Die Diebe lauerten unter dem fahrenden Zug

26.7.2016, 10:59 Uhr
Ein lebensgefährlicher Plan, um an Zigaretten zu kommen, brachte Diebe nun vor das Gericht. (Symbolbild)

© dpa Ein lebensgefährlicher Plan, um an Zigaretten zu kommen, brachte Diebe nun vor das Gericht. (Symbolbild)

Mit Spanngurten schnallten sie sich unter die Waggons eines Güterzuges, der Zug fuhr, beladen mit Zigaretten, von Holland nach Italien. Ein lebensgefährlicher Plan – aber lukrativ: Als der Zug langsamer wurde, kletterten die Diebe aus ihrem Versteck, nutzten den Halt in Würzburg, um das Schloss der Waggontür aufzubrechen und warfen die Zigaretten kartonweise aus dem Zug. Per Handy lotsten sie ihre Komplizen, diese begleiteten den Zug im Auto an die Abwurfstellen.

2.980.000 Stück Zigaretten der Marke "Marlboro Gold" im Wert von 732.550 Euro erbeutete die Bande – und verkaufte sie schwarz weiter. In der Anklage ist deshalb von Steuerhinterziehung in Höhe von 432.316,34 Euro die Rede. Ganz ging der Plan nicht auf: Im Oktober 2011 entdeckten die Fahnder entlang der Bahnstrecke im Nürnberger Stadtteil Langwasser, im Fürther Ortsteil Unterfürberg und in Emskirchen liegengebliebene Zigarettenkartons.

Mangel an Beweisen

Ein "Paradebeispiel für organisierte Kriminalität" stellt Arno Baltes, Vorsitzender Richter am Landgericht Nürnberg-Fürth, fest. Nach drei Prozesstagen nennt es die 18. Strafkammer "wahrscheinlich", dass der 35-jährige Angeklagte (Verteidiger: Michael Spengler) Mitglied jener rumänischen Bande war – doch überzeugende Beweise gegen ihn liegen nicht vor, er wird freigesprochen.

Aber der Reihe nach: Die filmreifen Diebestouren beschäftigen die Ermittler seit Jahren, einige Mitglieder der Bande wurden bereits verurteilt, unter anderem ordnete das Landgericht Ingolstadt im August 2012 gegen einen der Täter viereinhalb Jahre Haft an – und es war dieser Angeklagte, der die Ingolstädter Justiz damals einen Blick hinter die Kulissen werfen ließ: Er legte ein Geständnis ab und hängte den nun angeklagten 35-Jährigen als Komplizen hin.

Gut möglich, dass er, damals quasi als Kronzeuge, auf eine Prozessabsprache nach dem Motto "Geständnis gegen Strafrabatt" hoffte. Dies kann nur vermutet werden, denn das Gesetz verlangte damals noch nicht, eine derartige Absprache im Protokoll festzuhalten. Und wie glaubwürdig der Mann ist, konnten die Nürnberger Richter nicht prüfen: Der Mann saß seine Strafe erst in Bayern, dann in Rumänien ab, dort war er kürzlich aus dem Gefängnis entlassen worden. Als Zeuge wurde er zwar zum Prozess nach Nürnberg geladen, doch er kam nicht. Der Angeklagte selbst bestritt die Tat – sein Landsmann belaste ihn nur, weil er mit dessen Frau eine Affäre hatte, behauptet er.

Diese Seifenoper, so Richter Baltes, glaube er nicht, vielmehr fehlten objektive Beweise gegen den Angeklagten. Dass dessen in Rumänien nicht seltener Spitzname bei einer Telefonüberwachung mutmaßlicher Bandenmitglieder fiel, reichte den Richtern nicht aus. Getreu des Grundsatzes "Im Zweifel für den Angeklagten" wurde der 35-Jährige freigesprochen. Es sei eine Stärke des Rechtsstaates, diesen Grundsatz auch durchzusetzen, hieß es in der Urteilsbegründung. Dies sei zu betonen in dieser Zeit, in der Rechte in anderen Ecken der Welt einfach ausgesetzt werden.