6. Fürther Erzählnacht bot allerhand Kino für den Kopf

18.1.2016, 13:00 Uhr
6. Fürther Erzählnacht bot allerhand Kino für den Kopf

© Foto: Hans Winckler

Die Profis: Natürlich setzten sie dank ihrer Berufserfahrung Akzente. Papierkünstler Johannes Volkmann warb für seine Aktion „Andersherum denken“, Heimatpflegerin Karin Jungkunz erläuterte die Bedeutung der diebischen Dohle am Haus Grüner Markt 10. Schauspieler Thomas Herr probierte mit dem Publikum gemeinsames Erzählen. Und Moderator Martin Ellrodt zeigte mit seiner sehr persönlichen Jugendgeschichte vom Umgang mit den Nachkriegsflüchtlingen, wie Vorurteile entstehen und wie man sie bekämpft. Aber spannender sind an einem solchem Abend letztlich doch die Laien, die den Mut haben, vor 160 Zuschauern aus dem Kopf heraus zu erzählen, oft auch sehr persönlich.

Die Fürther: Die Liebe zur Heimat ist vielen Antrieb zum Auftritt. Nicht jeder kann wie Stadtführer Uwe Kramer diese Verbundenheit in einen Geschichts-Song kleiden. Erika Enslein-Löhlein aber verlegte die zeitlose Geschichte von der vermeintlich Blinden, die plötzlich so zuvorkommend behandelt wird, einfach in einen infra-Stadtbus – um sich dann angesichts von so viel Höflichkeit ringsum zu fragen: „Bin ich wirklich noch in Fürth?“ Lothar Mitlehner konnte vom sensationellen Weinanbau in der Nürnberger Straße berichten. Und Heidemarie Opfinger erklärte das Steinerne Kreuz in Stadeln als mittelalterliche Kriminalgeschichte (zwei Tote, ein Selbstmord).

Die bewegendste Story — weil wergli wohr — steuerte wohl Gertraud Engel (77) bei. Sie erlebte mit Mutter und Oma in der Hardsiedlung die Ankunft der Amerikaner, ja der vielen schwarzen GIs. Die von den Nazis dämonisierten „Neger“ begrüßten die siebenjährige Gertraud mit Cola und Kaugummi. Und selbst als mal zwei übermüdete Soldaten das Bett der Engels für einen ausgiebigen Mittagsschlaf missbrauchten, hatte die Oma noch Verständnis dafür: „Die sind zwar schwarz, aber doch arme Buben, so jung und hier ohne Eltern.“ Auch Sexualkunde gab es ab und an gratis, wenn die Kinder auf der Hard beim Bäumeklettern die prickelnden Stelldicheins von GIs und deutschen Frolleins verfolgten.

Die Reisenden: Petra Spitzbarth schilderte spitzbübisch usbekische Gastfreundschaft. Zorica Otto erinnerte an ihre kindliche Weihnacht in Slowenien. Elias Berischa erklärte anhand einer Geschichte aus dem Kosovo unterschiedliche nationale Mentalitäten. Und Ludger-Matthias Horst erinnerte sich an seinen ersten Moschee-Besuch vor 40 Jahren im Iran — als Ingenieur bei Siemens. Echte Auslandserfahrung war einst ein seltenes Gut, oft verknüpft mit dem Beruf.

Die Berufebeschreiber: Abwechslungsreich kann das Berufsleben allerdings auch in Franken sein. Bestatter Friedrich Kiel wusste von einem Wiederauferstandenen, Ingrid Johnson von ihrem Nacktbügel-Erlebnis als Putzfrau nach einem Wasserrohrbruch. Ex-Oboe-Spieler Jörg Bolz schilderte melodiös Pannen auf und hinter der Bühne. Und Dirndl-Dame Kathrin Hofer (von der Vereinswirtschaft in Stadeln bis zur Promi-Kneipe „Baumwolle“ in Nürnberg) brachte in zehn Minuten Kindheit, Beruf und Ehe unter — und konnte doch zugleich zum Weiterlesen ihrer Lebensgeschichte auf das Buch „Das Leben der Wirtin Jungfrau Kathrin“ verweisen (416 Seiten!).

Die Selbstdarsteller: Ob schüchtern zu Boden blickend oder im Eifer des Gefechts das Mikrofon umsäbelnd — jeder Erzähler ist ein Stück weit Selbstentblößer. Zu den Mutigsten und Talentiertesten in dieser Kategorie zählte Klaus Wunschel, der sich mit Kesselpauke und Marschmusik an der Hundedressur versucht. Klaus Engl wählte die Sage vom Verschwinden der Sonne für seine akrobatische Bühnenshow. Werner Träger trug stoisch aber hochamüsant die gesamte griechische Mythologie in zweieinhalb Minuten vor. Und Ulrike (33) berichtete bedrückt, aber sehr berührend von ihren mauen Erfahrungen mit Flirtbörsen.

In 40 Jahren, bei der 27. Erzählnacht, wird Ulrike diese Geschichte wohl mit Altersmilde ganz neu erzählen.

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