Zorn im Iran: "Es geht in eine radikale Richtung"

2.1.2018, 21:27 Uhr
Auch auf der Ferdowsi-Avenue in Teheran, nahe der deutschen Botschaft, kam es am Sonntag zu Protesten. Dort setzte die Polizei Wasserwerfer ein.

© Foto: MEK-Netz im Iran/dpa Auch auf der Ferdowsi-Avenue in Teheran, nahe der deutschen Botschaft, kam es am Sonntag zu Protesten. Dort setzte die Polizei Wasserwerfer ein.

Herr Barati, die Protestwelle im Iran hat in Maschhad ihren Ausgang genommen, der zweitgrößten Stadt des Landes und eine Hochburg der Konservativen. Sogar in der heiligen Stadt Ghom, der Heimat von Ajatollah Ali Chamenei, riefen Demonstranten "Tod dem Diktator". Der Protest scheint diesmal ein ganz anderer zu sein als 2009.

Mehran Barati: Es sind da mehrere Dinge zusammengekommen. Zum einen scheint es sich um einen Rachefeldzug des gescheiterten Präsidentschaftskandidaten Ibrahim Raisi zu handeln, der die Stadt Maschhad in der Hand und die religiösen Stiftungen dort unter seinen Fittichen hat. Raisi hat Milliarden von Dollar für seine Stiftungen angehäuft, ist aber bei der Präsidentenwahl im April 2017 gescheitert. Jetzt gibt es Gerüchte, seine Anhänger hätten in Maschhad und Ghom die Proteste gegen Ruhani angezettelt. Doch die Proteste haben rasch eine andere Richtung genommen. Viele Menschen waren ohnehin bereit zu Protesten.

 

Der Protest scheint sich diesmal stark gegen die anhaltend schlechte wirtschaftliche Lage zu richten.

Barati: Das ist ein sehr wichtiger Faktor: Rund eine Million Iraner hatten ihr ganzes Vermögen Banken anvertraut, die nach dem Atom-Embargo der USA und der EU im Iran entstanden sind und die jenseits jeglicher Kontrollen waren. Diese haben immense Zinsen versprochen, mehr als 20 Prozent. Viele Iraner hofften, dass sie damit ihren Lebensunterhalt bestreiten können und haben für die Einlagen Haus und Hof verkauft. Aber die Banken sind pleite gegangen. Der Staat hat versucht, die Leute in kleinen Maßen zu entschädigen, aber es hat nicht gereicht.

 

Ein Auslöser scheint der jüngst verabschiedete Regierungshaushalt gewesen zu sein. Vergünstigungen für die Bürger wie etwa das subventionierte Benzin wurden gekürzt, während die Zuwendungen für die religiösen Stiftungen weiter stiegen.

Barati: Das ist so. Der Staat muss im Iran rund 21 Millionen Menschen mit Unterstützungszahlungen versehen, damit sie ihr Leben einigermaßen bestreiten können. Jetzt aber sollten elf Millionen Bürger diese Subventionen gestrichen werden. Das war eine weitere Protestquelle. Dazu kommt, dass das Einkommen des Staates nur noch ausreicht, um die Gehälter der Staatsbediensteten, der Revolutionswächter und der Basidsch-Miliz zu bezahlen. Zu mehr reicht das Staatsbudget nicht. Andererseits hat der Staat durch die Interventionen im Libanon, im Irak, in Syrien und im Jemen immense Kosten. Der Staat ist pleite, das merken die Leute.

 

Andererseits kontrollieren die Revolutionswächter große Teile der iranischen Wirtschaft.

Barati: Das stimmt. Etliche Tausend Beschäftigte, die für Subunternehmen arbeiten, die zu den Firmen und Institutionen der Revolutionswächter gehören, haben seit fünf, sechs Monaten kein Gehalt mehr bekommen. Als sie protestierten, wurden sie öffentlich ausgepeitscht und gedemütigt. Das ist eine weitere Protestquelle.

 

Anfangs hatten viele eine gewisse Hoffnung in Präsident Hassan Ruhani gesetzt – Sie ja auch. Die hat sich zum großen Teil aber nicht erfüllt — auch weil die Hardliner seine Reformversuche konsequent blockiert haben.

Mehran Barati ist einer der prominentesten iranischen Exil-Politiker in Deutschland. Der heute 75-Jährige lebt schon seit Anfang der 70er Jahre in Berlin. Nur durch Zufall entging er dort 1992 dem Attentat im griechischen Restaurant Mykonos, bei dem vier Menschen starben. Barati ist der Vater von Minu Barati, der fünften Ehefrau des früheren Bundesaußenministers Joschka Fischer.

Mehran Barati ist einer der prominentesten iranischen Exil-Politiker in Deutschland. Der heute 75-Jährige lebt schon seit Anfang der 70er Jahre in Berlin. Nur durch Zufall entging er dort 1992 dem Attentat im griechischen Restaurant Mykonos, bei dem vier Menschen starben. Barati ist der Vater von Minu Barati, der fünften Ehefrau des früheren Bundesaußenministers Joschka Fischer. © Foto: privat

Barati: Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite aber ist, dass Ruhani seine Position geändert hat. Er macht sich offenbar Hoffnungen auf die Nachfolge des Obersten Religionsführers, Ajatollah Chamenei, der krank sein soll und angeblich nicht mehr lange zu leben haben soll. Ruhani hat zuletzt seine Politik darauf gerichtet, die Hardliner zu neutralisieren oder auf seine Seite zu ziehen, um so die Nachfolge Chameneis antreten zu können. Ein solches Ansinnen verträgt sich aber nicht mehr mit der Reformlinie. Deswegen war er zuletzt auch nicht mehr gewillt, seine Versprechen einzuhalten, was bürgerliche Freiheiten, Rechte für Jugendliche, Frauen etc. betrifft. Das hat die Bevölkerung gesehen und festgestellt, dass von ihm nichts mehr zu erwarten ist.

 

Momentan scheint die Protestbewegung noch führungslos. Der Held von 2009, der frühere Premier Mir Hossein Mussawi, wird weiter in Hausarrest gehalten. Sehen Sie jemanden, der die Protestbewegung einen könnte?

Barati: Das ist merkwürdig. Es hat in rund 63 Städten Proteste gegeben. Die Protestwelle hat sich mehr in kleineren und mittleren Städten ausgebreitet. In Großstädten wie Teheran war das Ausmaß nicht so groß. Man hatte das Gegenteil erwartet. Niemand hat "Freiheit für Mussawi" oder für Mehdi Karroubi gerufen. Kaum jemand hat nach Reformen gerufen. Stattdessen gab es Rufe wie "Tod dem Diktator", die sich gegen Ajatollah Chamenei richteten. Zum Teil ließen die Leute sogar das frühere Regime des Schahs wieder hochleben, einige haben sich bei dem Vater des letzten Schahs entschuldigt, der Reformen für den Iran eingeleitet hatte. Das alles hat sich total verändert. Es geht nicht mehr darum, den Schleier loszuwerden oder solche Dinge. Es geht in eine radikalere Richtung. Aber es gibt bisher keine Führung dieser Protestbewegung. Die Opposition ist total zerschlagen worden.

 

Welche Zustimmungswerte hätte die Wiedereinführung der Monarchie in der Bevölkerung?

Barati: Die Monarchisten haben schon eine gewisse Anhängerschaft im Iran. Aber es sind rund 40 Jahre seit dem Sturz des Schahs vergangen. Die Jugend kennt das nur noch aus den Propagandasendungen aus dem Ausland. Es gibt eine gewisse Anhängerschaft, aber sie reicht nicht aus, um die Protestbewegung zu übernehmen.

 

Glauben Sie, dass das Mullah-Regime diese Herausforderung überstehen wird?

Barati: Ja, die werden das überstehen. Sie sagen es ja ganz offen: Sie werden die Fehler, die Baschar al-Assad in Syrien gemacht hat, nicht wiederholen. Das heißt, sie werden keine massenhafte Zerschlagung der Opposition betreiben. Ihre Einschüchterungsversuche werden wohldosiert sein. Sie werden die Leute nicht festnehmen und monatelang einsperren. Jetzt wurden die Leute nach 24 oder 48 Stunden wieder freigelassen. Die wollen nicht noch größere Unzufriedenheit schaffen. Ob es gelingt, ist eine andere Frage. Wir wissen nicht, wie die Protestwelle sich entwickeln wird. Die Proteste werden fortdauern, aber es wird nicht ausreichen, um das Regime zum Sturz zu bringen.

 

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