Bamberger Chefarzt-Prozess: Die Nerven liegen blank

10.6.2016, 16:30 Uhr
Bamberger Chefarzt-Prozess: Die Nerven liegen blank

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Das Verfahren am Landgericht Bamberg sprengt schon lange den zeitlichen Rahmen. Zumindest jenen, den die Richter im Sinn hatten. Ursprünglich hatten die Richter der Strafkammer geplant, im Mai ihr Urteil zu sprechen - im Mai vergangenen Jahres, wohlgemerkt.

Die Beweislage schien übersichtlich, steht doch das Handeln des ehemaligen Chefarztes Heinz W. im Untersuchungszimmer des Klinikums Bamberg objektiv fest: Er hat es gefilmt und damit Oberstaatsanwalt Bernhard Lieb Beweismaterial geliefert. Lieb spricht von Vergewaltigung, gefährlicher Körperverletzung und Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen - denn W. filmte den Intimbereich von Patientinnen und Mitarbeiterinnen (ohne deren Wissen), machte die Frauen mit einem Hypnotikum willenlos wie Roboter, raubte ihnen die Erinnerung.

Narzisstische Persönlichkeit diagnostiziert

Heinz W., dem Psychiater Norbert Nedopil eine narzisstische Persönlichkeit und volle Schuldfähigkeit bescheinigt, bestreitet sexuelles Interesse. Was die Anklage als Eindringen in den Körper und als Vergewaltigung wertet, nennt er Wissenschaft. Er habe den Frauen nur aus medizinischen Gründen Sexspielzeuge aus Gummi in Körperöffnungen geschoben. Polizei und Staatsanwaltschaft verstünden seine Behandlungsmethoden nicht.

Doch er räumt ein, seine Forschungen für wichtiger gehalten zu haben als das Selbstbestimmungsrecht der Frauen, zum Sexualstraftäter mache ihn dies nicht. Dass die betroffenen Frauen traumatisiert sind, sieht er ein, die Schuld schiebt er weg. Erst die Ermittlungen der Polizei und der Staatsanwaltschaft sowie die Medienberichte hätten das Leid der betroffenen Frauen ausgelöst.

Seit August 2014 sitzt W., Jahrgang 1965, in der Bamberger Sandstraße in U-Haft. Als mutmaßlicher Sexualstraftäter steht er in der Gefängnis-Hierarchie dort ganz unten.

Angeklagter wird oft bedroht

Vor einigen Wochen beschrieb ein Mithäftling vor dem Bamberger Amtsgericht, dass W. oft bedroht werde - Anlass des Verfahrens war der Vorwurf, dass W. einen Mithäftling schlug - möglicherweise war es aber auch andersherum, und W. wehrte sich nur gegen vorangegangene Schläge. Dieser Prozess endete für ihn mit einer Einstellung - allerdings mit Blick auf eine Verurteilung "in einem anderen Verfahren", in dem eine wesentlich höhere Strafe zu erwarten sei, wie die Richterin anmerkte.

Tatsächlich lasten in der Beweisaufnahme dieses "anderen Verfahrens" die Beweise immer schwerer auf Heinz W. – die Verteidigungstaktik, das rechtliche Gehör auszunutzen, um seit Prozessbeginn alles und jeden zu bezweifeln, lässt die Indizienkette der Anklage bisher nicht reißen.

W. hatte seinen mutmaßlichen Opfern, alle attraktiv und zwischen 17 und 28 Jahre jung, vor den Untersuchungen gesagt, dass er an einer Studie arbeite - im Prozess wurde offenbar, dass es diese Studie nie gab.

Er habe den Frauen das Kontrastmittel Sonovist gespritzt, erklärte er. Im Prozess bezeugte eine Mitarbeiterin einer Pharma-Firma, dass Sonovist in Deutschland nie zugelassen wurde, nie auf den Markt kam.

Dagegen können die Erinnerungslücken, die mehrere der mutmaßlichen Opfer schildern, mit verabreichten Benzodiazepinen, sedierende und schlaffördernd wirkende Arzneien, erklärt werden, nicht aber mit eventuellen Nebenwirkungen eines Kontrastmittels, stellt der Würzburger Rechtsmediziner Dieter Patzelt fest.

Belastungszeugin beschuldigt

Eine Medizinstudentin, damals in W.s Abteilung beschäftigt, war die Erste, die ihn im Juli 2014 anzeigte. Weil sie nach der Untersuchung bei W. über ihren benommenen Zustand rätselte, ließ sie sich von ihrem Vater, er ist ebenfalls Arzt, Blut nehmen. Die Probe enthielt ein Hypnotikum.

Dieser Studentin unterstellte Heinz W. jüngst, selbst zu großzügig Medikamente geschluckt zu haben, dem Erlanger Laborarzt, der ihre Blutprobe untersuchte, warf er schlechte Arbeit vor. Er hält es für denkbar, dass der Vater der Studentin die Blutprobe manipulierte.

Doch den letzten Fall der Anklage - in die Verteidigungslinie "Forschung, nicht Missbrauch" passt er nicht – hat W. eingeräumt: Im Juni 2014 füllte er nach einem Musicalbesuch in einem Hotelzimmer eine 18-jährige Bekannte der Familie mit Alkohol ab, zog sie aus und filmte die Willenlose - dieser Film wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Gerichtssaal gezeigt.

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