Auszeit mit Ziegen

19.1.2015, 20:01 Uhr
Auszeit mit Ziegen

© Foto: Michaela Zimmermann

250 Landwirte in Bayern setzen derzeit auf Soziale Landwirtschaft und haben sich damit ein weiteres Standbein geschaffen. Die Schwerpunkte in den Betrieben sind höchst unterschiedlich. In der Regel handelt es sich um Betriebe, die Menschen mit körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen in die landwirtschaftliche Arbeit mit einbinden. So bieten sie benachteiligten, suchtkranken oder straffälligen Menschen, aber auch lernbehinderten Jugendlichen oder hilfsbedürftigen Senioren eine Lebensperspektive. Auch Schul- und Kindergartenbauernhöfe zählen dazu. Charakteristisch ist, dass der landwirtschaftliche Betrieb den Rahmen vorgibt, in dem Arbeit, Beschäftigung, Freizeit, Erziehung, Bildungsarbeit und Therapie stattfinden. In der Praxis kristallisieren sich meist drei Formen heraus. Soziale Träger, die landwirtschaftliche Angebote machen, wie etwa das Bewirtschaften von Feldern oder das Versorgen von Tieren. Dann gibt es Träger, die mit landwirtschaftlichen Betrieben kooperieren oder eben Landwirte, die eigenständige Sozialunternehmer sind, wie das Ehepaar Schober, das seinen Ziegenhof gemeinsam mit seelisch belasteten Menschen bewirtschaftet. In der Metropolregion gibt es mittlerweile zehn solcher Betriebe. Tendenz steigend. Und zwar in ganz Bayern. Das Landwirtschaftsministerium hat deshalb eine Bestandsaufnahme von Betrieben mit Sozialer Landwirtschaft in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse sind noch nicht publik. Fest steht aber, dass sich immer mehr Betriebe für diese Form der Bewirtschaftung interessieren und im Netzwerk Soziale Landwirtschaft über Möglichkeiten informieren. Denn während kleinere landwirtschaftliche Betriebe landauf, landab ums Überleben kämpfen, zählt der soziale Sektor weiterhin zu den Wachstumsbranchen.

TRAUTSKIRCHEN — Der Wecker reißt Christian Weiser abrupt aus den Träumen. Der Abteilungsleiter eines Sportartikelherstellers fühlt sich ausgelaugt. Gerade so, als hätte er gar nicht geschlafen. Diesen Zustand kennt der 47-Jährige nur zu gut. Seit Wochen fühlt er sich ausgebrannt. Doch es ist Zeit aufzustehen. Die Ziegen warten auf ihr Futter und wollen gemolken werden. Dieser Gedanke zaubert dem Manager, der seit Monaten unter einer Erschöpfungsdepression leidet, ein Lächeln ins Gesicht.

Weiser ist Gast auf dem Ziegenhof Schober in Buch bei Trautskirchen im Landkreis Neustadt/Aisch-Bad Windsheim. Der Hof mit seiner Bio-Landwirtschaft ist im Besitz von Barbara und Heinz Schober. Seit 20 Jahren hält das Ehepaar Milchziegen und bietet Gästen die Möglichkeit, auf dem Hof zu wohnen und im Betrieb mitzuarbeiten. Das ehemalige Gesindehaus mit seinen einfachen Gästezimmern und der gemütlichen Gemeinschaftsküche steht während des Sommerhalbjahres für jeden bereit, der eine Auszeit benötigt.

Nach Vorliebe

Zu tun gibt es jede Menge. Da ist der Stall mit den 43 quirligen Ziegen. Die Molkerei, die Käserei, die Bäckerei, der große Gemüse- und Kräutergarten, der Hofladen, die Hühner und natürlich die Ackerflächen. Wo die Gäste mit anpacken wollen, steht ihnen frei. „Nach kurzer Zeit wird klar, wo es sie hinzieht“, sagt Bäuerin Barbara Schober und lacht. Hauptsache man hat Spaß an der Sache. Druck, Zwang oder Verpflichtungen? Gibt es nicht. Die Schobers sind davon überzeugt, dass sich die Dinge fügen müssen. Von selbst und in ihrer Zeit. Für die Neuankömmlinge, die meist aus einem Leben in Stress und Hektik kommen, ist dieser Ansatz Balsam für die Seele.

Am ersten Tag sind viele der Gäste meist schon damit überfordert, überhaupt keine Vorgaben zu haben. So auch Christian Weiser. Die Schobers kennen das — und warten ab, bis sich ihre Besucher eingelebt haben. „Die Natur macht es uns vor, dass alles seine Zeit braucht“, sagt Heinz Schober. Zerren und Drängen habe noch nie etwas Positives bewirkt. Erst wenn die Menschen von sich aus kommen, Fragen stellen, sich öffnen, beginne ein Prozess. „Im besten Falle mündet der in die Heilung“, sagt der Bauer.

Auf der Jagd

Die Schobers glauben nicht, dass ihren Gäste wirklich etwas fehlt. Die meisten seien einfach nur überfordert vom Alltag und ihren beruflichen Anforderungen, sagen sie. „Die Zeit ist so schnelllebig geworden und die Menschen muten sich auf der Jagd nach immer mehr Geld einfach zu viel zu“, glaubt Heinz Schober. So ein Leben führe zwangsläufig in die Erschöpfung.

„Wir machen hier nichts Besonderes“, betont auch seine Frau Barbara. Man hole die Leute einfach ins Hier und Jetzt. Die Umgebung, der rhythmisierte Tages- und Wochenablauf auf dem Bauernhof, die sinnstiftenden Tätigkeiten, die darauf hinauslaufen, qualitativ hochwertige Lebensmittel herzustellen, das sei es, was den Leuten helfe, zu sich zu finden. Und was sagen die Gäste? „Es ist diese Entschleunigung bei den Schobers und ihr bewusster Umgang mit den Dingen. Das wirkt ansteckend“, sagt Christian Weiser.

Großen Wert legen die Schobers auf eine hochwertige und ausgewogene Ernährung. Die Bäuerin kennt sich mit Nahrungsmitteln und ihrer Wirkung auf den menschlichen Körper bestens aus. Alle Lebensmittel, aber auch das Tierfutter stammen aus der eigenen Produktion oder von benachbarten Bio-Betrieben. Die 43 Milchziegen liefern nicht nur Milch und Käse, sondern auch Fleisch. In der kleinen Käserei ist nahezu jeder Schritt im Herstellungsprozess Handarbeit. Manche Käsesorten müssen über mehrere Monate hinweg reifen und in dieser Zeit sorgsam gepflegt werden. Die Gäste helfen auch hier mit.

Doch was brachte die Schobers dazu, vor 20 Jahren ihre Hoftüre zu öffnen und das alte Gesinde- zum Gästehaus umzufunktionieren? „Das war eigentlich Zufall“, sagt Barbara Schober. Kunden, die vorbeikamen, um Lebensmittel zu kaufen, fragten an. Sie wollten hier ein paar Tage Urlaub machen und mithelfen, um etwas über die Ziegen und die Käseherstellung zu lernen So entwickelte sich die Soziale Landwirtschaft Stück für Stück und mit ihr ein weiteres Standbein für die Familie. „Es ist ein Zubrot, auf das wir zwar verzichten könnten, aber nicht mehr wollen“, sagt das Ehepaar. Die Gäste bringen Leben und Inspiration auf den Hof.

Angebot ausbauen

Heinz Schober ist mittlerweile 68 Jahre alt. Sein bisheriges Leben hat er auf dem Anwesen verbracht, das einst seinen Eltern gehörte. Auch Barbara Schober stammt aus einer Landwirtschaft. Die Liebe zu den Ziegen brachte die beiden vor 35 Jahren zusammen. Irgendwann etwas anderes zu tun, als Ziegenkäse herzustellen und Ziegen zu züchten, können sich die beiden nicht mehr vorstellen. Doch sie wollen ihre Erfahrungen mit anderen teilen. In Seminaren, Workshops, Kochkursen. Das Angebot für die Gäste auszubauen, das hat sich das rührige Ehepaar in den nächsten Jahren zum Ziel gesetzt — wenn die Zeit dafür reif ist.

Bis dahin machen die Schobers einfach weiter wie bisher: Der Sommer gehört den Gästen, den Ziegen und der Landwirtschaft. Im Winter werden die Zicklein geboren und die Schobers schöpfen neue Kräfte für die nächste Schaffensperiode.

Christian Weiser will in jedem Fall wiederkommen, sagt er. Vielleicht schon nächsten Sommer.

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