Buckenhof: Flüchtlinge fürchten Pauschalurteile

30.11.2015, 06:00 Uhr
Buckenhof: Flüchtlinge fürchten Pauschalurteile

© Harald Sippel

An Bomben und Sprengstoffanschläge haben sich Ghazi A., Obada A. und Aziz Alsaid schon lange gewöhnt, gewöhnen müssen. In ihrer Heimat, im kriegszerstörten Syrien, gehört der Terror seit Jahren zum Alltag. Deshalb sind die drei Männer geflohen, haben das sinnlose Blutvergießen hinter sich gelassen – und Zuflucht gefunden in einer Unterkunft in Buckenhof, mitten in der sicheren Bundesrepublik Deutschland.

Dass nun aber auch in Frankreich, mitten in Europa, islamistische Attentäter 130 Menschen töten und hunderte verletzen könnten, hielten die Flüchtlinge nicht für möglich. „Das ist sehr schmerzhaft“, sagt Ghazi A. (26), „für mich und alle anderen Menschen — in Syrien und dem Rest der Welt.“

Beten in Erlanger Moschee

Seine Gefühle und Gedanken formuliert der junge Mann in fast schon perfektem Deutsch. Und das, obwohl er erst seit September 2014 in Deutschland und seit einem Jahr in Buckenhof ist.

Der Deutsch-Unterricht, den ihm die ehrenamtlichen Helfer der Flüchtlingsbetreuung in Buckenhof (Flib) regelmäßig im Rathaus erteilen, ermöglicht ihm, auch über komplizierte Themen auf Deutsch zu reden. Er hat sich in sein neues Zuhause gut eingelebt, kann sich verständigen, geht zum Beten in die Erlanger Moschee — fühlt sich also rundum wohl.

Das Nürnberger Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat ihn — wie Obada A. — schon als Asylbewerber anerkannt. Eine freudige Nachricht, die nun durch die Pariser Anschläge etwas getrübt wird. Denn die Flüchtlinge befürchten, dass sich die überwiegend positive Stimmung gegen Asylbewerber aus Syrien ändern könnte. Dabei seien die drei selbst vor den Kämpfern des so genannten Islamischen Staates geflohen — vor jenen radikalen Islamisten, die jetzt die Stadt der Liebe in die Stadt des Terrors verwandelten.

Er habe doch Syrien verlassen, um einen Ort in der Welt zu finden, in dem er in Frieden leben könne, erzählt Obada A. (20) auf Englisch. „Und jetzt holt uns genau diese Brutalität ein“. Sein größter Wunsch in dieser schwierigen Zeit: „Ich hoffe, dass die Menschen uns Syrer und Moslems nicht alle wegen der Tat einiger weniger verurteilen.“ Schon jetzt gebe es im Internet und auf Facebook zahlreiche Hetz-Attacken gegen den Islam und seine Mitglieder“, beobachtet Obada A. (20) mit Sorge.

Aziz Alsaid (29), der Ghazi auf der Flucht kennengelernt hat und der bis vor Kurzem ebenfalls in der Unterkunft in Buckenhof gewohnt hat, weist auf die Friedfertigkeit des Islam hin: „Warum“, fragt er rhetorisch auf Englisch, „macht jeder unsere Religion für alle Probleme auf der Welt verantwortlich?“ Im Koran stehe nichts von Gewalt und Terror.

Und noch etwas liegt ihm am Herzen: Die Anschuldigung, mit syrischen Flüchtlingen kämen auch viele IS-Krieger nach Deutschland, ist für ihn ungerecht und ungerechtfertigt. „Da es bekannt ist, dass Syrer in Deutschland bleiben dürfen, gibt es einen regen Handel mit entsprechenden Ausweisen“, erzählt er. Man könne noch gar nicht genau sagen, wie der syrische Pass an den Tatort in Paris gekommen ist.

„Außerdem“, ergänzt Ghazi A. „sind die Terroristen logistisch und finanziell so gut ausgestattet, dass sie sich einen Flug leisten können — und nicht eine wochenlange Flucht auf sich nehmen müssen“. Das Risiko, dass die Terroristen und ihre Pläne dabei entdeckt würden, sei viel zu groß.

Ein Vorschlag, der ebenfalls insbesondere durch die sozialen Netzwerke geistert, regt Ghazi A. besonders auf. Wer jetzt junge Syrer auffordere, in ihre Heimat zurückzukehren, um dort gegen Islamisten zu kämpfen, solle sich die Vergangenheit ansehen.

Gerade die USA hätten sich aus dem Konflikt in Syrien — im Gegensatz zum Irak — zu lange heraus- und damit Diktator Baschar al-Assad mit an der Macht gehalten.

Eiffelturm auf Handy

Der Grund für die amerikanische Zurückhaltung steht für ihn fest: „Im Irak gibt es Öl, bei uns nicht.“ Um den militanten IS zu besiegen und ihrer Heimat endlich Frieden und Stabilität zu geben, brauche es daher den Zusammenschluss aller. „Wir müssen im Kampf gegen den weltweiten Terror alle an einem Strang ziehen“, sagt Ghazi A., „anders schaffen wir es nicht.“

Das aber wollen Ghazi A., Obada A. und Aziz Alsaid. Für ihr Land, ihre Familie — und auch für die Opfer von Paris.

Über den Trauermarsch durch die Erlanger Innenstadt kurz nach den Attentaten waren sie nicht informiert, erzählen die drei. „Hätten wir es gewusst — dann wären wir mitgelaufen“, sagt Obada A. — und zeigt auf sein Handy.

Auf dem Display ist ein Foto zu sehen: Der Pariser Eiffelturm und ein einziger Satz: „Je suis Syrien, je suis Paris“ — „ich bin Syrer, ich bin Paris.“

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