Bekannte TV-Schauspielerin überzeugte in Baiersdorf

9.10.2018, 17:00 Uhr
Bekannte TV-Schauspielerin überzeugte in Baiersdorf

© Udo Güldner

Als Thekla Carola Wied auf die Bühne tritt, erfassen zwei Scheinwerfer ihre zierliche, beinahe zerbrechliche Gestalt. Das ist also die große Schauspielerin, die einer ganzen Generation an Fernsehzuschauern gezeigt hatte, wie man eine Familie heiratet. So ganz alleine steht sie da, in der Hand ihre Lesebrille. Noch aber braucht sie das Hilfsmittel nicht. Denn den Prolog spricht sie völlig frei. Die Sätze, die erklären sollen, warum man sich in den folgenden zwei Stunden eine Lebens- und Liebesbeichte anhören soll, die Stefan Zweig vor fast einem Jahrhundert in seinen unnachahmlich eleganten Stil gewandet hat.

Da spricht eine 74-jährige Schauspielerin die Rolle einer 67-jährigen Dame von Welt, und gerade diese Authentizität ist es, die den Zuhörer sofort in den Bann zieht. Sobald man der warmherzigen, einen hypnotischen Sog erzeugenden Stimme der Erzählerin folgt, wie sie von seinen Händen am Spieltisch spricht, die sie wie zwei lebende Wesen schildert. Wie sie auf diese magischen Hände starrt, so starrt der Zuhörer auf diesen einen Tag. So wird an diesem Abend nicht einfach nur ein Text rezitiert, es wird eine Atmosphäre erzeugt, die es dem Publikum möglich macht, das einem Menschen Verfallensein, die Willenlosigkeit, die Überspanntheit mitzuerleben. Zugegeben ein Luxusproblem reicher Romanfiguren, die vom "lebendigen Gestorbensein" in ihrem "zusammengehäuften Dasein" erfasst werden.

"Unerhörte Begebenheit"

Es ist die für eine Novelle so wichtige "unerhörte Begebenheit", die sich da an der französischen Riviera abspielt. Eine Frau jenseits der Vierzig trifft auf einen jungen, namenlosen Mann Mitte Zwanzig. Aus dem anfänglichen Versuch, den der Spielsucht verfallenen polnischen Adligen zu retten, wird eine kurze, heftige, natürlich unglückliche Liebesgeschichte. Eine erotische Episode, die das großbürgerliche Leben der Dame noch einmal bis ins Mark erschüttert. Es ist ein Kampf auf Leben und Tod. Am Ende wird ihr Herz gebrochen und seines von eigener Hand durchschossen sein. Der melancholische Grundton lässt daran von Beginn an keinen Zweifel. "Wer so aufstand, der ging in den Tod." Ein bisschen schimmern da die düsteren Dämonen Dostojewskis durch. Schließlich lässt sich hier eine buchstäblich des Lebens müde Frau auf ein Abenteuer ein, von dem sie unsinnigerweise hofft, es möge ihre innere Leere bezwingen. Ganz wie der Spieler, der sich und seine innere Stimme mit Karten oder Kugeln betäubt. Doch weder für den Casino-Süchtigen gibt es eine Rettung, noch für die Lebenshungrige eine Erlösung. Zumal ihre Figur als Mischung aus Heilige und Hure angelegt ist.

Mühelos gelingt es Thekla Carola Wied, in das mondäne Monte Carlo hinabzutauchen, einer Unterwelt, in deren Abgründen schon ganz andere als nur literarische Figuren ein tragisches Ende gefunden haben. Nicht ohne Grund ist ständig vom Hinabstürzen ins Bodenlose die Rede. In solch extremen Situationen, vielleicht im ganzen Leben, gibt es keinen Halt mehr. Weder mathematische Gewissheiten noch religiöse Verheißungen, und schon gar keine emotionalen Bindungen. Beim Zuhören drängen sich Assoziationen auf, die der von Sigmund Freud faszinierte Autor bewusst oder unbewusst befördert hat. Etwa das Doppelgänger-Motiv, das die ältere Frau im jüngeren Mann spiegelt. Sie 42, er 24. Sie männlich tatkräftig, er mit "weibischen" Gesichtszügen. Beide besessen von ihrer fixen Idee. Beide im triebhaften Taumel. Wie die beiden anfangs erwähnten Hände wird das ungleiche und doch gleiche Paar im nächtlichen Hotelzimmer miteinander ringen.

Verlorene Seelen

Dieses Aneinanderklammern zweier verlorener Seelen liest Thekla Carola Wied mit geballten Fäusten, mit bebender Stimme, mit packender Verzweiflung. Läge es nur an ihr, es ginge mit den literarischen Gestalten nicht unaufhaltsam bergab. Freilich scheint es, als ob Stefan Zweig sich hinter einer allzu kunstvollen Sprache verbirgt, die er wie einen poetischen Panzer nutzt, um sich nicht an der Welt zu verletzen. Dass dabei das Abgleiten in den Kitsch verhindert wird, ist ausschließlich Thekla Carola Wieds Verdienst. Ein langanhaltender, tief dankbarer Beifall hält an, bis die Scheinwerfer Thekla Carola Wied wieder in die Dunkelheit entlassen. Diese kleine und doch so große Schauspielerin.

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