„Wir müssen wieder aggressiv für den Frieden kämpfen“

24.1.2017, 14:04 Uhr
„Wir müssen wieder aggressiv für den Frieden kämpfen“

© Foto: privat

Frau Tekkal, momentan hören wir aus Syrien und dem Irak, der IS sei militärisch auf dem Rückzug. Heißt das, dass sich auch für die Jesiden im Nordirak die Lage entspannt?

Düzen Tekkal: Es ist leider nicht so, dass für die Jesiden jetzt alles toll ist — im Gegenteil. Die Menschen sind immer noch auf der Flucht und trauen sich nicht nach Schingal zurück. Vor allem aber haben sie Angst, weil es keine konkrete Idee gibt, wie es mit ihnen nach der Militäroffensive gegen den IS weitergehen soll. Momentan machen bestimmte Länder ihre Ansprüche in dieser Region geltend und da ist für Menschenrechte und Religionsfreiheit kein Platz.

Haben Deutschland und Europa genug getan, um den Jesiden beizustehen?

Tekkal: Der Hilferuf der Jesiden ist angekommen — gerade auch die Auszeichnung von Nadija Murad und Lamija Adschi Baschar durch das Europäische Parlament mit dem Sacharow-Preis war immanent wichtig. Aber jetzt muss aus dem Hilferuf konkrete Politik werden. Denn das Schicksal der jesidischen Bevölkerung läuft gerade wieder „unter ferner liefen“, sowohl in der Region vor Ort wie auch in Europa, beispielsweise in Griechenland. Dort müssen viele Jesiden unter schwierigsten Bedingungen in den Flüchtlingscamps ausharren. Und ich bedaure es angesichts der riesigen Debatte in Deutschland, dass diejenigen, die tatsächlich religiös und politisch verfolgt werden, keinen adäquaten Schutz bei uns bekommen. Wir reden hier immerhin von einem fortwährenden Völkermord und ich finde es unzumutbar, dass diese Menschen überhaupt noch für ihren Schutz kämpfen müssen.

Hat die Welt 2014 beim Angriff des IS auf die Jesiden zu lange gewartet, bis sie eingegriffen hat?

Tekkal: Im Angesicht eines Völkermordes ist jede Minute, in der nichts passiert, zu viel. Das war das 72. Mal in der jesidischen Geschichte, dass versucht wurde, uns auszurotten. Mit dem Islamischen Staat kann man nicht verhandeln, da gibt es keine Diplomatie. Ohne militärisches Einwirken wären die Jesiden ausgerottet worden. Aber es war nicht genug, und die Jesiden fühlen sich immer noch alleingelassen. Auf der anderen Seite war es das erste Mal, dass den Jesiden bei einem Angriff von anderen Menschen und Religionen geholfen wurde.

Die Bundesregierung hat damals Waffen an die kurdischen Peschmerga geliefert, die auch die Jesiden schützen sollen. Hätte Deutschland aktiv militärisch den Jesiden zu Hilfe kommen sollen?

Tekkal: Nein, das hätte ich schwierig gefunden. Bodentruppen, die von außen kommen und eine Region nicht kennen, haben nie zu einer Befriedung geführt. Es war von Anfang an das Bestreben der Jesiden, dass sie entsprechend ausgestattet werden, um sich selber verteidigen zu können.

Sie waren inzwischen viele Male im Nordirak. Was war die Begegnung, die Sie am meisten erschüttert hat?

Tekkal: Bei jeder Reise sind es andere Dinge, die mich erschüttern. Ich kenne zum Beispiel eine Frau, die vier Kinder hat: Ein Sohn ist immer noch beim Islamischen Staat und wird als Kindersoldat missbraucht. Der andere Sohn lebt mittlerweile in Deutschland, weil er über ein Sonderkontingent hierhergekommen ist. Er wurde aber auch als Kindersoldat eingesetzt. Die Tochter wurde zum Sexobjekt degradiert, und ihrer Mutter werden von IS-Kämpfern immer noch Fotos in entsprechender Pose der Tochter geschickt. Das ist Psychoterror. Und der Mann der Frau ist vom IS umgebracht wurden. Sie hat mir gesagt, dass sie sich 20-mal am Tag wünscht, dass sie stirbt.

Oder der Bruder von Nadija Murad: Er sollte in einem Massengrab umgebracht werden — wie im Zweiten Weltkrieg bei den Erschießungen der deutschen Einsatzgruppen in Osteuropa. Der IS hat auf die Menschen eingeschossen, hat ein Blutbad angerichtet. Das Blut der anderen Menschen klebte an seinem Körper und er dachte, er ist tot. Nadijas Bruder hat stundenlang gewartet bis es Nacht wurde und ist dann langsam aus diesem Massengrab gekrochen.

Auf Ihren Reisen haben Sie die spätere Sacharow-Preisträgerin Nadija Murad kennengelernt. Wie haben Sie sie erlebt?

Tekkal: Ich habe sie damals wenige Tage getroffen, nachdem sie sich aus IS–Gefangenschaft befreit hatte. Sie war ein gebrochenes junges Mädchen, aber ich habe ein Feuer in ihr erkannt. Die Tatsache, dass sie als vermeintlich geschändete jesidische Frau vor die Kamera tritt und ich wage als jesidische Filmemacherin das zu drehen, war ein Tabu, das wir gebrochen haben. Aber nicht die Frau, die geschändet worden ist, ist das Problem, sondern die, die das getan haben. Und die Tatsache, dass wir uns geöffnet haben, die ist belohnt worden.

Hatten Sie keine Angst bei der Reise durch das IS-Gebiet?

Tekkal: Für mich war Angst nie ein Grund, wegzugucken, sondern für mich war die Angst immer ein Weg. Und das ist es auch, was ich meinem Deutschland wünsche, dass wir mutig werden. Dass wir uns nicht lähmen lassen, denn das ist das, womit der Terror psychologisch arbeitet. Es geht darum, den Angstmachern Angst zu machen und sie zu stoppen.

Weit scheinen wir auf diesem Weg noch nicht gekommen zu sein, immerhin heißt Ihr Buch, in dem Sie Ihre Erfahrungen im Nordirak mit denen hier zu Lande verknüpfen, „Deutschland ist bedroht“.

Tekkal: Dieses Buch wäre nie ohne meinen Einsatz im Kriegsgebiet zustande gekommen. Danach war ich in meiner Verteidigung des gesunden Verfassungspatriotismus nicht mehr aufzuhalten. Wir müssen wieder aggressiv für Frieden und eine gute Welt kämpfen. Wir Jesiden wissen das, weil wie seit acht Jahrhunderten mit der Dominanz eines politischen Islams zurechtkommen müssen. Ich rede in meinem Buch von den bösen Zwillingen — von religiösen Extremisten und Rechtspopulisten. Sie sind beide Angstmacher. Und ich würde inzwischen sogar noch einen Drilling dazunehmen: die Politik der Linksliberalen, die nicht anerkennen will, dass wir auch in der Flüchtlingsfrage differenzieren müssen. Es ist entscheidend, dass wir die Verfolgten vor ihren Verfolgern hier in Deutschland schützen. Wenn aber Menschen aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen, wie etwa die aus den Maghreb-Staaten, dann finde ich, dass man sie erst mal nicht reinlassen soll.

 

„Verkauft. Versklavt. Vergewaltigt — Jesidinnen im Kampf gegen den Terror“, heißt der Titel einer Veranstaltung des Europäischen Parlaments am Freitag, 27. Januar, an der Düzen Tekkal mit den Europaabgeordneten Monika Hohlmeier und Ismail Ertug sowie der Professorin Petra Bendel teilnimmt. Ort ist der Presseclub Nürnberg, Gewerbemuseumsplatz 2, Beginn 18 Uhr. Der Eintritt ist frei, Online-Anmeldung unter www.europarl.de/Muenchen. Informationen über die Hilfsorganisation von Düzen Tekkal unter www.hawar.help

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