Nürnbergerin berichtet: So leiden die Flüchtlinge in Camps

20.6.2018, 06:00 Uhr
Nürnbergerin berichtet: So leiden die Flüchtlinge in Camps

© privat

 Die Nürnbergerin hat drei Wochen lang in griechischen Flüchtlingscamps gearbeitet. Eine Zeit, die sich ihr tief ins Gedächtnis gebrannt hat. Hier erzählt sie ihre Geschichte. 

"Das war das schlimmste, was ich dort erlebt habe. Diese jungen Männer, die auf den Platz kamen, wo wir Essen ausgegeben haben. Die waren unglaublich mager", erinnert sich Ivonne Keitel-Köhler. Drei Wochen lang hat sie das Elend von Flüchtlingen in Griechenland miterlebt, als ehrenamtliche Helferin in Diensten der "Intereuropean Human Aid Association" (IHA). Die Organisation war seit Gründung im Jahr 2015 in neun Ländern entlang der Balkanroute aktiv, aktuell sind es zwei Länder (Griechenland und Bosnien-Herzegowina). 

Die Situation, die die Nürnbergerin beschreibt, hat sich an einem Platz in Thessaloniki abgespielt. Etwa 70 Flüchtlinge, meist junge Männer, fanden sich dort ein, als sie und andere Helfer dort Portionen mit Essen ausgaben. "Einige waren verletzt, fast alle sehr geschwäch", so Keitel-Köhler." Einer hat sich nur bis auf wenige Meter an uns herangetraut. Aus Scham, denke ich. Sobald die Leute ihre Portion erhalten, lassen sie sich wo sie sind am Boden nieder und beginnen zu essen", schildert sie. Das hat ihr Herz sehr angerührt.

Essensrationen packen - "im Akkord" 

Diese extreme Situation hat die 42-Jährige allerdings nur einmal während ihrer Zeit in Griechenland erlebt. Ihr "Alltag" sah ganz anders aus. Die IHA hatte sie mit anderen Helfern aus Spanien und den Niederlanden in einer kleinen Wohngemeinschaft untergebracht. Von diesem Haus aus ging es morgens zum sogenannten "warehouse" (Warenlager), wo sie beim "Veggie-Packing" (Gemüsepacken) half — die Sprache der humanitären Hilfe ist Englisch. Die IHA sammelt dort zum einen Bekleidung und Hygieneartikel, um sie zu sortieren und später an Flüchtlinge zu verteilen. Zum anderen werden dort über mehrere Stunden hinweg exakt definierte Essensrationen gepackt, "im Akkord", wie Keitel-Köhler berichtet.

Nürnbergerin berichtet: So leiden die Flüchtlinge in Camps

© Intereuropean Human Aid Association

Mit diesen Waren im Gepäck ging es in mehrere Lager im Umland von Thessaloniki, etwa ins Camp Diavata, das rund zehn Kilometer nordwestlich der Großstadt liegt. Die Situation dort ist laut der IHA mit am problematischsten: Das Lager hat laut offiziellen Angaben eine Kapazität von 750 Personen, aktuell leben dort aber schätzungsweise 2100 Geflüchtete — zumeist Syrer und Afghanen, aber auch Pakistaner, Jesiden und syrische Kurden, die kürzlich aus Nordsyrien vertrieben wurden. Wer nicht im Container unterkommt, ersteht im Umfeld des Camps Billig-Zelte und kombiniert diese mit Planen und anderen Baumaterialien, um sich im Umfeld der Helfer eine Art feste Unterkunft zu zimmern — damit man wenigstens im Lager bleiben kann.

Viele bekommen kein Geld 

Bei ihrer Arbeit in den Camps hat die Aktivistin aus Nürnberg erfahren, dass es innerhalb der Einzäunung so etwas wie eine Zwei-Klassen-Gesellschaft gibt. "Die Flüchtlinge kommen in Griechenland an und werden an der Grenze registriert", sagt Keitel-Köhler. Sodann werden sie ihrem Schicksal überlassen. Manchmal werden sie in Busse gesetzt und zu verschiedenen Lagern gefahren, viele davon werden von kleinen und kleinsten privaten Hilfsorganisationen betrieben.

"Nun ist es aber oft so, dass vielleicht 50 Leute ankommen, in den Wohncontainern im Camp aber nur noch acht Plätze frei sind. Die werden dann bevorzugt vergeben an Familien mit Kindern." Wer das geschafft hat, bekommt eine sogenannte cashcard, also eine Art Kreditkarte. "Da sind 150 Euro pro Monat drauf, damit kann man normal einkaufen, wie mit einer EC-Karte. Dies ermöglicht ein halbwegs selbstbestimmtes Leben", hat Keitel-Köhler beobachtet. "Allerdings gibt es Camps, die weit ab vom Schuss sind. Es gibt also kaum Einkaufsmöglichkeiten für die Flüchtlinge.

"Es beschämt mich, dass Europa nicht zusammenhält" 

Nürnbergerin berichtet: So leiden die Flüchtlinge in Camps

© Intereuropean Human Aid Association

Von diesem Geld muss aber alles bezahlt werden, was sie benötigen: Lebensmittel, Hygieneartikel, Kleidung, Babywindeln, Bustickets undsoweiter. Windeln sind sehr teuer, und da reicht das Geld kaum aus", berichtet die 42-Jährige. Wer es nicht in einen dieser Container geschafft hat, hat sozusagen Pech gehabt. Er wird zwar nicht rausgeworfen, hängt aber zwischen Baum und Borke fest, muss im Zelt leben, bekommt keine cashcard, muss sehen, wo er bleibt — und sich allein in einem fremden Land um eine Anerkennung als Flüchtling und ein Bleiberecht bemühen. Das schaffen nur die allerwenigsten, allein schon wegen der Sprachbarriere. 

Keitel-Köhler schätzt, dass zwei von drei Flüchtlingen gezwungen sind, in Zelten oder auf der Straße zu leben. "Diese Gruppe hat keinerlei Anbindung, kaum Ansprache, keine Beschäftigung und keinerlei soziale Kontakte, die über den Zaun des Camps hinausgehen", hat die 42-Jährige beobachtet. Diese Erkenntnis hat die Nürnbergerin kalt erwischt. "Ich denke, Europa und auch Deutschland versuchen, sich (über den Flüchtlingsdeal mit der Türkei, Anm. d. Red.) freizukaufen. Wir lassen Griechenland und Italien alleine. Wir verschließen die Augen. Und es beschämt mich, dass Europa nicht zusammenhält und die Last nicht gemeinsam schultert." 

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