Weg von Rot-Rot-Grün? Schulz liebäugelt mit der FDP

6.4.2017, 19:11 Uhr
Der SPD-Kanzlerkandidat Schulz schlägt einen neuen Kurs ein.

© Kembowski/dpa Der SPD-Kanzlerkandidat Schulz schlägt einen neuen Kurs ein.

Als die FDP 1982 in Bonn die sozialliberale Koalition sprengte und den Untergang von SPD-Kanzler Helmut Schmidt einleitete, da setzte der damals 26 Jahre alte Martin Schulz ein paar Kilometer weiter im beschaulichen Würselen zum Sprung ins Bürgermeisteramt an. Wie viele aufrechte Genossen knabberte Schulz lange daran, dass die liberalen Größen Genscher und Lambsdorff seinerzeit aus SPD-Sicht Schmidt das Messer in den Rücken stießen und Helmut Kohl den Weg ins Kanzleramt ebneten.

Die Regierungszentrale will Schulz im Herbst nun selbst erobern. Bis zur Saarland-Wahl vor zwei Wochen hätte der 61-Jährige kaum ein Problem damit gehabt, nach dem 24. September mit Linken und Grünen in Angela Merkels Wohnzimmer der Macht einzuziehen. Aber jetzt, da das rot-rote Schreckgespenst und eine starke Regierungschefin der CDU einen unerwarteten Triumph beschert haben, ist vieles anders. Nun ist sozialliberal für den pragmatischen Schulz eine Machtoption, die weniger provoziert als Rot-Rot-Grün und der Union keine Angriffsfläche für eine neue "Rote-Socken-Kampagne" bietet.

Schulz nach Saarlandwahl unter "Ampeldruck"

"Die sozialliberale Koalition auf Bundesebene hat Deutschland ganz sicher moderner und demokratischer gemacht", sagt Schulz über die Brandt/Scheel- und Schmidt/Genscher-Jahre. Es folgte ein Lob für FDP-Chef Christian Lindner, der nicht wie sein Mentor Guido Westerwelle nur auf Steuerpolitik setze. Kompatibel zur FDP könnte der Steuerteil des künftigen SPD-Programms etwa bei einer Reform der Besteuerung von Firmenerben und Entlastungen der Mittelschicht sein.

Woher kommt die neue zur Schau gestellte Leidenschaft für die Liberalen? Als treibende Kräfte werden in der SPD die konservativen "Seeheimer" und die in der Mitte verorteten "Netzwerker" ausgemacht. Sie setzten nach dem rot-roten Dämpfer im Saarland mit zahlreichen Wortmeldungen Schulz unter Ampel-Druck. Dazu passte die jüngste Ansage aus Hannover. Am Wochenende machte Altkanzler Gerhard Schröder die rot-rot-grüne Machtoption für die SPD mehr oder weniger platt.

"Ich glaube nicht, dass man das hinbekommt, solange die Familie Lafontaine in der Linkspartei tonangebend ist", sagte Schröder im "Spiegel", in Anspielung auf das linke Vorzeigepaar Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine. Schröder hatte 1998 zwar mit Rot-Grün das Kanzleramt erobert - sein Wahlkampfmotto "Gerechtigkeit und Innovation" zog aber auch in der Mitte. Schulz hat Vergleichbares bislang nicht zu bieten. Sein Reformvorschlag für Schröders "Agenda 2010" war ein gut platzierter Köder für das linke Lager.

FDP könnte von neuem Kurs profitieren

Nun schlägt Schulz andere Töne an, die zum Flirt mit der FDP passen. Hat Ex-Parteichef Sigmar Gabriel Regie geführt, um verunsicherte bürgerliche Wähler zu besänftigen? Schulz geht damit Risiken ein. Im linken SPD-Flügel sitzen viele Rot-Rot-Grün-Fans, die mit der FDP nichts anfangen können und einen echten Politikwechsel erwarten.

Die FDP scheint die Ampel-Avancen der SPD zu genießen - und geht mit unterschiedlich raumgreifenden Schritten auf Distanz. Lindner freut sich zwar, dass "die SPD ihre alten Feindbilder einpackt", zieht aber inhaltliche Grenzen. Wenn die SPD "vor allem über Steuererhöhungen sprechen will, dann werden die Gespräche kurz". Parteivize Wolfgang Kubicki kann sich indes Spott über den "kurzzeitig zum roten Messias erhobenen Martin aus Würselen" nicht verkneifen.

Schulz' Schmusekurs dürfte Lindner und Kubicki, die im Mai in den SPD-regierten Ländern Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein entscheidende Wahlen bestehen müssen und dort nicht für eine Ampel stehen, nicht so unrecht sein. Denn die Debatte macht ihre Partei weiter hoffähig. Zurück in den Bundestag und dann mal sehen - von ihrem Kurs der Eigenständigkeit will die FDP indes nicht abrücken.

Linder: "Ich will Kanzler machen"

Zwar gebe es "die größten Überschneidungen weiterhin mit der CDU", sagt Lindner. Aber man kenne ja das Programm der SPD noch überhaupt nicht. Wobei der FDP-Chef gleich einschränkt: "Das, was Herr Schulz vorträgt, erinnert an eine Agenda 1995." Und die sei weit entfernt von der halb modernen "Agenda 2010" der amtierenden Kanzlerin, erst recht von seiner eigenen zukunftsorientierten "Agenda 2030".

Beim Kampf für mehr Verantwortung des Bundes in der Schulpolitik sind FDP und SPD aber auf einer Linie. Und am Mindestlohn will Lindner nicht mehr rütteln: "Da müsste man wirklich ganz viele Bretter vor dem Kopf haben, wenn man eine solche Schlacht der Vergangenheit noch einmal führen wollte." Ansonsten aber steht im nagelneuen FDP-Wahlprogramm manch Trennendes - freilich auch zur Merkel-CDU.

Dennoch möchte Lindner nach einem September-Comeback in Machtfragen mitreden. Auf die Scherzfrage, ob er eigentlich selbst Kanzler werden wolle, kommt die Antwort prompt: Nein, "ich will aber Kanzler machen". Er fühle sich schon "wie ein Rennpferd in der Box". Ob der Jockey am Ende Martin oder Angela heißt? Beide seien "respektable Persönlichkeiten", aber irgendwie ziemlich alt, sagt der 38-Jährige.

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