Treuchtlinger Pendler fühlen sich abgehängt

24.11.2017, 06:09 Uhr
Treuchtlinger Pendler fühlen sich abgehängt

© Benjamin Huck

Als um 18.53 Uhr der ICE 1602 aus München in Richtung Nürnberg in Treuchtlingen einfährt, wartet nur ein Reisender am Bahnsteig. Aber aussteigen, das tun hier viele. Bestimmt 40 Leute tröpfeln aus den Waggons. Gerade für Pendler nach München ist der ICE eine wichtige Verbindung – eine, die zum Ärger vieler mit dem neuen Fahrplan, der ab Dezember gilt, zeitlich nach vorn verschoben wird. Auf die Pendler kommen so längere Fahrtzeiten und weniger Zeit mit ihren Liebsten zu.

Um 17.39 Uhr startet der ICE, den Bernhard Reil nimmt, bisher vom Bahnhof in München. Für den Treuchtlinger ist das perfekt. Wenn er täglich den Zug um 17.39 Uhr nimmt, kommt er auf seine 40 Wochenarbeitsstunden, und das ohne jeden Tag morgens schon den Zug um 5.26 Uhr nehmen zu müssen. Manchmal kann er eine Stunde länger schlafen und erst um 6.22 Uhr abfahren. Abends ist er gegen 19 Uhr zu Hause und hat noch Zeit für seine Familie. Zeit für Freizeitaktivitäten hat er ohnehin nur am Wochenende.

Mit dem neuen Fahrplan, der ab 10. Dezember gilt, fällt der Zug um 17.39 Uhr aber weg. Die Alternative sind ein ICE bereits um 17.05 Uhr oder erst um 18.53 Uhr. Nimmt Reil schon den um fünf, dann muss er jeden Tag schon um 5.26 Uhr morgens am Bahnsteig stehen – Aufstehen um vier Uhr.

Möglich wäre auch die Fahrt mit einem nach Reils Erfahrung chronisch unpünktlichen Regionalexpress über Augsburg mit kurzer Umsteigezeit von sieben Minuten. Verspätet sich dieser, ist der Anschlusszug weg und es heißt, eine Stunde warten. Reil hat so ziemlich jede Alternative gewälzt, aber keine ist für ihn praktikabel. Aufs Auto umzusteigen kommt für den Treuchtlinger nicht in Frage. Knapp 4000 Euro zahlt er für das Jahresticket der Bahn. Würde er Auto fahren, wäre er länger unterwegs, es wäre teurer und stressiger. Rund 30.000 Euro jährlich würde ihn das Pendeln mit dem Auto kosten, hat er ausgerechnet.

Elf Arbeitstage mehr im Zug

In dem offenen Brief, mit dem sie sich Unterstützung erkämpfen wollen, machen die Pendler die Rechnung auf. Wenn man den Weg zum Bahnhof, die Wartezeiten dort und in München sowie dort noch den Weg zur Arbeitsstelle aufsummiert, komme man auf eine einfache Pendelzeit von 1:40 bis 2:30 Stunden. Nehmen die Pendler abends den langsameren Eurocity 216 mit Umstieg in Augsburg, sind sie 27 Minuten länger unterwegs. Auf das Jahr gesehen ist das ein Zeitverlust von mehr als elf Arbeitstagen. Insgesamt sind die Pendler statt vier mit der neuen Anbindung jetzt in jedem Fall 4:20 Stunden auf der Strecke.

Bernhard Reil ist nicht der einzige, den die Fahrplanumstellung trifft. Im Zug hat man Zeit zum Reden. Er hat sich umgehört, hat mit anderen Pendlern im Zug einen Kartel-Stammtisch, an dem auch solche Probleme gewälzt werden. Reil ärgert sich über die Politik der Bahn. Er und seine Mitpendler haben den Eindruck, dass der Fahrplan vor allem für die neue Sprint-Strecke von München über Nürnberg nach Berlin optimiert wird und die Pendler hintenüber fallen.

Das bestätigt die Bahn auf Anfrage auch und erklärt: „Der Hintergrund für die zeitliche Verschiebung der Fahrten [um 16.40 und 17.39 Uhr] liegt in der Eröffnung der neuen Schnellfahrstrecke Berlin-München.“ Weil die ICE-Züge zwischen Berlin und Nürnberg nun rund 90 Minuten schneller sind, verschiebt sich der stündliche Takt um eine halbe Stunde, erläutert eine Bahnsprecherin. Das gelte dann auch für die Züge aus der Gegenrichtung, also von München.

Für den für Pendler besonders relevanten Zeitraum zwischen 17 und 19 Uhr, in dem es jetzt keine Direktverbindung von München mehr gibt, verweist die Bahn auf die Umsteigeverbindungen über Augsburg, Donauwörth und Ingolstadt, die nur rund 20 Minuten langsamer seien – zumindest, wenn keine Verspätung für einen unerwünschten Zwischenaufenthalt sorgt, weil der Anschlusszug weg ist.

„Wie in einer Sardinenbüchse“

Die Pendler-Gruppe befürchtet zudem, dass sich die Pendler Richtung Norden jetzt auf den ICE 702 konzentrieren werden, der München um 17.05 Uhr verlässt, und dieser dann aus allen Nähten platzt. Eine ähnliche Situation haben die Verfasser des offenen Briefs bereits erlebt, als ein ICE ausgefallen war und die Fahrgäste in den Gängen stehen mussten. „Wie in einer Sardinenbüchse“, erinnert sich Bernhard Reil. Für ihn ist es unverständlich, dass die Bahn die Pendler mit dem neuen Fahrplan so abkoppelt. Denn gerade sie seien diejenigen, die für die tägliche Auslastung der Züge sorgen, nicht die gelegentlichen Fernreisenden.

Mehr als 12.600 Menschen pendeln aus dem Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen aus, um zu arbeiten. Allein nach München waren es im Jahr 2016 täglich fast 450. Reil sieht das in einem größeren Zusammenhang: „Wenn den Leuten das Pendeln aus dem ländlichen Raum so schwer gemacht wird, was bleibt ihnen anderes übrig, als umzuziehen?“, sagt er. Umzuziehen in Ballungsräume wie München, wo der Wohnraum knapp und die Mieten hoch sind. Das Land werde so entvölkert.

Die Statistik zeigt, dass das schon passiert. 2011 zogen aus Treuchtlingen 43 Menschen weg – ob in Ballungsräume, darüber schweigt die Statis­tik. 2015 erlebte die Altmühlstadt zwar einen deutlichen Zuzug, aber der dürfte in erster Linie der Zuwanderung von Flüchtlingen geschuldet sein.

Bürgermeister Werner Baum kann die Sorgen der Pendler durchaus verstehen. Bevor er Rathauschef wurde, pendelte er selbst zu seinem Arbeitsplatz bei der Bahn in München. Allerdings sieht er kaum Chancen, an dem bereits gültigen Fahrplan jetzt noch etwas zu ändern. Schließlich sind sogar bereits Buchungen möglich.

Treuchtlingen stehe mit seinen nun elf statt vorher neun Fernverkehrshalten ohnehin vergleichsweise gut da, sagt Baum. Wobei auch hier die Tücke im Detail liegt: Nach einer Recherche im Fahrplan kommt pro Tag netto nur eine Verbindung hinzu. Denn ein neuer Intercity Richtung München kommt montags bis donnerstags aus einer anderen Richtung als freitags und wird wohl wie zwei Verbindungen gezählt.

Die Bahn betont trotzdem: Aus Richtung Nürnberg werde das Angebot am Abend sogar verbessert. So startet ein IC um 18.31 Uhr und ist um 19.03 Uhr in Treuchtlingen. Dieser Zug verkehrt sonntags bis donnerstags. Um 19.33 Uhr fährt zudem ein ICE von Hamburg nach München in Nürnberg los und hält um 20.06 Uhr in Treuchtlingen.

Flexibel arbeiten? Nicht mit der Bahn

Die Nöte der Pendler kamen bereits bei einem Treffen mit Bürgermeister, Landrat, dem Landtagsabgeordneten Manuel Westphal und dem Bundestagsabgeordnetem Artur Auernhammer auf den Tisch. Aller Einsatz habe jedoch nichts genützt, sagt Baum. Hoffnung sieht er frühestens beim nächsten Fahrplanwechsel 2018.

Die Pendler aber wollen das so nicht stehen lassen. In ihrem Brief blicken sie auch über den Tellerrand des Landkreises hinaus und verweisen darauf, dass mit der Agenda 2010 eine Flexibilisierung der Arbeitswelt gefordert wurde. Diese müsse aber auch möglich gemacht werden, etwa durch bessere Anschlüsse für Pendler in ganz Deutschland. Schließlich könne man nicht mit jedem Jobwechsel umziehen.

Von dem offenen Brief erhoffen sich die Pendler, das Thema bei Politik und Medien in den Fokus zu rücken. „Wir brauchen in Stoßzeiten gute Direktverbindungen, nicht nur auf Fernverkehrsstrecken”, sagt Reil.

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