Ein Dorf in Franken, 50 Einwohner und 50 Asylbewerber

27.5.2014, 08:05 Uhr
Ein Dorf in Franken, 50 Einwohner und 50 Asylbewerber

© Michael Kasperowitsch

Grund für das plötzliche Wachstum ist kein Wunder wirkendes Dorferneuerungsprogramm, sondern die Asylpolitik des Landratsamtes: Es hat in dem einzigen Pensionsgasthof im Ort ungefähr so viele Flüchtlinge aus aller Welt einquartiert, wie es Einwohner gibt. Die Spannungen wachsen.

Die Stimmung wirkt heiter, beinahe mustergültig. Auf der Kotzenauracher Dorfstraße kicken Buben aus Aserbaidschan mit einheimischen Jugendlichen. Im Garten einer Familie plaudert ein 17-jähriger Iraner vertraut mit seinen Dorfnachbarn. Er lebt mit den anderen so um die vier Dutzend Flüchtlingen aus Tschetschenien, Serbien, Armenien oder Äthiopien über der Straße in der „Neuen Krone“. Aber die Gelassenheit trügt. Die Einheimischen sind geladen. Seit Monaten staut sich der Ärger auf.

Seinen Namen will niemand mehr so recht öffentlich machen. Denn Kotzenauracher sind danach schon der sturen Fremdenfeindlichkeit oder gar des dumpfen Ausländerhasses bezichtigt worden, als herzlose Zeitgenossen, die Menschen in Not nicht helfen wollen. Tatsächlich sind sie alles andere als das.

Viel Unterstützung

Es gibt viele Erzählungen über die großartige Hilfsbereitschaft und die bereitwillige Unterstützung der Dorfbewohner. Babykleidung oder Spielzeug werden für die fremden Nachbarn organisiert. Es werden Fahrten zum Arzt übernommen, Bücher besorgt, Behördengänge begleitet. Auf dem Dorf hat man schon immer nach Kräften zusammengehalten. Das gilt auch für die vielen Fremden, die jetzt nun mal dazugehören.

Und die brauchen große Hilfe. Im abgelegenen Kotzenaurach macht kein Linienbus Halt, es gibt keinen Laden und für Flüchtlinge so gut wie nichts zu tun. Aber man kann die heilsamen Kräfte gewohnter Nachbarschaftshilfe auch überstrapazieren. „Unser früheres Dorfleben gibt es nicht mehr“, sagt eine Frau, „die Situation macht einen selbst ganz krank, die zermürbt.“ Drei oder vier Familien „hilft man gern“, aber 40 oder 50 Menschen auf einmal? „Das geht nicht. Das schafft man nicht.“ Man muss dazu sagen, dass diese Kotzenauracherin, die sich da so offen empört, äthiopische Frauen immer wieder fast liebevoll ihre „Freundinnen“ nennt.

Die lebten auch schon ein paar Monate in der „Neuen Krone“ und sind jetzt woanders untergebracht. Der freundschaftliche Kontakt nach Kotzenaurach aber ist erhalten geblieben. Der tief sitzende Unmut im Dorf, der bisweilen in scharfe Anklagen umschlägt, richtet sich nie gegen die Ausländer, die nehmen die Kotzenauracher eher in Schutz, wohl aber gegen das Landratsamt in Neustadt an der Aisch.

Die Behörde hat mit dem „Neue Krone“-Wirt einen Mietvertrag abgeschlossen. 40 Euro pro Tag und Flüchtling bekommt er vom Staat für Unterkunft und Verpflegung. Das ergibt schnell um die 50.000 Euro im Monat. Er muss enorme Ausgaben davon bestreiten, aber es bleibt sicher mehr hängen als beim Betrieb eines abgelegenen Dorfgasthauses mit ein paar Pensionsgästen. Die Kotzenauracher aber fühlen sich vom Landratsamt völlig überrumpelt, ja ausgeschlossen, ganz so als wären sie nun selbst Fremde in der eigenen Heimat.

„Als 2012 die ersten Flüchtlinge einzogen, dachten wir, das sind Arbeiter von irgendeiner Baustelle in der Umgebung“, erzählt eine Dorfbewohnerin, „dass das Flüchtlinge sind, haben wir erst nach und nach mitbekommen.“ Busse haben die Menschen hier einfach abgesetzt. Vom Landratsamt habe die Dorfbevölkerung niemand aufgeklärt. Obendrein versuche der Wirt, allzu herzliche Kontakte zu den Asylbewerbern zu unterbinden, so als habe er etwas zu verbergen, sagt eine Kotzenauracherin.

Petition eingereicht

Inzwischen hat sich auch der Landtag mit der Situation in dem mittelfränkischen Dörfchen beschäftigt. Bewohner haben dort eine Petition eingereicht. Der Ausschuss hat auch wichtige Empfehlungen gegeben. Er hält eine Sozialberatung für sinnvoll, einen runden Tisch und eine Begrenzung auf zehn bis 15 Flüchtlinge. Aber das sind nur Empfehlungen. Hans Daum, der Wirt, hat im Maximilianeum inzwischen seinerseits eine Petition eingereicht. Darin wehrt er sich gegen den Eindruck, „unsere Gäste“ seien vollkommen sich selbst überlassen. Er preist umfangreiche Fahrdienste und einen Übersetzungsservice. „Wir haben drei Kleinbusse im Einsatz und unsere Mitarbeiter sprechen Russisch, Arabisch, Englisch, Französisch.“ Auf eigene Kosten habe man zum Beispiel schon eine Gymnastiklehrerin engagiert. Dieses Angebot sei aber auf ganz geringes Interesse gestoßen, ebenso wie ein Deutschkurs der Caritas.



Das alte Dorfgasthaus, dem heute so viele nachtrauern, habe, so Daum, schon lange vor der Unterbringung der Flüchtlinge nicht mehr bestanden. Aus der Kritik sprächen nur Hass oder Neid. Dabei sei schon jetzt ein Renovierungsaufwand an seinem Gebäude in Höhe von 300.000 Euro absehbar. „Wir bitten Sie weiterhin um Zuteilungen“, schreibt der Unternehmer an die Abgeordneten. Er meint damit weitere Flüchtlinge.

Die beiden Petitionen werden nun durch die Ämter gereicht, bewertet und mit Stellungnahmen versehen. Ein konkretes Ergebnis ist nicht absehbar. Bei der Regierung in Ansbach versteht die Aufregung niemand. „Nach den Feststellungen gab es bislang keine begründete Veranlassung, aufsichtlich tätig zu werden“, heißt es dort nüchtern. Gerade auf dem Land sieht die Regierung bei Konflikten mit der Nachbarschaft „gemeinsame Gespräche als zielführend an“. Aber mit ihren Nachbarn haben die Kotzenauracher keine Konflikte, sondern mit dem Landratsamt. Dort vermissen die Bürger jede ernst zu nehmende Gesprächsbereitschaft.

Hoffen auf Wandel

Der frühere Landrat Walter Schneider (FWG) sieht das anders. Man habe die Angelegenheit ausreichend mit den Kotzenaurachern erläutert. Die Flüchtlinge würden gut betreut. Im Übrigen sieht er sich selbst in einer Zwangslage, weil der Staat den Landkreisen die Flüchtlinge zuweise. Inzwischen ist Helmut Weiß (CSU) Chef im Landratsamt. Von ihm erhoffen sich die Kotzenauracher nun einen Wandel in der festgefahrenen Situation. Sie kennen zum Beispiel mehrere Vermieter im Landkreis, die Zimmer an Flüchtlinge vergeben würden. Das würde die Lage in ihrem Dorf entspannen. Ausfindig gemacht haben diese potenziellen Vermieter die Dorfbewohner selbst, nicht das Landratsamt.

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