Bamberger Chefarzt-Prozess: Opfer schildert Erlebnisse

21.9.2015, 15:48 Uhr
Bamberger Chefarzt-Prozess: Opfer schildert Erlebnisse

© Nicolas Armer (dpa)

Seit 7. April sitzt Nebenklägerin Carmen B. (27 ) im Saal 0.107 des Landgerichts Bamberg, seit Prozessbeginn verfolgt sie das Verfahren gegen Heinz W., ursprünglich, sollte sie, so hatte es die Große Strafkammer geplant, bereits am zweiten Verhandlungstag in den Zeugenstand treten.

Doch mittlerweile ist es Herbst geworden, fast zwei Dutzend Zeugen wurden bereits vernommen und Chefarzt Heinz W. erlebte in der U-Haft seinen 50. Geburtstag. Die Prozessbeteiligten kalkulieren mit weiteren Verhandlungsterminen bis Januar 2016.

Bevor Nebenklägerin Carmen B. (Name geändert) in den Zeugenstand gebeten wird, versuchen die Verteidiger per Beweisantrag einen Aussagepsychologen in das Verfahren zu holen, doch entsprechende Anträge lehnen die Richter ab - man verlasse sich auf die eigene Sachkunde, stellt Manfred Schmidt fest.

Studentin wirkt ruhig und gefasst

Der Vorsitzende Richter der Strafkammer kann sich auf höchstrichterliche Rechtsprechung stützen. Schließlich gehört es zum Alltag von Richtern, die Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen zu würdigen, der Bundesgerichtshof spricht von der „ureigensten Aufgabe“ der Richter.

Regelmäßig ziehen die Gerichte nur Psychologen zu Rate, wenn psychisch Kranke, Kinder oder intelligenzgeminderte Zeugen befragt werden - und dies ist in diesem Verfahren nicht der Fall.

Mit fester Stimme, ruhig und gefasst, sagt die 27-jährige Medizinstudentin aus. Sie schildert, wie sie im Mai 2014 ihr Praktisches Jahr im Bamberger Klinikum begann, in der Orthopädie und der Unfallchirurgie dabei war, sich als dritte Assistentin im Operationssaal der Allgemeinchirurgie engagierte.

Sie lief bei der täglichen Visite mit und begann Mitte Juli in der Gefäßchirurgie. Es war an ihrem zweiten oder dritten Tag, als Chefarzt Dr. Heinz W. die attraktive, dunkelhaarige Studentin zu sich rief, ihr erklärte, dass er an einer Studie arbeite und sie aufgrund ihrer schlanken Figur als Teilnehmerin gut geeignet sei.

Ungeschickt mit der Spritze hantiert

Sie sei damals die einzige Praktikantin in der Gefäßchirurgie gewesen, erklärt Carmen B., Chefarzt W. habe sie gesiezt. Vor besagter Untersuchung, die Dr. W. laut Anklage zu einem sexuellen Missbrauch ausnutzte, habe ihr der Chefarzt ein Plakat mit Abbildungen von Venen und Arterien gezeigt, und erläutert, dass er ihr für die Ultraschalluntersuchung ein Kontrastmittel spritzen und ihr dafür einen Zugang legen würde.

Sie habe ja in den Tagen vorher gesehen, dass Dr. W. gut operiert, erinnert sich Carmen B., doch damals habe sie sich gewundert, wie ungeschickt er mit der Spritze hantierte. Zwei große blaue Flecken habe sie später gehabt.

Sie sollte noch einen Aufklärungsbogen unterschreiben, doch diese ärztliche Aufklärungspflicht habe er ein wenig heruntergespielt, so die Zeugin heute, W. habe recht schnell und undeutlich gesprochen. "Vielleicht sollte ich ja gar nicht alles verstehen", meint die junge Frau , viel sei auf dem Aufklärungsbogen ohnehin nicht gestanden, überdies war er handschriftlich, sie habe ihn auch nicht lesen können.

Dass ihr Dr. W. vor der Untersuchung Sexspielzeug gezeigt und ihr erklärt habe, dass er diese sogenannten "Butt plugs" zur Untersuchung verwenden wollte, weist die Zeugin zurück.

Die Anklage geht davon aus, dass Dr. W. der jungen Frau statt dem angekündigten Kontrastmittel ein Hypnotikum spritzte, und sich, während sie sediert auf der Liege lag, an ihr vergriffen habe.

Nur noch Erinnerungsfetzen

Carmen B. will besagtes Sexspielzeug erst viel später, als die Polizei ermittelte, auf Fotos gesehen haben. Das Video, das Heinz W. von besagter Untersuchung erstellt hat, will sie nicht sehen.

Bis heute kann sie nur Erinnerungsfetzen abrufen. Wenn zutrifft, dass ihr Dr. W. das Hypnotikum Midazolam spritzte, wäre das gelöschte Erinnungsvermögen alles andere als ein Wunder. Midazolam versetzt Patienten in einen willenlosen, jedoch nicht narkotisierten Zustand.

Es löscht das Erinnerungsvermögen von Betroffenen vollständig - Mediziner sprechen deshalb von einem chemischen Radiergummi. Dr. W. soll Tausende von Fotos von Carmen B. und weiteren geschädigten Frauen angefertigt haben.

Sie sei damals nach der Untersuchung mit ihrem Smart von Bamberg nach Forchheim gefahren, sie erinnere sich noch, dass die Tachonadel auf 140 stand - sonst fahre sie nicht so schnell, so die Zeugin. Doch sie habe sich damals nach der Untersuchung so sicher gefühlt, auch dass sie viel zu spät dran war, und ihre Verabredung nicht pünktlich schaffen würde, habe sie, ganz im Gegensatz zu ihrem üblichen Verhalten, überhaupt nicht nervös gemacht.

Sie habe mit ihrem Freund telefoniert, mit ihm traf sie sich an einer Tanzschule. Auf der Tanzfläche habe sich ihr Freund an jenem Abend ein wenig über sie geärgert, denn es mangelte ihr an Konzentration, sie kam stetig aus dem Takt.

Mittel nur wenige Stunden nachweisbar

Damals vermutete sie zunächst, sie leide unter einer Art allergischer Reaktion, doch für Kontrastmittel seien keine Nebenwirkungen bekannt. Da sie aus ihrem Medizinstudium wisse, dass viele Medikamente und Mittel im Blut nur wenige Stunden nachweisbar seien, wollte sie sich auf eigene Kosten im Krankenhaus in Forchheim Blut abnehmen lassen.

Ihr ging es anfänglich nicht um Misstrauen gegen Dr. W., vielmehr wollte sie Klarheit haben. Doch eine Blutuntersuchung lehnte die dortige Ärztin ab. Weil Carmen B. unbedingt Bescheid wissen wollte, traf sie sich in jener Nacht noch mit ihrem Vater - er ist ebenfalls Mediziner und sicherte eine Blutprobe seiner Tochter. Als das Medikament in ihrem Blut nachgewiesen wurde, kamen die Ermittlungen ins Rollen.

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