"Trumps Jerusalem-Entscheidung führt zu neuem Chaos"

18.12.2017, 10:00 Uhr

© Foto: Jaafar Ashtiyeh/afp

Herr Yaish, die Entscheidung von US-Präsident Donald Trump, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, hat den israelisch-palästinensischen Konflikt neu entfacht. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Adly Yaish: Natürlich hat Trumps Entscheidung zu Jerusalem die Region neu entzündet, wie Sie jeden Tag sehen können. Ich fürchte, es wird zu neuem Chaos führen. Auch in Nablus wird es Folgen haben für die von uns erbrachten Dienstleistungen: in den Schulen, in der Gesundheitsversorgung und im gesamten Alltag der Menschen. Es wird uns erneut in einen Kreislauf von Hass und Extremismus schicken. Es wird dem Frieden nicht helfen, denn Jerusalem ist ein sehr sensibles Thema für Muslime und Christen auf der ganzen Welt, und es ist gefährlich, wenn Israel sich selbst nur als jüdischen Staat betrachtet.

Als Sie im Jahr 2005 zum ersten Mal zum Bürgermeister von Nablus gewählt wurden, waren Sie in einer Koalition mit der Hamas. Letztes Jahr, als Sie ein zweites Mal angetreten sind, hatten Sie die Unterstützung der Fatah...

Yaish: Diesmal haben wir in Nablus eine Koalition aus drei Parteien geformt. Viele Leute haben die Politiker satt, wirklich satt. Sie wollen jemanden, der für sie arbeitet und wirklich etwas erreicht. Wir haben Ingenieure in unsere Mannschaft geholt. Es sind alles Experten, die der Stadt Nablus helfen wollen. Mag schon sein, dass einige sich der Hamas mehr verbunden fühlen, andere der Fatah. Aber im ganzen Rat sind keine Hamas- oder Fatah-Leute vertreten. Die Fatah hat diese Idee auch deswegen unterstützt, weil sie damit sicher sein konnten, dass sie nicht verlieren.

Was, glauben Sie, sind die Haupthindernisse für eine gemeinsame palästinensische Regierung?

Yaish: Wissen Sie, die Hamas hat in Gaza jetzt für elf Jahre regiert. Da sind Fakten geschaffen worden. Am schwierigsten ist die Frage der Regierungsangestellten. Als die Hamas 2006 die Regierung in Gaza übernahm, hat die Regierung in Ramallah ihren Leuten dort gesagt: Geht nicht mehr zur Arbeit! Sämtliche öffentliche Angestellten haben die Arbeit eingestellt - wurden aber weiter aus Ramallah bezahlt. Also musste die Hamas alle diese Posten neu besetzen. Und jetzt sind diese Leute seit elf Jahren im Amt. Das ist heute ein großes Hindernis. Zum Beispiel: Der frühere Leiter einer Schule war elf Jahre lang weg. Wenn er jetzt wieder auf seinen Posten zurückwill, ist das ein Problem. Die Regierung wird nicht weiter beide bezahlen können, den alten und den neuen Schulleiter. Sie hat kein Geld.

"Größtes Problem ist die israelische Besatzungspolitik"

Eine weitere Frage, ist, ob die Hamas endlich das Existenzrecht Israels anerkennt. Bisher waren die Aussagen nicht überzeugend.

Yaish: Die Hamas hat das Existenzrecht Israels anerkannt, aber Sie haben recht, es war nicht sehr überzeugend. Menschen ändern sich nicht über Nacht. Es braucht Zeit, aber es bewegt sich etwas. Ich glaube nicht, dass das ein Hindernis bleiben wird.

Es gibt derzeit überhaupt eine Menge Bewegung im Nahen Osten. Die Israelis haben seit mindestens eineinhalb Jahren enge Beziehungen zum früheren Erzfeind Saudi-Arabien aufgebaut. Könnte das den Palästinensern am Ende helfen?

Yaish: Das mit Abstand größte Problem ist weiterhin die israelische Besatzungspolitik. Die Israelis wollen die Siedlungen nicht aufgeben, sie wollen bleiben. Im Oslo-Abkommen von 1993 hieß es, die Israelis wollten die Besetzung in fünf oder sechs Jahren beenden. Wir warten darauf jetzt seit mehr als 20 Jahren. Und heute gibt es in der israelischen Regierung mehr radikale Kräfte als damals.

Israels Premier Benjamin Netanjahu rühmt sich damit, keine Regierung habe mehr für die Siedlungen getan als seine. Da ist eine Einigung kaum vorstellbar, oder?

Yaish: Das stimmt, und das ist das größte Problem. Das ist der Unterschied zum damaligen Ministerpräsidenten Itzhak Rabin. Der war General, ein Mann des Militärs. Trotzdem hat er das Friedensabkommen unterzeichnet. Unglücklicherweise hat sich die Stimmung in Israel stark verändert. Es gibt Leute, die den Mörder von Rabin bis heute als Helden verehren. Wie kann das sein?

"Ich glaube an Nablus"

Sehen Sie trotzdem einen Ausweg?

Yaish: Es muss einen Ausweg geben. Es muss Druck von außen geben. Ich weiß nicht, ob er von Trump kommen wird. Klar ist jedenfalls, dass es in der heutigen Regierung in Israel etliche radikale Kräfte gibt.

Lassen Sie uns zu Ihrem Amt als Bürgermeister zurückkehren. Ihre Liste hieß "Nablus für alle". Was bedeutet das?

Yaish: Ich glaube an Nablus. Ich bin überzeugt, dass die Menschen mich deswegen gewählt haben - mit 75 Prozent der Stimmen! Als ich das erste Mal angetreten war, waren es 73 Prozent. Sehen Sie, wir haben in Nablus drei Religionen: die Christen, die Samaritaner und die Muslime. Und sie leben dort in Harmonie. Dazu kommt, dass 40 Prozent der Bevölkerung in Flüchtlingslagern wohnen. Aber sie sind Bewohner von Nablus. Zusätzlich kommen Leute aus den Dörfern nach Nablus. Und wir haben verschiedene Parteien. Deswegen glaube ich, wir brauchen eine zivile Regierung, die für alle Bürger von Nablus arbeitet. In Deutschland gibt es mehr Regeln. Bei uns muss die Stadtverwaltung mehr solcher Regeln setzen. Und genau deswegen unterstützen mich die Leute.

Vor kurzem haben Sie in Nablus 13 neue Schulen eingeweiht - was ist das Ziel?

Yaish: Richtig, wir haben fünf Schulen neu eröffnet und für weitere acht den Grundstein gelegt. Bildung ist für uns enorm wichtig. Wir Palästinenser haben keine starke Industrie, auch kein Öl wie einige arabische Staaten. Deswegen sind wir überzeugt, dass wir lernen müssen. Viele unserer Leute arbeiten in Saudi-Arabien, in anderen Golfstaaten, in Ägypten, auch in Deutschland oder den USA. Wir haben viele gut ausgebildete Leute, und deswegen sind Schulen für uns von überragender Wichtigkeit. Ich glaube, dass gut ausgebildete Menschen gleichzeitig weltoffener sind. Und dann haben wir weniger Probleme.

Viele Länder haben viele gut ausgebildete Akademiker. Aber wenn sie ihren Abschluss haben, finden sie keine Arbeit - auch weil es zu wenig berufliche Bildung gibt. Auch bei Ihnen ist das so.

Yaish: Nun, wir produzieren gebildete Menschen nicht nur für Palästina. Viele gehen in andere Länder und schicken dann aber Geld nach Hause zu ihren Familien, sie bezahlen Schulgebühren. Wir sind ein Exporteur von gebildeten Menschen. Das ist nicht schlecht. Tatsächlich glaube ich aber auch an die berufliche Bildung. Ich habe mich schon in meiner ersten Amtszeit darum gekümmert. Und eine der neuen Schulen ist eine berufliche Schule, eine weitere bietet IT-Ausbildung an.

"Haben gute Kontakte mit Nürnberg"

Sie haben schon in Ihrer ersten Amtszeit neue Parks in Nablus eingerichtet, obwohl es dafür nicht viel Platz gibt. Warum?

Yaish: Wir haben sogar sieben Parks eingerichtet. Nablus war damals abgeriegelt. Ich glaube aber, dass Kinder eine wirkliche Kindheit erleben müssen. Sonst werden sie engstirnig. Wir leiden daran, dass viele Menschen nicht mehr offen sind. Das gilt nicht nur für Palästinenser. Sie können das auf der ganzen Welt beobachten. Wir leben unter Besatzung, und trotzdem, finde ich, müssen unsere Kinder eine Kindheit haben. Deswegen haben wir diese Parks angelegt - für die Kinder und ihre Mütter. Viele Frauen sind unter Druck, etliche Ehemänner sind verwundet oder im Gefängnis. In der arabischen Welt lastet der größte Druck auf den Frauen. Deswegen braucht es diese Parks, damit sie dort eine gute Zeit haben können.

Kürzlich haben Sie ein Abkommen mit China unterzeichnet - als Teil des Projekts Neue Seidenstraße - obwohl Nablus nicht wirklich auf dieser historischen Handelsroute liegt. Was erhoffen Sie sich von dieser Kooperation?

Yaish: Es ist noch kein Vertrag, sondern ein Memorandum, eine Absichtserklärung. Wir haben versucht, uns an diese Neue Seidenstraße anzubinden. Die Chinesen sind auf vielen Feldern aktiv. Wir haben beispielsweise Verkehrsprobleme. Vielleicht können sie uns da helfen, etwa durch den Bau eines Tunnels.

In Nürnberg haben Sie Gespräche mit Bürgermeister Ulrich Maly und anderen Vertretern geführt. Was sind Ihre Hoffnungen hier?

Yaish: Wir haben gute Kontakte mit Nürnberg. Auch hier gibt es seit 2015 ein Memorandum, eine Absichtserklärung. Oberbürgermeister Maly war bereits in Nablus, meine Vorgänger waren hier. Natürlich wollen wir die Kontakte ausbauen. Wir könnten uns Kontakte zwischen den Hochschulen vorstellen, auch zwischen Schulen, auf kulturellem Gebiet. Wissen Sie, die Kultur bringt Menschen zusammen.

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