Dichtern lauschen beim Erlanger Poetenfest

2.9.2013, 14:03 Uhr
Dichtern lauschen beim Erlanger Poetenfest

© Erich Malter

Zum Beispiel, um endlich die Wahr­heit über Katja Petrowskajas Biogra­fie zu erfahren. Sie sei vor der Atom­wolke von Tschernobyl 1986 nach Moskau geflohen und wegen jüdischer Abstammung später nach Deutschland übersiedelt... Alles falsch, was Wikipedia und andere Medien erdich­tet haben, sagt sie mit einnehmendem Lachen. In Wahrheit war sie einfach privilegiert genug, um an eine Mos­kauer Schule zu gehen und später an einer hervorragenden Uni ihr Stu­dium zu absolvieren. In Deutschland ist sie ganz freiwillig, sie schreibt auch auf Deutsch - und das mit einer unbändigen Fabulierlust. Wer ihr zuhört, ist sofort Fan der frischgeba­ckenen Bachmann-Preisträgerin, falls er ihre spritzige Kolumne in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszei­tung noch nicht kannte.

In anderen Fällen muss man Litera­tur auch mal live erlebt haben, um wie­der erleichtert zuhause zum Buch zu greifen: Warum spendieren die Ver­lage ihren Autoren eigentlich nicht vor der Werbereise ein Vor­lese-Coaching? Den leiern­den Tonfall, mit dem man­che ihre Werke vortragen, dürfte sich keine Kinder­gärtnerin erlauben. Die Großen ertragen es wie immer mit interessiertem Wohlwollen, genauso übri­gens wie das seit Jahren im unhandlichen Format erscheinende Programm­heft.

Die Aufmerksamkeit ist wie immer beeindruckend, auch wenn, wie am Samstag, drangvolle Enge auf den Bierbänken herrscht („FÜNF passen auf eine Bank!“, ermahnt Modera­tor Hajo Steinert) oder die ersten Tropfen fallen. Festi­valleiter Bodo Birk verdrehte die Augen angesichts wechselnder Wettermeldungen, ist am Sonntagabend aber hochzufrieden vor allem mit der angeregten Debatte bei der Sonntags­matinee. Riesenandrang auch bei Michael Köhlmeier, dem sein aktueller Romanheld Joel Spazierer offenbar auch nicht immer ganz geheuer ist. Wie ein engagierter Anwalt stellt er die guten Seiten seines schlimmen Schelmen vor und vertei­digt die kunstvolle Lüge als zweite Form der Exis­tenz. „Angesichts der Machenschaften der US-Geheimdienste gewinnen Lügen über das eigene Leben doch ganz neue Qua­litäten“, findet Köhlmeier verschmitzt.

Ange­nehme Brise für Auge und Geist

Dass bei den abendli­chen Gesprächen auf der Bühne des Markgrafenthea­ters „der Zufall zum Wehen und die Gedanken zum Schweben“ gebracht wurden, wie es Moderato­rin Verena Auffermann aus­drückte, ist dem Künstler Jakob Mattner zu verdan­ken. Für den Bühnenhintergrund hat er eine Projektion entwickelt, auf der in Endlosschleife ein hauchdünner Vorhang sanft flattert. Eine ange­nehme Brise für Auge und Geist. Mit Witz versuchte Florian Felix Weyh spätabends zusammen mit drei Mitstreitern, den Streit im Hause Suhrkamp auf die Schippe zu neh­men: Verlegerin „Gila Unbill-Serke­wicz“ wird mit ihrem Kontrahenten „Klaus Bärlauch“ konfroniert, beide stellen ihre Sicht der Dinge im Kampf um das Erbe von „Gunter Unbill“ dar. Pieke Biermann macht als schmallip­pige Suhrkamp- bzw. „Superver­lag“- Chefin genauso gute Figur wie Holger Steudemann als Verlags-Mitei­gentümer. Doch die anfangs gelun­gene Persiflage vor der berühmten Regenbogen-Wand zieht sich in die Länge.
 

Zu so später Stunde ist auch Kunstminister Wolf­gang Heubisch längst abgereist. Im Galopp ließ er sich wahlkämpfend von Oberbürgermeister Siegfried Bal­leis in die Erlanger Kultur im Allge­meinen und das Poetenfest im Beson­deren einführen. Ein bisschen Jean-Paul-Debatte und -Performance, ein bisschen Petra Morsbach - mehr war nicht drin. Wenn’s dem Fortbestand des Festivals hilft, soll es recht sein.

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