"Pannen passieren": Bayerns Gesundheitsminister im Interview

14.1.2021, 06:00 Uhr
Klaus Holetschek spricht im Interview über die Dependance in Nürnberg und darüber, ab wann die Menschen auf Lockerungen hoffen dürfen.

© Leonhard Simon / Imago images Klaus Holetschek spricht im Interview über die Dependance in Nürnberg und darüber, ab wann die Menschen auf Lockerungen hoffen dürfen.

Herr Holetschek, Sie haben ein halbes Jahr an der Seite von Melanie Huml gearbeitet. Was hat sie falsch gemacht, dass sie jetzt ihren Posten räumen musste?

Klaus Holetschek: Wir haben gut im Team zusammengearbeitet. Allerdings entscheidet der Ministerpräsident, wen er in sein Kabinett beruft und wem er welche Aufgabe anvertraut. Melanie Huml wirkt an einer neuen Stelle als Europaministerin. Sie wird sich dort einbringen, etwa, wenn es um den Impfstoff geht. Ich bin immer gut mir ihr klargekommen.


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Der Ministerpräsident hat Sie berufen, weil Sie „ein Macher und Entscheider“ seien. Worin unterscheiden sich von Huml?

Holetschek: Jeder hat seine Arbeitsweise. Mich hat die Kommunalpolitik geprägt, die zwölf Jahre als Bürgermeister und als stellvertretender Landrat. Ich bin impulsiver. Jeder arbeitet anders. Deswegen ist aber das eine nicht besser als das andere.

Ihr Haus unterhält eine Dependance in Nürnberg. Wie sinnvoll ist es, das Ministerium auf zwei Häuser zu verteilen?

Holetschek: Horst Seehofer hat das so entschieden und daran wollen wir auch festhalten. Natürlich hat das Vor- und Nachteile. Wollten wir die Ressourcen bündeln, spräche vieles für München. Aber für Nürnberg ist es wichtig. Die Metropole profitiert davon.


Ihr Ministerium arbeitet seit zehn Monaten im Krisenmodus, viele sagen, eher schlecht als gut. Woran liegt es?

Holetschek: Wir müssen unsere Arbeit hinterfragen. Wir haben gute, motivierte Mitarbeiter, die sehr viel leisten. Aber die Abläufe sind mir zu kompliziert. Da fremdle ich mit der Ministerialbürokratie. Ich bin ein Anhänger von flachen Führungsstrukturen, die Entscheidungen beschleunigen und Verantwortung konzentrieren. Aber die Pandemie fordert uns an Stellen heraus, die nicht vorhersehbar waren. Da fahren wir auch auf Sicht. Ich werde mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern analysieren, wo wir besser werden können. Das gilt auch für Fragen rund um die Pflege oder die Krankenhäuser. Das ist im Moment aber nicht vordringlich. Jetzt müssen wir erst einmal die Krise bewältigen.


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Über Pflege und Kliniken sprechen wir noch. Ihre Impfstrategie steht in der Kritik, angefangen von den Impfzentren bis zu den falschen Boxen, in denen der Impfstoff verdirbt.

Holetschek: Ich nehme konstruktive Kritik immer an, weil sie uns besser macht. Meine Grenze ist dort, wo Kritik nur aus politischem Kalkül kommt. Nach meiner Einschätzung sind wir bei der Impfthematik gut aufgestellt. Ich halte es für richtig, dass wir den Landräten und Oberbürgermeistern überlassen, wie sie das vor Ort organisieren, in den Leitplanken, die wir setzen. Der Bund sorgt für den Impfstoff, wir verteilen ihn, die vor Ort spritzen. Natürlich passieren Pannen. Das ist aber normal, solange sie sich nicht wiederholen.

Glauben Sie dass die öffentliche Wahrnehmung im Moment zu sensibel ist?

Holetschek: Natürlich ist es unser Anspruch, dass wir das Optimum für unsere Bürger erreichen. Ich war Bürgerbeauftragter, ich weiß, wie immens wichtig es ist, dass wir uns um die Probleme der Menschen kümmern. Es stimmt aber, dass im Moment in der veröffentlichten Meinung das eine oder andere Problem überproportional hoch kocht. Wir sollten immer abwägen und die Perspektive des anderen einnehmen. Dazu gehört, dass die Herausforderungen, die sich uns stellen, nicht trivial sind. Das sollten wir berücksichtigen. Im Nachhinein ist jeder klüger.


Knapp 155.000 Menschen sind in Bayern geimpft, binnen 14 Tagen. Wenn wir in dem Tempo weitermachen, haben wir in einem halben Jahr etwa 1,4 Millionen von 14 Millionen Bayern geschützt. Das ist eher erschreckend als aufmunternd.

Holetschek: Das ist nur ein erster Stand. Wenn wir mehr Impfstoff bekommen, der sich auch leichter lagern lässt, wird sich das ändern. Spätestens dann können wir die Hausärzte und die Betriebsärzte einbeziehen. Das wird uns voranbringen. Wir stehen erst am Anfang. Aber es ist auch so, dass bereits 60 der hundert Impfzentren arbeiten und dass die mobilen Team in den Alten- und Pflegeheimen unterwegs sind. Wir entwickeln die Impfkette jeden Tag weiter.

Wenn der Impfstoff das Problem ist – warum baut der Staat nicht eine eigene Fabrik auf als Lizenznehmer? Angesichts der Milliarden, die wir im Moment ausgeben, dürfte das nicht so schwierig sein.

Holetschek: Wenn es darum geht, wie wir die Produktionskapazitäten steigern können, kann der Staat nur begrenzt handeln. Wir haben dafür gar nicht das notwendige technische Wissen. Aber wir tun, was wir können, indem wir den Standort ausbauen und die Strukturen schaffen. Da sind wir gut aufgestellt und können schnell reagieren. Wir fördern die Pharmaindustrie nach Kräften.

Ihr Koalitionspartner fordert, dass im Februar die Geschäfte aufmachen sollen. Wie wahrscheinlich ist das?

Holetschek: Unwahrscheinlich. Ich verstehe den Wunsch der Menschen nach Normalität. Aber angesichts des mutierten Virus in Großbritannien und Irland müssen wir vorsichtig sein. Wir sind mitten im Winter und sollten keine falschen Hoffnungen wecken, sondern zusammenhalten.

Die Freien Wähler sagen, im Sommer sei alles überstanden. Sehen Sie das auch?

Holetschek: Ich verfüge nicht über die Gabe der Prophetie. Ich glaube zwar, dass wir eine Chance haben. Aber niemand kann guten Gewissens ein Datum nennen. Im Moment gibt es nur eine Gewissheit: Wir müssen impfen, Masken tragen und die Kontakte beschränken.


Was die Menschen irritiert ist, dass die Maßnahmen nicht mehr konsistent sind. Schreckt die Politik im Wahljahr vor der letzten Härte zurück?

Holetschek: Nein. Das ist kein taktisches Kalkül. Wir zeigen Führung und übernehmen Verantwortung. Wir wägen aber auch ab, schließlich sollen die Maßnahmen vor Gericht bestehen.

Sie haben die Kliniken und Heime angesprochen. Das Personal dort fühlt sich vergessen. Außer einem Bonus und etwas Beifall ist nichts gekommen. Was muss jetzt geschehen?

Holetschek: Wir brauchen radikale Lösungen, was Arbeitsbedingungen angeht ebenso wie bei der Bezahlung. Wir müssen das neu denken, etwa alle Zuschläge steuerfrei stellen und einen echten Systemwechsel vollziehen. Wir sollten den Pflegeberuf neu denken und Aufgaben aus der Heilkunde auf die Pflege übertragen. Wir werden Vorschläge machen zu den Arbeitsbedingungen und zur Finanzierung. Und zwar Vorschläge, die uns voranbringen. Schließlich diskutieren wird die Probleme seit Jahren. Jetzt müssen wir sie lösen.


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Wie konkret sind die Vorstellungen?

Holetschek: Ich will relativ schnell etwas auf den Tisch legen. Ein Paradigmenwechsel wäre das falsche Wort, aber wir brauchen einen Ansatz, der mutig und klar ist. Das wird richtig kosten. Die Frage ist: Was ist es uns wert? Wenn wir die Frage ehrlich beantworten, dann wird es teuer. Anders aber lässt sich nicht wirklich etwas verbessern. Und anders gewinnen wir nicht genügend qualifiziertes Personal.

Zum Gesundheitswesen gehören die Krankenhäuser. Vor allem auf dem Land schließen sie, weil sie nicht effizient wirtschaften. Ist das vernünftig?

Holetschek: Auch das müssen wir diskutieren unter dem Aspekt einer guten medizinischen Versorgung für alle. Wir müssen definieren, was wir darunter verstehen. Wir müssen die starren Denkmuster auflösen und fragen, welche Rolle spielt ein Krankenhaus, welche der niedergelassene Arzt, der Therapeut, die Pflege. Unser System funktioniert nicht mehr richtig. Wir haben es zu sehr ökonomisiert. Wir sollten uns fragen, was sind gute Versorgung und gute Qualität in der Gesundheit. Und handeln.

Es gibt Fachleute, die für wenige große Kliniken plädieren. Haben die derzeit gut 400 Kliniken im Freistaat eine Zukunft?

Holetschek: Wir wollen im Moment kein Krankenhaus schließen. Gerade in der Pandemie spüren wir, wie wichtig eine dezentrale Versorgung ist. Und ich bin ein Verfechter der Krankenhäuser im ländlichen Raum.

Nach der Pandemie ist vor der Pandemie. Alle Wissenschaftler rechnen damit, dass das nächste Virus auf dem Sprung ist. Wie sehr kann sich ein Land überhaupt darauf vorbereiten?

Holetschek: Wir richten ein zentrales Lager mit Hilfsgütern und Schutzausrüstung ein. Und ich habe angeregt, dass wir eine Art Pflegereserve aufbauen. Wir müssen strukturell in ganz andere Richtungen denken. Wir werden sicher nicht auf alles vorbereitet sein können – aber besser als am Anfang dieser Pandemie sind wir es sicher.

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