Wo der «Adler» einst unterwegs war

21.5.2010, 00:00 Uhr
Wo der «Adler» einst unterwegs war

© Gerullis

Heute ist der Platz groß, grau und hässlich. Die Menschen, die hierherkommen, wollen nicht verweilen, sie eilen davon, als löse dieser Ort Fluchtinstinkte aus. Der Plärrer ist ein funktionales, großstädtisches Drehkreuz. Mehr nicht. Doch hier nahm die Geschichte ihren Anfang, die vom Aufbruch zweier Städte in ein neues Zeitalter handelt. Am 7. Dezember 1835 startet der »Adler« vom Plärrer aus seine historische Fahrt nach Fürth.

Vor den Schienen aber war die Straße. Schon der Bau der Chaussee zwischen den beiden Städten, die damals noch Felder und Wiesen trennten, war ein ganz besonderes Ereignis. Im Jahr 1801 wurden die Arbeiten begonnen – und zwar in Fürth. Dort ließ der preußische Staatsminister und spätere Staatskanzler Karl August Freiherr von Hardenberg erst einmal probeweise Pflaster verlegen. Und war zufrieden. Allerdings nicht mit der Reaktion der Nürnberger. Denn die wehrten sich heftig gegen die neue Anbindung an Fürth. Die Räte wussten nämlich, was die Preußen, die seit 1796 das Umland besetzt hielten, bezweckten: Sie wollten die Nürnberger um ihre Zoll- und Geleiteinnahmen bringen, wenn die alten Wege nach Fürth nicht mehr gebraucht würden – die führten vom Neutor über Schniegling oder über die Bärenschanzstraße.

Doch jeder Widerstand war zwecklos. Auch der Versuch der Nürnberger, den Import von Baumaterial aus Wendelsteiner Steinbrüchen zu verhindern, schlug fehl. Die Straße ließ sich nicht mehr aufhalten. Sie kroch unaufhaltsam voran. Im Winter 1804 war das Werk vollendet. Die neue, von Pappeln gesäumte Strecke erregte im ganzen Land Aufsehen. Hier war ein moderner Verkehrsweg entstanden, mit einem soliden Unterbau, der alle Unebenheiten ausglich. Was für ein ungewohnter Fahrkomfort für die Menschen in dieser Zeit! Schnell wurde die Nürnberg-Fürther Chaussee zur meistbefahrenen Straße in Bayern. Eine Verkehrszählung in den 1820er Jahren ergab, dass 612 470 Personen und 30 420 Fahrzeuge jährlich die Straße nutzten.

Über die Streckenführung für die Eisenbahn musste nicht lange diskutiert werden: In der Projektbeschreibung zur ersten »Eisenbahn mit Dampf-Fahrt zwischen Nürnberg und Fürth« vom 14. Mai 1833 hieß es: »Die geeignetste Linie der Bahn hat (. . .) ihren Anfangspunkt auf einem der öffentlichen Plätze der Vorstadt Gostenhof, dem sogenannten Plerrer, läuft daselbst durch zwei Gärten (Bei deren Eigenthümern eine günstige Mitwirkung nicht zu bezweifeln steht) und über die auf der linken Seite der Chaussee liegenden Felder (Deren Besitzer der Beförderung der guten Sache ebenfalls nicht abhold seyn werden), in einer Entfernung von 50 bis 80 Fuß von der Chaussee bis zur ihrem Endpunkt an der neuen Friedrichsstraße in Fürth nächst der Promenade.«

Die Ludwigseisenbahn wurde 1922 von der Straßenbahn abgelöst. Die Straßenbahn in den 80ern von der U-Bahn. Die Fürther Straße blieb, zumindest einigermaßen, was sie ist – eine Hauptverkehrsader, der auch ein paar künstliche Kurven nicht zu mehr Langsamkeit verhelfen konnten. Sie ist auch nicht Fußgängerzone geworden, wie es sich der frühere Baureferent Otto Peter Görl gewünscht hat. Als nämlich die Stadtverwaltung im Jahr 1965 den Bau der U-Bahn beschloss, glaubte sie, sie könnte den Autoverkehr komplett auf den neuen Frankenschnellweg umleiten. Daraus wurde nichts, wie wir wissen. Geblieben von der Idee ist nur der überdimensionierte Eingang zum U-Bahnhof Maximilianstraße.

Und trotzdem ist die Fürther Straße mehr als nur ein vielbefahrenes, aber wenig geliebtes Band. Sie hat Aufstieg und Fall miterlebt, das Ende der Wirtschaftswunder-Träume und die Geburt neuer Ideen und Visionen. An der Fürther Straße wurden Spielsachen produziert, Fahrräder, Motorräder, Schreibmaschinen, Waschmaschinen. Große Namen wie Triumph-Adler, Schuco und AEG waren hier zuhause. Die Datev hat sich entlang der Fürther Straße eingerichtet – ihre stetige Erfolgsgeschichte ist auf eine ganze Reihe von Gebäuden verteilt.

Und natürlich war all die Jahre hier die Quelle, ein Koloss, der für Erfolg und Verlässlichkeit stand, der Tausenden Menschen zu Lohn und Brot verhalf. Was für eine Aufregung herrschte unter den Anwohnern, wenn in der Vorweihnachtszeit täglich 200 Busse rund 3000 Saisonarbeiter brachten – aus der ehemaligen DDR, aus Oberbayern und der Oberpfalz. Die Bewohner des Stadtteils beschwerten sich über nächtlichen Lärm und vor allem darüber, dass die Schichtarbeiter ihre Vorgärten als Freiluft-Toiletten missbrauchten.

Dem Stillstand keine Chance geben

Heute ist hier Schweigen. Die Quelle ist Geschichte, so wie AEG und Triumph-Adler. Aber in die alten Industrieanlagen ist schon wieder Leben eingezogen, junge Künstler, innovative Firmen. Und auch für das ehemalige Versandhaus-Gelände zeichnen sich Zukunftskonzepte ab. Die Stadt will dem Stillstand keine Chance geben.

Die sicherlich bedeutendste Hausnummer an der Fürther Straße ist die 110: Hier steht das Oberlandesgericht, massig und eindrucksvoll, eingeweiht inmitten des Ersten Weltkriegs. Hier saßen die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg über die Nazi-Schergen zu Gericht. Und hier soll im November das »Memorium Nürnberger Prozesse« eröffnet werden. Ein neuer, wichtiger Ort der Erinnerung.

Wer die Fürther Straße zu Fuß entlanggeht und ein wenig Zeit hat, entdeckt viele kleine Lichtpunkte – das liebevoll ausgestattete Café Regina, den Rio-Palast, der noch ein richtiges Kino ist, die Musikzentrale – und sorgsam restaurierte Fassaden. Nicht alle sind hinter hässlicher Leuchtreklame verschwunden, die für Pilsbars und Wettbüros werben.

Visionen von einer neuen Fürther Straße gibt es natürlich auch heute noch. Der letzte, der seinen Traum von einem Boulevard zu Papier gebracht hat, ist Alojz Suc, der in Nürnberg Architektur studiert. Ende letzten Jahres hat er das Ergebnis seiner Diplomarbeit bei einer Vernissage im Stadtplanungsamt vorgestellt. Der junge Mann schenkt der Fürther Straße einen 14 Meter breiten Fußgängerboulevard zwischen den Fahrbahnen, gesäumt von einer Allee aus Pappeln. Die Straße komplett für den Verkehr zu sperren, hält auch er für zu gewagt. Aber er will den Autos wenigstens Platz wegnehmen, ihnen nur jeweils eine schmale Spur überlassen. »In der Mitte könnten die Menschen sitzen und Kaffee trinken, hier könnten Modenschauen stattfinden, ein Weihnachtsbaum aufgestellt werden.«

Josef Weber, der Chef des Stadtplanungsamts, denkt angesichts dieser Ideen bestimmt an den Haushalt der Stadt. »Der Plan macht einen guten Eindruck«, sagt er. »Visionen von einer anderen Fürther Straße gab es schon immer.« Aber sie sind an vielen Faktoren gescheitert. Meistens natürlich am Geld. Anfang des 19. Jahrhunderts war das noch anders: 64 654 Gulden hatte die Nürnberg-Fürther-Chaussee gekostet – weniger, als veranschlagt war. Dass ein Bau billiger kommt als erwartet, könnte auch eine Vision heutiger Stadtplaner sein.

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