Angst gehört dazu

29.10.2017, 17:29 Uhr
Angst gehört dazu

© Foto: Tom Schneider

"Und Action": Auf dieses Zeichen lässt sich Kaja Florence Wild vom Baum fallen und landet gekonnt auf bereitgestellten Matratzen. Die junge Frau ist freiberufliche Artistin, arbeitet aber auch als Stuntdouble für Schauspieler. Am liebsten bewegt sie sich jedoch auf dem Rücken von Pferden.

Vor kurzem ist Kaja Florence Wild für den Dreh eines Märchens noch von einem Baum gesprungen. Dafür musste sie sich an einen Ast hängen und auf Kommando fallen lassen: "Das sind dann so Momente, wo ich mir denke, warum mache ich keinen Bürojob", lacht die 27-Jährige. Aber natürlich ist sie nicht unvorbereitet gesprungen. Sie hatte vor dem Einsatz mehrere Falltrainings.

Angst gehört dazu

Bekommt man es in so schwindelerregenden Höhen denn nicht mit der Angst zu tun? "Angst gehört dazu. Wenn man gar keine Angst hat, läuft etwas falsch. Bei mir ist es eher Respekt", erklärt Kaja. Ihr Team würde ihr sehr dabei helfen. "Deswegen mach’ ich alles, weil ich weiß, dass das Team da ist". Seit zehn Jahren arbeitet sie mit demselben Team zusammen. "Das ist wie eine zweite Familie für mich", erzählt sie. Im letzten Jahr hat sie als Stuntdouble für den Kinofilm "Wendy" gearbeitet und dort die Titelfigur in brisanten Situationen gedoubelt. Sie saß aber auch schon als Hardy-Krüger-Double auf einem Wasserbüffel.

Gibt es einen Auftritt, der ihr besonders in Erinnerung geblieben ist? "Im Zirkus habe ich einmal eine tanzende Zigeunerin gespielt. Dazu trug ich rote Schuhe mit Widerhaken. Ich musste im Dunkeln aus der Manege laufen. Als das Licht anging, lag ich am Boden. Die Schuhe hatten sich verhakt. Das war vermutlich einer der peinlichsten Momente meines Lebens", erinnert sich die Tapfere.

Um körperlich fit zu bleiben und um sich auf ihre Auftritte vorzubereiten, geht die Sportliche aus Berufsgründen an manchen Tagen zwei Mal ins Fitnessstudio. Sie trainiert dort nicht nur an den üblichen Sportgeräten, sondern auch in einem Reifen. Dieser wirkt optisch wie ein Hula-Hoop-Reifen, ist aber deutlich schwerer und hängt mehrere Meter über dem Boden. Kajas andere große Leidenschaft neben der Akrobatik sind die Pferde. Beim Trickreiten, der Akrobatik auf dem Pferd, kann sie beides miteinander verbinden, aber gerade bei der Arbeit mit Tieren kann mal etwas schief laufen. "Natürlich fällt man mal doof und hat dann blaue Flecken, aber sonst ist auf der Arbeit noch nichts passiert", sagt sie, wie um sich selber zu beruhigen.

Im Steigbügel mitgeschleift

Anders sieht es im privaten Training aus. Allein übte Kaja zum Beispiel den Hängetrick auf dem Pferd. Im vollen Galopp wollte sie sich vom Sattel herunterhängen lassen und mit den Händen den Boden berühren. Es klappte ganz gut – bis der Steigbügel riss: Sie hing mit dem anderen Fuß am Steigbügel fest und schleifte über den Boden: "Ich dachte, das ist das Ende, weil ich in vollem Galopp über den Boden geschleift wurde", denkt sie mit Grausen an das Missgeschick zurück. Allerdings hatte sie vorher mit ihrem Pferd ein Signalwort eingeübt, das für das Pferd bedeutete, stehenzubleiben. Es funktionierte und das war ihr Glück.

Trotz aller Gefahren möchte sie ihren Beruf nicht aufgeben: "Ich kann mir nichts Anderes vorstellen, es ist das, was ich machen möchte!", sagt sie nachdrücklich. "Ich bin quasi auf dem Pferd geboren", ist sie sich sicher. Bereits als Kind habe sie Ballett gemacht und voltigiert. Begeistert waren ihre Eltern jedoch nicht gerade, als sie ihren Berufswunsch äußerte. "Sie haben oft gefragt: Kannst du nicht einen normalen Beruf ergreifen, wie andere auch?" Doch wenn sie ihr jetzt zuschauen, seien sie sehr stolz. Kajas Vater arbeitet als Masseur und ihre Mutter als Physiotherapeutin: "Die können mich jederzeit wieder zusammenflicken", lacht sie.

Kaja Florence Wild ist viel gereist. Sie war eine Zeit lang in Afrika und hat dort Safaripferde ausgebildet. Mit 19 Jahren arbeitete sie in einem Zirkus in Holland als Tänzerin in einer Pferdenummer. Im gleichen Zirkus war auch eine Trickreitergruppe. So nahm die Geschichte ihren Lauf: "Der Leiter hat mich gesehen und hat gesagt, du musst bei uns arbeiten."

Schicksal führte sie nach Thurn

Schließlich landete sie mit ihrem damaligen Pferd im Erlebnispark Schloss Thurn und bestritt eine Abendnummer. Als das Tier plötzlich verstarb, blieb sie in Thurn, denn "es gibt unglaublich viele nette Leute hier in Neunkirchen. Ich habe zum ersten Mal eine feste Wohnung", so die gebürtige Oberpfälzerin. Kaja ist viel unterwegs. Sie trainiert zukünftige Show-pferde im Ausland. Jüngst war sie in Belgien, um ein Pferd anzuschauen. Demnächst wird ein neunjähriger Schimmel mit dem Namen Lune de Miel bei ihr einziehen. An ihrem Arbeitsplatz geht es sehr turbulent zu. Braucht sie deshalb privat einen Ausgleich, um zur Ruhe zu kommen? "Es gibt kein privat", lacht sie, "die Arbeit ist mein Leben".

"Was ich gern einmal machen möchte, ist Feuerspucken, vom Pferd aus", nennt sie eines ihrer Vorhaben und fährt lebhaft fort: "Aber eigentlich gibt es hunderttausend Sachen, die ich noch machen möchte".

Ihre Arbeit fasziniert Kaja Florence Wild, das merkt man ihr in jeder Phase deutlich an. "Ich bin sehr glücklich und dankbar dafür, dass ich dieses Leben haben kann. Letztes Jahr durfte ich an der Ostseeküste galoppieren. Wovon andere träumen, das mache ich beruflich", schwärmt die Stuntfrau begeistert. Hier hat eine junge Frau ihren Traumberuf gefunden, einen Job, den sie "für immer und ewig" machen will.

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