16. September 1964: Sogar Patschhändchen haben hier lange Finger

16.9.2014, 07:00 Uhr

Sie prüft diesen Pullover auf Qualität und schaut sich jenen an. Dann verschwindet einer blitzschnell und — wie sie glaubt — ungesehen in ihrer Tasche. Gleichgültig nimmt sie noch einige andere Wollsachen in die Hand, legt sie zurück und schlendert dann weiter. Am Ausgang fasst ein Mann, äußerlich durch nichts von einem anderen Kunden zu unterscheiden, die Frau leicht am Arm und bittet sie, mit ins Büro des Chefs zu kommen.

Das ist einer von vielen Fällen, wie sie in den Erlanger Kaufhäusern immer wieder vorkommen. Durchschnittlich werden in jedem Kaufhaus wöchentlich zwei „Langfinger“ erwischt und der Polizei übergeben. Einziges Mittel gegen dieses von Jahr zu Jahr zunehmende Übel ist verstärkte Wachsamkeit und übersichtliche Anordnung der Verkaufsstände.

„Sicherungen“ sind eingebaut

Zum Vorbeugen gehört auch klare Organisation des Betriebsablaufes. Wo es nur geht, ohne den anständigen Kunden — und das sind die meisten - zu brüskieren, sind „Sicherungen“ eingebaut, die das Verschwinden von Waren unmöglich machen oder aber zumindest erschweren sollen. So ist beispielsweise in den Erlanger Kaufhäusern vorgeschrieben, wie viele Stücke jeweils in die Anprobier-Kabine mitgenommen werden dürfen. Die leeren Bügel verkaufter Stücke werden nicht in die Ständer zurückgehängt, sondern verschwinden in Kartons, so daß die Verkäufer jederzeit kontrollieren können, ob wieder alles aus der Kabine herausgekommen ist.

Die Erlanger Kaufhäuser haben außerdem seit einiger Zeit eine zusätzliche „Sicherung“ eingebaut: ein pensionierter Kriminalbeamter durchwandert als „Kunde“ die Kaufhäuser und achtet in ständig wechselnder Kostümierung auf schnelle Bewegungen und auch die Augen der Käufer. Noch keine Woche ist vergangen, in der er nicht in der bereits erwähnten Form einen Ladendieb entlarvte.

Die Kaufhäuser wissen das Wirken ihres Kriminalisten zu schätzen. Denn zu den erwischten Langfingern kommt noch die positive Wirkung, dass ein Kunde aus seinem inzwischen recht groß gewordenen „Bekanntenkreis“ sich für die nächste Zeit an die übliche Form des Einkaufens und der Selbstbedienung erinnert, wenn er den „Kriminalen“ nur sieht.

Viele unentdeckte Diebstähle

Aber auch die Abteilungsleiter und das Verkaufspersonal achten darauf, dass die peinliche Überraschung bei der Inventur durch „Langfinger“-Tätigkeit nicht zu groß wird. Aus dem immer größer werdenden Minus lässt sich ohne Schwierigkeit schließen, dass der Prozentsatz der nicht entdeckten Diebstähle wesentlich höher einzustufen ist als der der verhinderten.

Verwandte Themen


Keine Kommentare