 Uhr
NGO-Infostände: Viele Passanten fühlen sich bedrängt

© Foto: Horst Linke

Es ist wohl jedem schon einmal passiert: Nur mal schnell etwas in der Innenstadt besorgen, schon wird man angequatscht. Einmal nicht aufgepasst – und schon wird man in ein Gespräch verwickelt. Im nächsten Moment hat man auch schon ein Formular und einen Stift in der Hand. Läuft es ganz schlecht, lässt man sich schließlich zu einer Unterschrift hinreißen. Auf dem Weg nach Hause folgt dann oft die Ernüchterung – und die Frage: "Was habe ich eigentlich gerade unterschrieben?"

Ähnlich wird es auch dem ein oder anderen Nürnberger in den vergangenen Wochen ergangen sein. Denn es sind Werber von verschiedenen Hilfsorganisationen in der Stadt. In dieser Woche hat etwa der "SOS Kinderdorf"-Verein seinen Stand neben der Lorenzkirche aufgebaut.

Beharrlich versuchen die fünf Mitarbeiter in den grellgrünen Shirts, Passanten an den ebenso grellgrünen Pavillon zu locken – und vom guten Zweck zu überzeugen. Wer die Szenerie beobachtet, wird unweigerlich an das klassische Bild im Tierreich erinnert: Wie Raubtiere schleichen sie in ihrem Jagdgebiet umher – immer auf der Suche nach der nächsten Beute. Doch es gibt einen gravierenden Unterschied – bei den Werbern lautet die Devise: Hauptsache auffallen.

Die Mitarbeiter stellen sich beinahe in den Weg, rufen Fußgänger von Weitem mit großen Gesten zu sich herüber und reden jeden an, der ihnen über den Weg läuft. Dabei sind sie laut, ausschweifend – einfach rundum auffällig.

Noch für die gute Sache oder schon Belästigung?

Auffällig ist auch, dass viele Passanten einen großen Bogen um den Stand machen. So auch Julia, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte. Sie fühlt sich durch solche Werbemethoden belästigt. Die 25-Jährige ist in ihrer Mittagspause oft in der Innenstadt unterwegs. Weil sie dabei immer wieder an solchen Ständen vorbei muss, werde sie auch oft angeredet. "Ich bin da vorsichtig. Gerade, weil ich in einer Anwaltskanzlei arbeite, und da einiges mitbekomme." Sie sage deshalb immer gleich "Nein" – und meistens werde das dann auch akzeptiert. Ihr Tipp: mit dem Handy telefonieren – "da werde man auch in Ruhe gelassen".

So wie Julia geht es auch vielen anderen Passanten, wie sie auf Nachfrage erzählen. Sie fühlen sich durch die Infostandkampagnen gestört. Aurelia Noventa hat auf diese Weise vor Jahren mal einen zweijährigen Vertrag bei der Unicef abgeschlossen. 90 Euro musste sie im Jahr zahlen – viel Geld für einen Azubi, der sie damals war. Der Werber habe ihr ein schlechtes Gewissen eingeredet und er "wusste einfach auf alles eine Antwort". Also unterschrieb sie.

Beschwerden kommen dem städtischen Liegenschaftsamt allerdings selten zu Ohren, erzählt Sachgebietsleiterin Brigitte Jäger. Sie erteilt die Genehmigungen für die Stände. Auch bei der Polizei hat sich noch keiner beschwert.

Auch, wenn sie viel Ablehnung erfahren, höflich bleiben die SOS-Kinderdorf-Werber immer. Das ist Vorgabe des Berliner Dienstleisters "Talk2Move", bei dem sie eigentlich angestellt sind – und den die Organisation beauftragt hat. "Es gibt Qualitätsrichtlinien (offen, ehrlich, freundlich), an die sich jeder Mitarbeiter zu halten hat", erklärt Sprecherin Nadine Sachse von "Talk2Move". Die Mitarbeiter sind Schüler und Studenten, die dem Unternehmen zufolge nach dem gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde bezahlt werden – und die sich Fundraiser nennen. "Zusätzlich erhalten sie Prämien für qualitativ hochwertige Arbeit."

In Teams von fünf bis acht Personen gehen sie auf Deutschlandtour. Jede Woche sind sie in einer anderen Stadt, erklärt ein Mitarbeiter am Stand der Non-Profit-Organisation (NGO). Eigentlich komme er aus Sachsen-Anhalt. Teamgeist wird groß geschrieben beim "schönsten Nebenjob aller Zeiten", wie es in der Stellenausschreibung von "Talk2Move" steht. Von einer ablehnenden Haltung der Passanten weiß Sprecherin Sachse nichts: "Der Großteil der Passanten ist freundlich und sie sind begeistert, dass sich junge Menschen für NGOs starkmachen in ihrer Freizeit."

"Die Welt besser machen"

Mit seiner Arbeit wolle er die Welt etwas besser machen, erklärt der quirlige junge Mann vom Stand. Wer sich an dem Stand über die Organisation informieren möchte, bekommt den Satz innerhalb weniger Minuten immer wieder zu hören: "Gemeinsam die Welt besser machen".

Dazu wird ein Ordner mit Bildern von Kinderdörfern auf der ganzen Welt gezeigt. Nach knapp zehn Minuten gibt es ein Formular für eine monatliche Spende von 30 Euro obendrauf. Wer unterschreibt, bekommt einen "Team-Applaus" von allen fünf Mitarbeitern für die maximale Aufmerksamkeit des Umfelds. 90 Prozent der Spender würden auf diese Weise angeworben, erklärt der Mitarbeiter.

Das kann Carolin Mauz, Pressesprecherin vom SOS Kinderdorf, auf Nachfrage jedoch nicht bestätigen: "Der Hauptweg, wie Spender zum SOS-Kinderdorf-Verein kommen, ist über unsere Internetseite, durch einen Anruf, oder wir erhalten Briefe."

Dass man auch online über die Webseite einen Spendenvertrag abschließen könne, verneinte der Stand-Mitarbeiter zuvor. Auch habe er keine Unterlagen zum Mitnehmen da: Die Organisation wolle die Werbekosten so gering wie möglich halten, damit mehr Geld bei den Bedürftigen ankommt, sagt er. Die Taktik ist klar: Offensichtlich will er den Interessenten noch an dem Stand zu einer Unterschrift bewegen. Denn auf dem Formular ist auch ein Feld, in das er seinen Namen eintragen kann – so bekommt er die Prämie.

Aber wieso betraut SOS Kinderdorf ein externes Unternehmen mit dieser Aufgabe? "Wir ziehen hierfür kein Personal ab", denn die eigenen Mitarbeiter werden in der Kinder- und Jugendhilfe gebraucht, sagt Pressesprecherin Mauz. "Wir überlassen das Leuten, die das können." Denn Fundraiser werden in Sachen Kommunikation geschult. Und mit potenziellen Spendern direkt ins Gespräch zu kommen, sei laut Mauz unerlässlich. Die Sprecherin sagt aber auch: "Wir wollen auf gar keinen Fall, dass sich jemand bedrängt fühlt. Ein Beitritt sollte immer ein freiwilliges Engagement sein."

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