„CSU muss endlich die Wahrheit sagen“

22.1.2015, 19:34 Uhr
„CSU muss endlich die Wahrheit sagen“

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Herr Grüger, Sie sprechen sich gegen die geplanten Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungs-Leitungen, auch HGÜ-Leitungen genannt, aus. Warum?

Stephan Grüger: Begründet werden die geplanten HGÜ-Leitungen damit, dass im Norden mit Windenergie angeblich mehr Strom produziert wird, als dort verbraucht werden kann und der müsse in den Süden gebracht werden. Das ist aber Unsinn. Bis 2030 sollten in Nord- und Ostsee ursprünglich 25 000 Megawatt auf See, also „offshore“, installiert werden — ob das erreicht werden kann, ist im Moment allerdings fraglich. Zudem sollen es nördlich von Hessen und Sachsen-Anhalt 25 000 MW installierte Leistung aus Landwindkraft sein. Gehen wir davon aus, dass die Anlagen im Binnenland 2000 Benutzungsstunden und die auf See 3000 Benutzungsstunden leisten, erhält man im Jahr 125 TWh Strom. Gleichzeitig werden im Norden circa 243 TWh Strom im Jahr verbraucht. Die Menschen können den dort produzierten Windstrom also ganz gut selbst nutzen. Dass dann 22 Milliarden Euro für HGÜ-Leitungen ausgegeben werden sollen, ist angesichts des Gejammers über Kosten absurd.

Aber was ist mit den Erzeugungsspitzen, wenn also so viel Wind weht, dass der aktuelle Bedarf im Norden übertroffen wird?

Grüger: Der Süden Deutschlands kann ohne Speicher auch nichts mit den Erzeugungsspitzen anfangen. Der braucht vielmehr eine gesicherte Versorgung. Nebenbei: Es ist ja nicht so, dass wir in Deutschland nicht bereits ein funktionierendes Höchstspannungsnetz zwischen „Norden“ und „Süden“ hätten. Mit einem Teil der für das neue HGÜ-Parallelnetz geplanten 22 Milliarden Euro sollte man vielmehr eine Anschubfinanzierung für Speicher, in denen die Windspitzen gespeichert werden können, realisieren. Die klügste Variante wäre da Power-to-Gas (ein chemischer Prozess, bei dem aus erneuerbaren Energien Gas hergestellt wird, die Redaktion) direkt an den Erzeugungsschwerpunkten.

Sind Speicher nicht viel zu teuer?

Grüger: Vor 30 Jahren hieß es auch noch Photovoltaik- und Windkraftanlagen seien zu teuer. Doch warum ist beides heute so günstig und wird immer günstiger? Weil wir einen Markt für Industrieprodukte geschaffen haben. Und das können wir auch bei den Speichern. Wir müssen jetzt den Rahmen dafür setzen. Denn falls das Ziel von 80 Prozent erneuerbaren Energien bis 2050 ernst gemeint ist, dann brauchen wir in jedem Fall Speicher — egal, ob mit HGÜ-Leitungen oder nicht. Da wäre es doch sinnvoll, jetzt einen regulatorischen Rückenwind für Speicher herzustellen, anstatt das Land mit einer zusätzlichen Netzebene zu verkabeln.

Also brauchen wir keinen Netzausbau?

Grüger: Im Gegenteil. Wir brauchen dringend Netzausbau auf der Verteilernetzebene. Unsere Netze waren nicht dafür gedacht, dezentral erzeugten Strom aufzunehmen. Zudem müssen wir in die Höchstspannungs-Übertragungsnetze investieren. Da ist viel geschlampt worden, die Netze sind jahrzehntelang nicht auf den neuesten Stand der Technik gebracht worden. Zudem fehlen Verbindungen von Ost nach West. Auch daher fließt jetzt ein Teil des Stroms nach Polen ab. Wir brauchen Strombrücken. Aber nicht neue HGÜ-Leitungen von Norden nach Süden.

Aber wie soll sich der Süden mit Strom versorgen, wenn in Zukunft die Atomkraftwerke abgeschaltet werden und keine Stromautobahnen von Nord nach Süd führen?

Grüger: Bayern könnte mit Windkraft auf zwei Prozent seiner Fläche 60 Prozent seines Energieverbrauchs produzieren. Aber mit der bayerischen Sonderabstandsregelungen geht das nicht — es gibt zu viele kleine Orte. Das, was Seehofer mit der 10H-Abstandsregelung gemacht hat, ist absurd. Eine dezentrale Versorgung mit erneuerbaren Energien kann mit einer solchen Politik nicht funktionieren: Entweder braucht man in Bayern die dezentrale Windkraft an Land oder die HGÜ-Leitungen. Da muss die CSU den Menschen endlich die Wahrheit sagen. Interview:

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