Propheten des drohenden Niedergangs

12.6.2017, 18:59 Uhr
Propheten des drohenden Niedergangs

© F.: dpa

Merkel muss weg. Zumindest in der Schlussfolgerung ist sich Stephan Hebel mit denen einig, die er in seinem Buch "die Brandstifter" nennt: die Rechtsextremen und Rechtspopulisten in Deutschland. Damit aber enden die Gemeinsamkeiten.

Angela Merkel müsse nicht wegen ihrer anfänglich liberalen Flüchtlingspolitik weg, schreibt der langjährige Redakteur der Frankfurter Rundschau in "Mutter Blamage und die Brandstifter" (sein zweites Buch über die Kanzlerin). Sie müsse weg, weil sie eine kalte, neoliberale Politik betreibe, die in Deutschland zu sozialen Verwerfungen führe – es aber gleichzeitig schaffe, sich als "Mutter der Nation" zu geben.

Schuld ist immer: Merkel

Eine besorgniserregende Armutsquote, niedrige Hartz-IV-Sätze, ein sinkendes Rentenniveau, teure Strompreise infolge der Energiewende, ein geschwächter weil eisern sparender Staat, die Entkopplung von Arm und Reich: Das ist das Deutschland Angela Merkels, schreibt der Autor. Ein Deutschland, in dem sich niemand über den Aufstieg der AfD wundern müsse. Hebel kann dann aber doch nicht recht erklären, warum eine Regierung, in der sich auch die Sozialdemokraten neoliberalen Zielen verschrieben hätten, etwa einen Mindestlohn durchsetzte.

Hebels Beschreibungen einer auseinanderdriftenden Gesellschaft sind deshalb nicht falsch. Er macht es sich aber einfach, wenn er Angela Merkel für all das verantwortlich macht. Dass die Politik spätestens unter Helmut Kohl die Ungleichheit im Land befeuerte, dass auch Rot-Grün sich treiben ließ vom neoliberalen Geist um die Jahrtausendwende, das kommt bei Hebel nur am Rande vor.

Unter einem ähnlich zeitlich eingeschränkten Blick leidet auch die ansonsten kluge Analyse "Regierung ohne Volk", die Ursula Weidenfeld vorlegt. Die Journalistin, die für Tagesspiegel und Wirtschaftswoche arbeitete, attestiert der Bundesrepublik weniger einen ökonomisch-sozialen als einen politischen Verfall. Ihr Befund: Die Bundesregierung – in diesem Fall also wieder: Angela Merkel – habe ihre Stellung derart ausgebaut, dass die parlamentarische Demokratie ausgehöhlt werde. Der Bundestag, eigentlich Ort der Debatte und Entscheidung, werde zur bloßen Abnick-Maschine degradiert. Oft mit dem Hinweis der Regierung, man habe das alles schon im Koalitionsausschuss vereinbart, das könne man jetzt nicht mehr aufschnüren. Statt Konflikte öffentlich auszutragen, ein Wesensmerkmal der Demokratie, würde Angela Merkel diese "geräuscharm" in Hinterzimmern beilegen.

Nur: Die Entwicklungen, die Weidenfeld hier treffend beschreibt, haben nicht erst mit Merkels Regierungszeit eingesetzt. Im Gegenteil: Schon vor 20 Jahren befassten sich Politikwissenschaftler mit dem Phänomen des Machtgewinns der Exekutive und der Auswanderung von Politik aus den Institutionen. Zumal an der schlechten Ausstattung mancher Behörden, die Weidenfeld symptomatisch für die Defizite des politischen Systems anführt, eine Bundeskanzlerin schon gar nicht schuld sein kann.

Spanier sind reicher

Alexander Hagelüken gelingt da der umfassendere Blick, mit "Das gespaltene Land" legt er eine Reportage aus einem Deutschland vor, in dem das Versprechen, der nachkommenden Generation werde es einmal besser gehen, unerfüllt bleiben wird.

Der Wirtschaftsjournalist der Süddeutschen Zeitung erliegt dabei nicht der Versuchung, eine(n) einzelne(n) Schuldige(n) auszumachen. Als Triebfedern für zunehmende Ungerechtigkeit sieht er vielmehr die Ideologie des Neoliberalismus, die sich in unseren Alltag fraß, ebenso wie den damit verbundenen Abbau sozialer Sicherung und die sinkende Tarifbindung.

Dass Niedrigverdiener sich kaum noch eine Wohnung leisten könnten, dass die Mittelschicht unter stagnierenden Einkommen leide, sei aber keineswegs ein Automatismus. Selbst die Menschen im Krisenland Spanien hätten im Schnitt mehr Ersparnisse und viel öfter ein Eigenheim als der Durchschnittsdeutsche, schreibt Hagelüken. Dabei schwingt mit: Das können wir doch auch.

Hagelüken verliert sich nicht in der Zustandsbeschreibung des Niedergangs, sondern skizziert Wege zu einem "neuen Gesellschaftsvertrag". Mit vielen Ideen, die ebenso schlicht wie effizient sind (mehr Netto für Normalverdiener, Vermögen stärker besteuern). Wenn Gerechtigkeitsliteratur so konstruktiv daherkommt, dann hat sie in der Tat ihren Platz.

Alexander Hagelüken: Das gespaltene Land. Knaur, 240 Seiten, 12,99 Euro.

Ursula Weidenfeld: Regierung ohne Volk. Rowohlt, 304 Seiten, 19,95 Euro.

Stephan Hebel: Mutter Blamage und die Brandstifter. Westend, 256 Seiten, 18 Euro.

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