Renate Schmidt schämt sich für Horst Seehofer fremd

11.7.2018, 15:44 Uhr
Es gehe ihr nicht um die Rechtmäßigkeit der Abschiebung, sondern "nur darum, dass bei Ihnen offenbar jeder Anflug von Humanität auf der Strecke geblieben ist."

© Michael Matejka Es gehe ihr nicht um die Rechtmäßigkeit der Abschiebung, sondern "nur darum, dass bei Ihnen offenbar jeder Anflug von Humanität auf der Strecke geblieben ist."

"Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 - das war von mir nicht so bestellt - Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden. Das liegt weit über dem, was bisher üblich war": Diese Sätze von Horst Seehofer während seiner langen Pressekonferenz zum "Masterplan Asyl" sorgten und sorgen für Verwunderung bis Empörung. Inzwischen wurde bekannt: Einer der abgeschobenen Afghanen hat sich dort das Leben genommen.  Er wurde laut dem Flüchtlingsministerium in Kabul erhängt in einer Übergangs-Unterkunft in der Hauptstadt Kabul aufgefunden. Der Mann, der 23 Jahre alt gewesen sein soll, lebte offenbar acht Jahre lang in Deutschland.

Renate Schmidt (74) schrieb nun - vor Bekanntwerden dieses Todesfalls - an Seehofer: Es gehe ihr nicht um die Rechtmäßigkeit der Abschiebung, sondern "nur darum, dass bei Ihnen offenbar jeder Anflug von Humanität auf der Strecke geblieben ist. Das Unglück von anderen  Menschen kann nie ein Geschenk oder Glück für uns sein. Und das Abschieben von Menschen eignet sich nicht für fade Scherze", schreibt die Nürnbergerin. Und fährt fort: "Ihr Verhalten ist zum Fremdschämen, und ich schäme mich dafür, dass meine SPD aus Gründen der Staatsräson gezwungen ist, mit Ihnen an einem Tisch zu sitzen". Damit spielt sie auf die Große Koalition in Berlin an. Die frühere bayerische SPD-Chefin wirft dem CSU-Vorsitzenden sein Verhalten in Sachen Asyl vor - und sein "rüpelhaftes Benehmen gegenüber der Bundeskanzlerin". Seehofer komme "von seinem Abschottungspodest nicht herunter". 

Hier der Offene Brief von Renate Schmidt im Wortlaut: 

"Sehr geehrter Herr Minister Seehofer,
Sehr geehrter Herr Vorsitzender,

die obige Anrede ist als die übliche Höflichkeitsformel zu verstehen, denn Ehre verdienen Sie in meinen Augen derzeit wahrhaftig nicht.
Sie verdienen keine Ehre dafür ein nicht vorhandenes Problem (von Ihnen selbst als Micky-Maus-Problem bezeichnet) nämlich täglich ca. fünf Flüchtlinge abweisen zu können zur Existenzfrage der GroKo und Europas hochstilisiert, mit Rücktritt gedroht, dennoch nichts erreicht und trotzdem keinen Anlass gesehen zu haben zurückzutreten.
Sie verdienen keine Ehre für Ihr rüpelhaftes Benehmen gegenüber der Bundeskanzlerin.

Und Sie verdienen auch keine Ehre fuer Ihren gar nicht meisterlichen Masterplan. Mit diesem werden Sie, wenn überhaupt, maximal erreichen, das Flüchtlingsproblem etwas weiter weg zu schieben. Wieder einmal werden den Menschen von Ihnen Lösungen vorgegaukelt und damit nur der rechte Rand stark gemacht.

Damit Sie mich nicht missverstehen: ich gehöre nicht zu denen, die meinen, dass ruhig alle kommen sollen und das schon irgendwie gehen wird. Aber einfache Lösungen gibt es nicht und die wirklichen Fluchtursachen, die weit über das Schlepperunwesen hinausgehen, zu bekämpfen sind wir bisher offenbar nicht bereit.

Unser Bundespräsident Frank Walter Steinmeier hat Recht, wenn er sagte, beide Seiten müßten von ihrem Podest herunterkommen, sowohl die, die glauben es sei möglich sich gegen alle Flüchtlinge abzuschotten, als auch diejenigen, die meinen, es ginge die Grenzen für alle offen zu halten. Beides ist keine Lösung.

Sie aber kommen von ihrem Abschottungspodest nicht herunter, sondern klettern die AfD auf den Fersen immer höher und verkennen dabei sträflich die Absturzgefahr für alle Parteien der grossen Koalition.

Eigentlich wissen Sie das alles, aber handeln nicht danach und diskriminieren Menschen, die überwiegend aus Not fliehen mal als Touristen und mal als Sachen, die man nach Belieben wegsperren, lagern oder ins Nirgendwo verschieben kann. 

Zwei Dinge haben für mich das Fass zum Überlaufen gebracht:

Zum Einen, Ihr Versuch diejenigen zu kriminalisieren, die unter eigener Gefahr Flüchtlinge aus dem Mittelmeer vor dem Ertrinken retten.
Menschen wissentlich ertrinken zu lassen wird von Ihnen als Teil der Lösung des Flüchtlingsproblems gesehen. Ab sofort sind die bisher 1400 Toten im Mittelmeer auch Ihre Toten.
Sowohl dieses Ertrinkenlassen als auch das Verfrachten von Menschen in libysche Lager, in denen sie ausgebeutet, vergewaltigt und sogar getötet werden, ist ein Verrat an den Werten, für die wir in Deutschland und Europa stehen.

Der zweite Grund für mein Schreiben ist Ihre bei der Vorstellung des "Masterplans" unverhohlen geäußerte Freude über ein unverhofftes und von Ihnen "nicht bestelltes" Geburtstagsgeschenk zum 69. Geburtstag, die Abschiebung von 69 Flüchtlingen nach Afghanistan.

Mir geht es hier nicht um eine Diskussion über die Rechtmäßigkeit dieser Abschiebung, sondern nur darum, dass bei Ihnen offenbar jeder Anflug von Humanität auf der Strecke geblieben ist. Das Unglück von anderen Menschen kann nie ein Geschenk oder Glück fuer uns sein. Und das Abschieben von Menschen eignet sich nicht für fade Scherze.

Ihr Verhalten ist zum Fremdschämen, und ich schäme mich dafür, dass meine SPD aus Gründen der Staatsräson gezwungen ist mit Ihnen an einem Tisch zu sitzen. Wahrscheinlich beeindruckt Sie das alles nur wenig, deshalb empfehle ich Ihnen den Film von Wim Wenders über Papst Franziskus.

Vielleicht löst dieser bei Ihnen, wenn nicht ein Umdenken,so doch ein Nachdenken aus über die Notwendigkeit sich auf das "C" im Namen Ihrer Partei deren Vorsitzender Sie sind zu besinnen.

Renate Schmidt
Bundesministerin a.D."

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