Kurdische Bürgermeisterin bezweifelt demokratische Wahl

24.4.2018, 12:21 Uhr
Leyla Imret war eine politische Sensation, als sie 2014 mit mehr als 83 Prozent für die pro-kurdische Partei HDP zu einer der jüngsten Bürgermeisterinnen der Türkei gewählt wurde. Die heute 30-Jährige (im Bild mit der weißen Bluse) genoss hohe Popularität, doch konnte sie ihr Amt nur kurz ausüben.

© Foto: privat Leyla Imret war eine politische Sensation, als sie 2014 mit mehr als 83 Prozent für die pro-kurdische Partei HDP zu einer der jüngsten Bürgermeisterinnen der Türkei gewählt wurde. Die heute 30-Jährige (im Bild mit der weißen Bluse) genoss hohe Popularität, doch konnte sie ihr Amt nur kurz ausüben.

NN: Frau Imret, wie Dutzende andere Bürgermeister in kurdischen Städten wurden auch Sie von der Regierung in Ankara als Bürgermeisterin von Cizre abgesetzt – wegen angeblicher Propaganda und Volksverhetzung. Sehen Sie sich eigentlich noch im Amt?

Leyla Imret: Ja, natürlich. Wir sind gewählte Bürgermeister, die nur von den Bürgern durch eine Neuwahl abgesetzt werden können. Mein Verfahren läuft noch. Offiziell bin ich weiterhin Bürgermeisterin von Cizre. Viele unserer Städte stehen jetzt aber unter Zwangsverwaltung.

Nun soll in der Türkei schon am 24. Juni überraschend früh vorzeitig neu gewählt werden. Vor kurzem wurden aber auch die Notstandsgesetze erneut verlängert. Wie können unter solchen Bedingungen Neuwahlen stattfinden?

Imret: Die Kurden waren davon nicht so sehr überrascht. Schon als die türkische Armee im Januar ihre Angriffe auf (die nordsyrische Stadt; Anm. d. Red.) Afrin startete und gleichzeitig wirtschaftliche Probleme in der Türkei sichtbar wurden, hat man damit gerechnet, dass es vorgezogene Neuwahlen geben würde. Dass das jetzt innerhalb von zwei Tagen angekündigt und beschlossen wurde, ist für die Oppositionsparteien aber schon schwierig, gerade wegen der Notstandsgesetze. Das wird keine demokratische Wahl werden.

Praktisch die komplette Führung Ihrer Partei HDP ist in Haft. Wer wird da für die HDP kandidieren?

Imret: Erst vor ein paar Tagen wurde für weitere elf HDP-Abgeordnete die Immunität aufgehoben. Mehr als 10.000 Parteimitglieder sind inhaftiert. Wir sind eine Partei, die bei Wahlen mehr als sechs Millionen Stimmen erhält. Trotz der Notstandsgesetze und der Schwierigkeiten glaube ich, dass unsere Partei es schafft, sich bis zu den Wahlen zu organisieren.

Können unter dem Notstandsrecht überhaupt normale Wahlversammlungen stattfinden?

Imret: Das werden keine normalen Wahlen werden. Vor allem in den kurdischen Gebieten gibt es großen Druck. Die Menschen trauen sich kaum, öffentlich etwas zu äußern. Wir haben aber schon bei Erdogans Referendum über eine neue Verfassung gesehen, dass unsere Leute trotz des Drucks wählen gehen. Ich glaube, sie werden erneut diesen Mut aufbringen.

Wie ist die Lage in Ihrer Heimatstadt Cizre?

Imret: Es ist wie in den anderen Städten, die unter Zwangsverwaltung stehen. Die Menschen haben kaum Räume, wo sie sich frei äußern können. Sie fühlen sich sehr unwohl und nicht sicher. Während der 79-tägigen Ausgangssperre Ende 2015 und Anfang 2016 wurden mehr als 2500 Häuser durch die Angriffe der türkischen Armee zerstört. Die Menschen dort wissen nicht, ob sie noch eine Zukunft haben.

Die türkische Regierung hat dort viele neue Häuser bauen lassen. Wer zieht da ein?

Imret: Das stimmt, die zerstörten Gebäude wurden ganz abgerissen, und es wurden, teils an anderen Orten, neue Wohnungen gebaut, insgesamt 300 Hochhäuser. Die Bewohner der zerstörten Häuser durften bisher aber nicht dort einziehen — viele wollen auch nicht in diese Hochhäuser einziehen. Man befürchtet aber, dass dort nicht-einheimische Menschen angesiedelt werden sollen, zum Beispiel arabischstämmige Flüchtlinge.

Das wäre dasselbe Muster, das man auch nach den Angriffen der türkischen Armee auf die nordsyrische Kurdenstadt Afrin beobachten konnte.

Imret: Ja. Afrin wurde komplett besetzt. Auch dort wurden viele Häuser zerstört und neue gebaut. Dort wurden viele Familien der mit der Türkei verbündeten Rebellen in den neuen Häusern untergebracht. Es gab schon vorher arabische Bürger in Afrin, aber jetzt werden dort Kämpfer von Al Kaida oder von Al Nusra untergebracht, die die Reste des Islamischen Staats sind. Auch auf der türkischen Seite haben unsere Leute die Befürchtung, dass diese Leute hier angesiedelt werden sollen.

Werfen wir einen Blick nach Syrien, wo die türkische Armee massive Angriffe gestartet hat, vor allem auf die Stadt Afrin. Wie bewerten Sie dieses Vorgehen?

Imret: Man wusste von Anfang an, dass es nie um die Sicherheit der türkischen Grenze ging, wie die Regierung in Ankara das behauptet hat. Es ging darum, die Autonomie, die in den kurdischen Gebieten ausgerufen worden war, zu verhindern. Es war ein Modell, das den Menschen neue Hoffnung gab, auch ein Modell für ein neues Zusammenleben. Es wäre ein Modell für die Lösung des Konflikts.

Bei den Angriffen auf Afrin waren auch deutsche Leopard-Panzer im Einsatz. Wie wütend sind Sie auf die Bundesregierung?

Imret: Schon seit Monaten gab es Demonstrationen gegen diese Waffenlieferungen. Es ist schon verletzend für die kurdischen Völker, denn sie werden mit diesen Waffen angegriffen. Die neue Bundesregierung hat ja versprochen, dass sie diese Geschäfte vorerst stoppen würden. Aber es spielen da offenbar auch wirtschaftliche Interessen eine Rolle.

Haben Sie die Hoffnung, dass Sie wieder Bürgermeisterin von Cizre werden können?

Imret: Die Hoffnung ist immer da. Aber wenn man den jetzigen Zustand ansieht, weiß man schon, wie weit wir noch davon entfernt sind, dass es ein gerechtes, faires Verfahren geben wird. Dennoch: Die Wunsch, noch einmal gewählt zu werden, bleibt. Denn viele Projekte, die ich mir vorgenommen habe, um die Infrastruktur in Cizre zu verbessern, konnte ich noch nicht umsetzen. Wenn die Menschen in Cizre wollen, dass ich mich einsetze, will ich das gerne noch einmal tun.


Der Film "Dil Leyla" über Leyla Imret wird am kommenden Wochenende zweimal in der Region zu sehen sein. Am Samstag, 28. April, 19 Uhr, im Babylon-Kino in Fürth, sowie am Sonntag, 29. April, 13 Uhr, in der Desi in Nürnberg (Brückenstraße 23). Nach dem Film folgt jeweils eine Diskussion mit Leyla Imret. Der Eintritt ist frei.

Leyla Imret war eine politische Sensation, als sie 2014 mit mehr als 83 Prozent für die pro-kurdische Partei HDP zu einer der jüngsten Bürgermeisterinnen der Türkei gewählt wurde. Die heute 30-Jährige genoss hohe Popularität, doch konnte sie ihr Amt nur kurz ausüben. Als die AKP von

Präsident Recep Tayyip Erdogan bei der Neuwahl 2015 erneut die erhoffte Zweidrittelmehrheit verfehlte, verschärfte sich der politische Kampf in der Türkei zusehends. Im Kurdengebiet kam es zu Kämpfen, es wurden dutzende Bürgermeister abgesetzt, auch Leyla Imret. Sie wurde inhaftiert, setzte sich später wieder nach Deutschland ab, wo sie in der Nähe von Bremen aufgewachsen war.

Als Kind war sie sicherheitshalber zu dort lebenden Verwandten geschickt worden, nachdem ihr Vater, ein hochverehrter PKK-Aktivist, 1991 bei Kämpfen erschossen worden war. Bevor sie sich entschloss, in der Türkei als Bürgermeisterin zu kandidieren, hatte Leyla Imret als Friseurin gearbeitet.

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