Unionsbündnis geplatzt? Medien fallen auf "Titanic" herein

NÜRNBERG - Seit Tagen schwelt der Asylstreit zwischen CDU und CSU, zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer. Jetzt sorgte eine Aktion des Satire-Magazins "Titanic" für zusätzlich Furore - und gleich mehrere deutsche Medien gingen ihr auf den Leim.

Das Nachrichtengeschäft ist schnelllebig und genau deshalb so besonders anfällig für Fake-News. Jetzt sorgte ein Tweet von "hr Tagesgeschehen", einem Account, der möglicherweise Assoziationen zum Hessischen Rundfunk herstellt, für Furore. Gegen 12 Uhr am Freitagvormittag hieß es dort: "Politbombe platzt in Hessen". Horst Seehofer habe nach dem Asylstreit, der seit Tagen schwelt, das Unionsbündnis mit der CDU aufgekündigt. Zahlreiche Medien, darunter Bild.de und der Focus.de, aber auch die Agentur Reuters, beriefen sich auf den Tweet und ein vermeintliches Zitat des hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier. 

+++ Breaking – Politbombe platzt in Hessen +++ Seehofer kündigt laut interner Bouffier-Mail Unionsbündnis mit CDU auf +++ Merkel informiert, PK gegen 15 Uhr +++ Details folgen! pic.twitter.com/X26nPKpOjv

— Moritz Hürtgen / hr Tagesgeschehen (@hrtgn) 15. Juni 2018

" ... müssen wir uns jetzt darauf vorbereiten, schon bei der nächsten Bundestagswahl mit einer neuen Bayern-CDU anzutreten" - so zitiert "hr Tagesgeschehen" Volker Bouffier. "Diese Aussage ist falsch! Es handelt sich um eine Fake-Meldung. Ministerpräsident Volker Bouffier hat das nicht gesagt und auch nicht geschrieben!", antwortete der Pressesprecher der CDU-Fraktion im Hessischen Landtag, Christoph Wierich, via Twitter aufgeregt. Wenig später legte auch die Pressestelle des Hessischen Rundfunks nach: 

Der Hessische Rundfunk stellt aus aktuellem Anlass klar: Der Twitter-Account @hrtgn ist kein Account des Hessischen Rundfunks. Die dort verbreiteten Informationen sind damit nicht auf den Hessischen Rundfunk zurückzuführen. @hessenschauDE @hrinfo @hessenschau

— hr Pressestelle (@hrPresse) 15. Juni 2018

Doch die Meldung war da schon längst in der Welt. Bild, Focus und Reuters zogen die Eilmeldungen zurück, löschten teils ihre Ursprungsartikel. Die Deutsche Presse-Agentur warnte Medien vor dem Satire-Coup. 

Mittlerweile ist klar: Der Account gehört Moritz Hürtgen, Redakteur beim Satire-Magazin Titanic. Er benannte sein privates Profil um - und nannte es "hr Tagesgeschehen". Medien vertrauten dem Profil wohl auch wegen des blauen Hakens, der anzeigt, dass der Nutzer vom Kurznachrichtendienst verifiziert wurde. Verifiziert wurde er auch - nur eben als Moritz Hürtgen. Kurz vor dem Coup benannte er sich um. 

Mittlerweile trägt der Account auch den Namen "Moritz Hürtgen / hr Tagesgeschen". Dort preist der nach eigenen Angaben "Social-media-Volontär" jetzt eine Goldmitgliedschaft bei Titanic an und fragt: "scheise was is pasiert?" Was passiert ist? Mit einem einfachen Tweet hat Hürtgen die Medienlandschaft völlig irritiert - und aufs Glatteis geführt. Sogar die Finanzmärkte reagierten auf den Tweet: Laut der Süddeutschen Zeitung sackte der DAX um gut ein halbes Prozent ab.

Hier einige ausgewählte Reaktionen aus den sozialen Netzwerken, darunter auch der satireerfahrende Moderator Jan Böhmermann: 

Wow! @BILD pic.twitter.com/5sYmpLQvVg

— Jan Böhmermann 🤨🇪🇺 (@janboehm) 15. Juni 2018

 

Plumpe #FakeNews als #Satire zu bezeichnen ist hingegen natürlich so brilliant und total Meta. Den Diskurs sabotieren und die Stimmung zu vergiften ist doch eigentlich die Arbeitsweise dieser rechten Trolle?

— DerEckhardt (@EckhardtSimon) 15. Juni 2018

 

Die Titanic hat gerade demonstiert, wie der aufgeregte Medienhühnerstall alles ungeprüft weiterleitet, was irgendwie nach Sensation klingt. Cui bono? Der Gesellschaft, würden die Betroffenen ihren Reinfaller ernst nehmen.

— Paul-Jürgen Wagner (@p_j_wagner) 15. Juni 2018