Todenhöfer: "Westen kann IS im Irak nicht schlagen"

28.6.2015, 06:00 Uhr
Todenhöfer:

© Foto: Fredric Todenhöfer

Herr Todenhöfer, lässt der IS sich überhaupt noch vertreiben?

Jürgen Todenhöfer: Das wird ganz schwer werden. Selbst wenn der IS geschlagen würde, muss man fragen, ob man da nicht schon die nächste Generation von Terroristen züchtet. Die Einzigen, die den IS im Irak schlagen könnten, wären sunnitische Iraker. Der Westen kann das nicht.

Vor kurzem wurde ein Dokument des US-Militärgeheimdienstes DIA bekannt. Demnach war Washington schon 2012 klar, dass einige der islamistischen Rebellengruppen im Irak und in Syrien einen islamischen Staat ausrufen könnten.

Todenhöfer: Das Papier belegt: Der Westen wollte, dass im Osten Syriens ein salafistischer Staat entsteht, um Syrien von der schiitischen Expansion im Irak und im Iran abzuschneiden. Dieses Papier beweist, dass die Amerikaner ein lebensgefährliches Spiel mit dem Teufel betrieben haben.

Das Geheimdokument wurde vor vier Wochen aufgrund eines Gerichtsbeschlusses publik. In den Medien — in den USA wie in Deutschland — hat es aber nur wenig Aufmerksamkeit gefunden. Wie erklären Sie sich das?

Todenhöfer: Das ist schwierig. Viele Medien hätten schreiben müssen, dass vieles von dem, was sie ihren Lesern in den letzten drei Jahren präsentiert haben, und was ja auf Informationen der Regierungen beruhte, falsch war. Sie hätten schreiben müssen, dass Saudi-Arabien und einige Golfstaaten terroristische Organisationen in Syrien unterstützt haben — und dass die Amerikaner das nicht nur gewusst, sondern akzeptiert haben. Das ist grauenvoll danebengegangen.

Sie selbst sind nicht unumstritten. Nachdem Sie Ende 2014 in der vom IS kontrollierten Stadt Mosul ein Interview mit dem deutschen Islamisten Christian Emde geführt hatten, wurde Ihnen zweifelhafte Propaganda für den IS vorgeworfen.

Todenhöfer: Es gibt niemanden, der den IS härter angreift als ich, auch in meinem Buch und in meinem offenen Brief an (IS-Führer Abu Bakr) Al- Baghdadi, der in der ganzen arabischen Welt veröffentlicht wurde. Jedes Mal, wenn ich mit Taliban spreche, wenn ich mit Al Kaida und (dem syrischen Präsidenten Baschir) Al- Assad gesprochen habe, und jetzt eben mit dem IS, immer gibt es Leute, die dann sagen, man mache Propaganda für diese Leute. Ich habe gelernt, wenn du nicht mit allen Seiten sprichst, wirst du ununterbrochen Fehlurteile abgeben.

Was ist Ihre Prognose: Wie wird sich die Situation in Syrien und im Irak weiterentwickeln?

Todenhöfer: Nehmen Sie ein Glas, zu Hause in der Küche, und lassen Sie es auf den Steinboden fallen. Dann fragen Sie Ihre Frau, wie sie das kaputte Glas wieder zusammenbringt. Das Glas ist kaputt. Der Mittlere Osten ist so zerstört, so zertrümmert, dass inzwischen alle gegen alle aufgehetzt worden sind. Ich glaube, dass es Generationen dauern wird, das wieder zu reparieren. Es ist ja alles kaputt: Es kämpfen Schiiten gegen Sunniten, Saudi-Arabien gegen Iran, IS gegen alles, was nicht IS ist. Der frühere US-Präsident George W. Bush hat dort Chaos geschaffen, und da muss man sich nicht wundern, dass jetzt dort Chaoten auftreten. Als die Amerikaner damals im Hindukusch in Afghanistan die Taliban bombardierten, hatten wir ein paar Hundert Terroristen. Jetzt haben wir 100 000.

Sehen Sie irgendeine politische Lösung — in welchen Zeiträumen auch immer —, die beiden Erzfeinde Saudi-Arabien und Iran an einen Tisch zu bekommen?

Todenhöfer: Ich finde die Frage sehr, sehr klug. Sie bringen mich darauf, dass man vier Dinge tun müsste, um das Chaos unter Kontrolle zu bringen. Erstens, man müsste die Ideologie des IS als anti-islamisch enttarnen. Das ist gar nicht schwer. Im Koran steht, dass Angriffskriege verboten sind, das Töten von Unschuldigen ist verboten, auch das Zerstören von Moscheen — steht alles wörtlich drin. Das ist eine anti-islamische Bewegung, die den Islam als Maske benutzt, wie (der damalige US-Präsident) Bush das Christentum als Maske benutzt hat.

Zweitens?

Todenhöfer: Der IS kann im Irak nur existieren, weil er von der entrechteten sunnitischen Minderheit im Land toleriert wird. Die 35 Prozent der Sunniten sind nach dem Sturz Saddam Husseins an den Rand der Gesellschaft gedrängt worden — Jobs verloren, ins Gefängnis geworfen worden. Wenn man die Sunniten gleichberechtigt in die irakische Gesellschaft integrieren würde, würden sie dem IS die Rote Karte zeigen. Ich kenne führende Leute der gemäßigten Sunniten im Irak, und die sagen, sie sind alle bereit, gegen den IS zu kämpfen. Sie haben das 2007 in blutigen Kämpfen schon einmal gemacht (bei den Kämpfen um Falludscha und anderen Städten, Anm. d. Red.). Sie sagen, wir sind zehn Millionen, die sind 10- bis 20 000, die hätten keine Chance.

Und der dritte Punkt?

Todenhöfer: Der dritte Punkt wäre — das haben Sie angedeutet —, man müsste eine Friedenskonferenz geradezu erzwingen zwischen Saudi-Arabien und Iran. Das steckt hinter fast allem, was dort geschieht. Und der vierte Punkt, um das Chaos aller gegen alle zu beenden: Man bräuchte so eine Art KSZE (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa), die damals in den 70er Jahren die Konfrontation des Westens mit dem Ostblock entschärft hat. Das wären Ansätze, um dieses Chaos irgendwie wieder unter Kontrolle zu kriegen. Aber ich kann nirgendwo erkennen, dass nach diesen Lösungen gesucht wird.

Jürgen Todenhöfer: „Inside IS — 10 Tage im ,Islamischen Staat‘“, C. Bertelsmann Verlag, 17,99 Euro, 288 Seiten

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