Reise zu den letzten Inseln der alten Rechtschreibung

12.1.2013, 00:00 Uhr
Reise zu den letzten Inseln der alten Rechtschreibung

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Eine der kleinen Rechtschreib-Inseln, auf denen ein Fass noch ein Faß und ein Stängel noch ein Stengel ist, findet man in Berlin-Mitte. Karl-Liebknecht-Straße32, die Adresse der Tageszeitung Junge Welt klingt schon wie ein Teil ihres Programms. Hier kämpft eine kleine Redaktion unermüdlich für den marxistischen Fortschritt und gegen das ökonomische Aus. Mit linken Gedanken und alter Rechtschreibung.

Reise zu den letzten Inseln der alten Rechtschreibung

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„Wir sind die Einzigen, die das konsequent durchgezogen haben“, sagt Chefredakteur Arnold Schölzel mit nicht ganz ernst gemeintem Stolz in der Stimme. Er spielt auf den Schlingerkurs einiger anderer Zeitungen an. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte sich der Reformumsetzung bis 2007 verweigert, einige Titel der Springer-Presse waren dem Beispiel für kürzere Zeit gefolgt, die Süddeutsche Zeitung hatte die Verweigerung lediglich angekündigt, um dann doch zu erkennen, dass die berühmte normative Kraft des Faktischen auch im Fall der umstrittenen Rechtschreibreform stärker war.

Undogmatische Begründung

Bei der Jungen Welt dagegen trotzt man bis heute den neuen Regeln. Mit einer Begründung, die undogmatischer nicht sein könnte. „Die meisten Redakteure beherrschen doch noch nicht einmal die alten Regeln“, sagt Schölzel lachend. Der 65-Jährige hat aber durchaus auch ernsthafte Einwände gegen die Reform. Er hält sie für „eine endlose Kette von Verschlimmbesserungen“.

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Deshalb scheut er den Aufwand nicht, die eingehenden Agenturmeldungen in die alte Schreibweise transkribieren zu lassen. „Schwierigkeiten“, sagt Schölzel, „gibt es eigentlich nur, wenn Lehrer im Unterricht Kopien unserer Texte verwenden.“ Allzu oft ist die stramm linke Junge Welt allerdings nicht Kopiervorlage für den Unterricht.

Das gilt auch für die Titanic. Das selbst ernannte „endgültige Satiremagazin“, das einst „Birne Kohl“ erfand und „Zonen-Gabi“ mit einer Gurke in der Hand sich über ihre erste Banane freuen ließ, wird in einer Altbauwohnung in Frankfurt-Bockenheim produziert – in alter Rechtschreibung. „Wir tun das aus purer Bequemlichkeit“, versichert Chefredakteur Leo Fischer, „weil wir zu faul sind, uns die Reformschreibweise beizubringen.“

Das ist ausnahmsweise mal nicht als Witz gemeint, klingt aber zumindest etwas kokett. Als Fischer 2001 am Albrecht-Altdorfer-Gymnasium in Regensburg Abitur machte, waren die neuen Regeln an den Schulen schließlich schon zwei Jahre verbindlich eingeführt. Egal. Dafür, dass am Ende sogar Zitate aus anderen Blättern in der alten Schreibweise in der Titanic stehen, sorgen eine aufmerksame Korrektorin und die 19. Auflage des Rechtschreib-Dudens aus dem Jahr 1986.

Manchmal, räumt Fischer ein, wird über Schreibweisen redaktionsintern heftig diskutiert. Sakrosankt ist dem Titanic-Team nichts — auch keine Rechtschreibregel. Im Streitfall setzt sich aber meistens die alte Variante durch. Phantasie oder Fantasie? Wenn die kreative Fähigkeit des Menschen zu sehr an eine Limonadensorte erinnert, spricht Fischer ein Machtwort, und der Fall ist wieder mal geklärt: Phantasie.

Doch selbst beim endgültigen Satiremagazin glaubt man in Sachen Rechtschreibung nicht an die Ewigkeit. „Wenn der nächste Generationswechsel in der Redaktion ansteht, wird das fallen“, sagt Fischer. „Einige junge Leser verstehen wahrscheinlich heute schon nicht mehr, was wir da machen.“

Das wiederum sind Zweifel, von denen die großen Heroen des literarischen Betriebs eher wenig geplagt werden. Wenn ein Schriftsteller wie der 81-jährige Rolf Hochhuth ein neues Werk unbedingt in der alten Orthografie veröffentlichen möchte, dann tut ihm Rowohlt diesen Gefallen. Rund 500 neue Titel wirft der Verlag aus Reinbek bei Hamburg pro Jahr auf den Markt. Weniger als ein Prozent wird in alter Rechtschreibung gedruckt, schätzt der Leiter des Rowohlt-Korrektorats, Ernst Brandl. Überraschenderweise gibt es auch junge Autoren, die sich den neuen Schreibregeln verweigern. Daniel Kehlmann, der am Sonntag 38 Jahre alt wird und mit „Die Vermessung der Welt“ einen Millionen-Bestseller schrieb, gehört dazu.

Brandl muss in solchen Fällen nach Mitarbeitern suchen, die mit der alten Rechtschreibung noch vertraut sind. Nur bei etwa zehn der 30 für Rowohlt arbeitenden freiberuflichen Korrektoren ist das der Fall. Leichter haben freilich auch die neuen Regeln die Arbeit der Rechtschreibhüter nicht werden lassen. „Das unüberschaubare Meer an Wahlmöglichkeiten“, sagt Brandl, habe es nötig gemacht, Hausregeln festzulegen.

Zum Glück sind zusätzlich zum Nebeneinander von alter und neuer Rechtschreibung in der aktuellen Literatur nur selten kleine Arno Schmidts mit ganz eigenen Orthografie-Regeln unterwegs. Und wenn, so Brandls Erfahrung, dann schaffen sie es in ihren Manuskripten nie, sie konsequent einzuhalten. Was diese Autoren dann in gewisser Weise wieder mit allen anderen eint.

Alte Duden-Dominanz

Die Fehler beim Schreiben wurden nämlich mit der neuen Rechtschreibung nicht weniger. „Böse Zungen“, sagt Brandl, „behaupteten ja, das eigentliche Ziel der Reform war ein ganz anderes: Man habe das Monopol des Dudens brechen wollen.“ Auch das hat nicht geklappt. Der Bertelsmann Verlag hat sich mit einem schlampigen Nachschlagewerk zur Rechtschreibung kräftig blamiert, und im Bibliographischen Institut in Mannheim, das als Verlag den Duden herausgibt, registriert man zufrieden, „dass sich die Konkurrenzsituation nicht wesentlich verändert hat“ und der Duden nach wie vor „mit weitem Abstand Marktführer ist“.

Still ist es um die einst leidenschaftlich kämpfenden Reformgegner geworden. Aber ganz aufgegeben haben sie nicht. Manfred Riebe aus Schwaig bei Nürnberg war in der Hochzeit des Regelkampfes Mitbegründer des Vereins für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege. Der pensionierte Lehrer verweigert sich den neuen Regeln konsequent.

Diese Prinzipientreue hat ihren Preis. Weil Riebe auch als Wikipedia-Autor nicht von ihr abrücken wollte, durfte er irgendwann nicht mehr mitschreiben an der Online-Enzyklopädie. Als es ihm beim regionalen „Franken-Wiki“ ähnlich ging, startete er „NürnbergWiki“ — seine eigene kleine Insel der alten Rechtschreibung.

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