Türkei von BND-Abhöraffäre überrascht

18.8.2014, 12:01 Uhr
Türkei von BND-Abhöraffäre überrascht

© Reuters

“Du hast uns gerade noch gefehlt“, titelte die Zeitung “Vatan“ am Sonntag an Bundeskanzlerin Angela Merkel gerichtet: In den vergangenen Jahren waren in der Türkei mehrere Fälle von gezielten Telefonüberwachungen bekannt geworden, die der Regierung oder aber ihren Gegnern im Staatsapparat zugeschrieben wurden. Der BND soll sich besonders für den Kurdenkonflikt und den türkisch-israelischen Streit interessiert haben. Ankara will die Berichte über den BND untersuchen.

Nach einem Bericht der türkischen Zeitung “Cumhuriyet“ wurden Telefonate in der Türkei über Satelliten abgehört. Unter Berufung auf Geheimdienstexperten meldete das Blatt, es habe offenbar keine kontinuierliche Abhöraktion gegeben, vielmehr seien lediglich einzelne Gespräche abgefangen worden.

Vorzeitig durchgesickert

Medienberichten zufolge waren der Kurdenkonflikt und das Verhältnis der Türkei zu Israel unter den Schwerpunkten. Im Jahr 2009 – aus dem laut “Spiegel“ das aktuelle “Auftragsprofil“ des BND stammt - suchte die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in Geheimgesprächen mit Vertretern der kurdischen Rebellengruppe PKK nach Wegen einer friedlichen Beilegung des Kurdenkonfliktes. Die Kontakte, die in der norwegischen Hauptstadt Oslo stattfanden, scheiterten schließlich, auch weil sie vorzeitig bekannt wurden. Der frühere Chef der Auslandsaufklärung des türkischen Geheimdienstes MIT, Kasif Kozinoglu, behauptete vor einigen Jahren, der BND habe die Oslo-Gespräche an die Öffentlichkeit gebracht.

Türkei von BND-Abhöraffäre überrascht

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Das Jahr 2009 markierte zudem einen Wendepunkt in den türkisch-israelischen Beziehungen. Damals lieferte sich Erdogan beim Weltwirtschaftsforum in Davos einen wütenden Schlagabtausch mit dem israelischen Staatspräsidenten Schimon Peres, bei dem es um das israelische Vorgehen im Gaza-Streifen ging. Ein Jahr darauf wurden zehn türkische Aktivisten beim Versuch, mit dem Schiff “Mavi Marmara“ Hilfsgüter nach Gaza zu bringen, von israelischen Soldaten erschossen. Die Türkei warf darauf den israelischen Botschafter aus dem Land. Gespräche über eine Wiederannäherung brachten bisher keinen Durchbruch.

Anti-türkische Publikation

Türkische Regierungspolitiker hielten sich zunächst mit Kommentaren zurück. Ein Grund war, dass sich viele von ihnen, auch Erdogan selbst, im Urlaub befanden. Zudem sieht die Erdogan-Regierung den “Spiegel“ als anti-türkische Publikation, weshalb Mehmet Ali Sahin, Vizechef der Erdogan-Partei AKP, zur Vorsicht riet: Das Magazin habe schon “sehr unwahre Berichte“ in die Welt gesetzt, sagte er. Dennoch würden die Berichte aus Deutschland von der Regierung untersucht. Laut “Cumhuriyet“ hieß es im türkischen Außenamt, die Berichte würden ernst genommen und überprüft.

In regierungsnahen türkischen Medien wurde der Lauschangriff mit den mutmaßlichen Abhöraktionen von Erdogan-Gegnern in der Türkei verglichen. Erdogan wirft Anhängern des islamischen Predigers Fethullah Gülen vor, parallele Strukturen im Staatsapparat gebildet zu haben und die Regierung stürzen zu wollen. Dabei sollen Erdogan selbst und andere Politiker abgehört worden sein; mehrere an die Öffentlichkeit gelangte Telefonmitschnitte hatten in den vergangenen Monaten die Korruptionsvorwürfe gegen Erdogan und seine Regierung verstärkt. Die Erdogan-treue Zeitung “Sabah“ titelte deshalb: “Parallele Merkel“.

Belastete Beziehungen

Sollten sich die Berichte bestätigen, wird auch die türkische Politik verärgert reagieren und von der Bundesregierung eine Erklärung und möglicherweise eine Entschuldigung verlangen. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern wurden in den vergangenen Monaten unter anderem durch die rechtsterroristischen NSU-Morde an Türken in Deutschland sowie durch die Kritik von Bundespräsident Joachim Gauck an Demokratiedefiziten in der Türkei belastet. Der türkischstämmige Ex-Europaabgeordnete Ozan Ceyhun kritisierte auf Twitter, die deutschen Sicherheitsbehörden beteuerten, sie hätten der NSU nicht beikommen können, hätten aber gleichzeitig die Türkei abgehört.

Gravierender als die Folgen auf politischer Ebene könnten die Konsequenzen für die Sichtweise der Öffentlichkeit sein. Viele Türken sind ohnehin überzeugt, dass feindliche Kräfte im Ausland versuchen, ihr Land an einem Aufstieg zur Regionalmacht zu hindern; Erdogan selbst hatte unter anderem die Gezi-Proteste des vergangenen Jahres als Teil einer internationalen anti-türkischen Verschwörung beschrieben.

Die Abhöraktion des BND dürfte den Verschwörungstheorien weiteren Auftrieb geben. Cemil Ertem, ein Kolumnist der regierungsnahen türkischen Zeitung “Star“, schrieb am Sonntag auf Twitter, Deutschland wolle den türkisch-kurdischen Friedensprozess sabotieren. “Jetzt liegen die Karten auf dem Tisch.“

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