Dankesbotschaften und Trash beim Comic-Salon

29.5.2016, 18:19 Uhr
Dankesbotschaften und Trash beim Comic-Salon

© Fotos: Berny Meyer

Ein bewegliches Plastik-Gehirn mit Stielaugen in einem notdürftig zusammengeschraubten Roboter-Modell, ein „Superheld“ ohne irgendwelche Superkräfte, der beißwütige, heftig in die Jahre gekommene Graf Dracula, eine blonde, (in jeglicher Hinsicht) unschuldige Maid, eine streng-dominante Nazi-Ärztin mit Führer-Anbetung – fertig ist ein lustiges Stück Trash. Der Berliner Filmemacher, Theater- und Comic-Autor Jörg Buttgereit, in Genre-Fan-Kreisen bestens bekannt, hat mit der Figur des Captain Berlin eine überaus witzige Parodie auf das Superhelden-Genre und gleichzeitig eine köstliche Hommage an krude B-Picture-Fantasien kreiert. Bereits 1982 entwickelte er für seinen Super-8-Film „Captain Berlin – Retter der Welt“ seine Fantasie-Figur: „Bruce Lee hat in seinem letzten Film so einen gelben Strampelanzug getragen. So einen habe ich mir dann auch bestellt, habe eine rote Badehose drübergezogen, eine Fahne als Umhang und meine Punk-Rock-Knobelbecher als Stiefel benutzt – fertig war Captain Berlins Outfit“, erzählt Buttgereit im E-Werk-Kino.

Der Held kämpft da in den 40er-Jahren gegen Nazis und das Monstrum Germanikus, ein von der Ärztin Ilse von Blitzen aus Leichenteilen „der besten deutschen Landser“ zusammengesetztes Frankenstein-Geschöpf. Nach einem Hörspiel 2006 folgte das Theaterstück „Captain Berlin versus Hitler“, das als auf der Bühne abgefilmte Produktion nun im E-Werk-Kino zu sehen war und in der Frau von Blitzen im Jahr 1973 das Gehirn Hitlers, welches überlebt hat, zu neuen Welteroberungstaten animieren will (die Frage, wie ein Gehirn sprechen kann – was es hier mit Hitlers Stimme tut – bleibt aber unbeantwortet). Eine unterhaltsam-wüste Mischung aus Kolportage, Satire, Nonsens und Trash.

 

Er ist 1947 im japanischen Dottori geboren, lebt jetzt in einem Vorort von Tokio, ist seit 1970 Manga-Zeichner und -Szenarist und in Europa bekannter als in seiner Heimat: Jiro Taniguchi, dem beim Comic-Salon eine große Ausstellung gewidmet war, war Thema eines Gesprächs, in dessen Rahmen Taniguchis französische Agentin Corinne Quentin und Tagesspiegel-Journalist Lars von Törne, der den Autor und Zeichner von Graphic Novels wie „Vertraute Fremde“ und „Die Sicht der Dinge“ in Japan besucht hatte, interessante Details zu dessen Arbeitsweise berichteten. Kaum bekannt ist beispielsweise, dass der für seine meditativen Bilderzählungen bekannte Meister mit knallharten Action-Geschichten im wild-rasanten Zeichenstil begonnen hatte. Erst Mitte der 80er Jahre begann Taniguchi mit der Arbeit an den Sujets, für die er heute bekannt ist. 1995 erschien in Frankreich mit „Der spazierende Mann“ die erste Veröffentlichung in Europa, dann begann der Aufstieg zum Kultautor. Er gilt als „europäischster“ japanischer Comic-Künstler, hat sich von franko-belgischen wie amerikanischen Comics inspirieren lassen, genießt hohes Ansehen auch bei anderen Manga-Kollegen – und fristet in seiner Heimat im wahrsten Sinne des Wortes ein Nischendasein: „In japanischen Manga-Läden, mehrstöckige Kaufhäuser voller Mangas, finden sich lediglich in einer hinteren Ecke ein paar Taniguchi-Bücher“, weiß Lars von Törne zu erzählen. Umso dankbarer sei Taniguchi für die Anerkennung in Europa, „und er sendet herzliche Grüße nach Erlangen“. Taniguchi bereitet seine Sujets genauestens vor, recherchiert vorab akribisch und fotografiert auf seinen zahlreichen Spaziergängen durch Stadtlandschaften viele Details, die dann als Vorlagen für seine Skizzen dienen, die er schließlich „in einem ruhigen Arbeitsrhythmus“ (Corinne Quentin) mit bis zu fünf Assistenten grafisch umsetzt. So sind über die Jahrzehnte über 50 Bücher entstanden, die das Innehalten im Alltag, das kontemplative Betrachten der Umgebung, das Vergegenwärtigen der Vergangenheit thematisieren. Nicht umsonst bilden Taniguchis Geschichten, so Törne, eine „Chill Out-Zone in der Manga-Welt“.

 

Achtung: Wer kann sich noch daran erinnern, dass die Band „Die Radierer“ 1980 einen Hit hatten? „Angriff aufs Schlaraffenland“ hieß der Song. Keiner? Egal. Denn beim Konzert im „Transfer“ stellt das Quintett unter Beweis, dass die Mischung aus Punkpop und Neuer Deutscher Welle durchaus heute noch hörbar ist. Und jede Menge Spaß macht. Etwa dann wenn das „Pommesbudenmädchen“ oder der Liebe Gott beim Bummeln besungen oder „Ich esse Lego“ voller Inbrunst gegrölt wird und Sänger C.B. Bodenstein „antike“ Effektgeräte aus den Anfangstagen der Elektro-Musik bedient — oder zur Spielzeug-Laserpistole greift.

 

Lasst uns werden wie „Kinky & Cosy“! Dann können wir mit Kinderlogik jenseits der Alltagszwänge die Welt auf den Kopf stellen. Den ersten Schritt dazu konnten die Salon-Besucher auf dem Schlossplatz im schrillen Container unternehmen. Hier steckten die Teilnehmer der „Experience“ ihren Kopf zur Gehirnwäsche in — natürlich — eine Waschmaschine und daddelten Computer-Spiele, bei denen es darum geht, möglichst viel Ungesundes vom Fließband zu klauen. Die begehbare Welt des flämischen Comic-Künstlers Marnix Verduyn, der unter dem Pseudonym Nix seit dem Studium in Leuven als Illustrator und satirischer Cartoonist arbeitet, ist wunderbar wahnwitzig und schrill!

 

Seit dem blutigen Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo ist für Rénald Luzier alias „Luz“ alles anders. Er überlebte, weil er an diesem Tag zu spät zur Arbeit kam — und verarbeitete das Trauma mit seinen Zeichnungen. Ein Auftritt in der Öffentlichkeit ist für ihn immer noch zu riskant. Eine Reise zum Comic-Salon war für „Luz“ nicht möglich. Deshalb schickte er einen bewegenden Comic-Strip als Dankesbotschaft für den ihm zuerkannten „Spezialpreis der Jury“ ans Publikum der Gala im Markgrafentheater.

 

Zugeben, die Ausstellung „Istanbulles in Erlangen“ ist ein kleinteiliger, schwer erfassbarer Schnelldurchlauf durch die Geschichte der politischen Cartoons und Satire in der Türkei. Zum Glück gibt es eine Extra-Zeitungsausgabe mit übersetzten Strips. Zum Nachlesen für zu Hause.

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