Eindringliche Lesung in der Synagoge Ermreuth

27.10.2016, 18:00 Uhr
Eindringliche Lesung in der Synagoge Ermreuth

© Udo Güldner

Ähnlich abgekühlt wie die Temperaturen in der Synagoge scheint das Verhältnis Bernhard Gehringers zu seinem Vater gewesen zu sein. „Er war zeit seines Lebens bekennender Frontsoldat, und stolz darauf, anständig geblieben zu sein. Mit ihm darüber reden konnte ich allerdings nicht.“

Fritz Gehringer war nicht irgendwer, sondern nach dem Zweiten Weltkrieg „der ungekrönte König“ seiner Heimatstadt Rothenburg ob der Tauber. Dort wurde der Volksschullehrer Bürgermeister. „Rothenburg war von Unbelehrbaren durchsetzt.“ Seinen Vater, in dessen Bücherregalen die ganzen Kriegsbücher gestanden hätten, habe er ja bereits gekannt, durch die Briefe habe er aber seine Mutter ganz neu kennen gelernt, so der Autor. „Sie war wie eine Passionsfigur.“

Im Mittelpunkt des dicken Bandes stehen Bernhard Gehringers Eltern. Vater Fritz Gehringer (1924-1996) und Mutter Irmi Schlör (1923-2005). Deren Leben, Lieben und Leiden blättert sich anhand zahlreicher Briefe aus den Jahren 1938 bis 1947 auf. Seitenweise drehen sich die Sätze um die jugendlich zarte Liebe, die umso größer schien, je weiter und länger das Paar auseinander gerissen war. Er in einer SS-Eliteeinheit an der Front im finnischen Karelien, dann im französischen Lazarett und zuletzt in US-Kriegsgefangenschaft. „Mein Vater hatte eine große Karriere vor sich, bis zu einer schweren Verwundung.“ Sie wartete daheim in der westmittelfränkischen Provinz. „Man kann von einer intensiven Trennung sprechen.“

Es ist der ungefilterte Blick, die subjektive Perspektive, die dafür sorgt, dass die tiefe Liebe zueinander und der kleinbürgerliche Alltag alles andere aus dem Blickfeld geraten ließen. Kaum ein Wort über die Wirklichkeit, in der täglich tausende Unschuldige starben. „Es war Nacht geworden um uns beide. Nur Du und ich.“ Die Flucht ins private, kleine Glück. Es ist der Versuch, zu verstehen, wie jemand als junger Mensch mit neun Jahren „vom Sog der nationalsozialistischen Früherziehung ergriffen“ werden konnte. „Die Gehirnwäsche ist nicht zu unterschätzen. Sie wurden von Beginn an geformt, vom Pimpf bis zum Leutnant.“

Wie sie funktionierte, demonstrierte Bernhard Gehringer in einem zweiten Buch. In ihm hat er Tagebuchaufzeichnungen und Zeitungstexte aus der Tageszeitung „Fränkischen Anzeiger“ zu einem vielstimmigen Chor montiert.

Da ist von antisemitischen Schautafeln an den Stadttoren Rothenburgs die Rede, von Touristenscharen der „Kraft durch Freude“-Organisation, von Fliegerangriffen und Verdunkelung. Irgendwo zwischen alltäglicher Zahnpasta-Werbung, dem Hinweis auf die Vorteile der Ziegenhaltung und der Ankündigung eines Chorkonzertes des Führerchores der Ordensburg Sonthofen findet sich 1938 der Hinweis, dass Rothenburg „judenfrei“ sei.

„Mit 19 bin ich von zu Hause weg. Es war unerträglich.“ Heute lebt Bernhard Gehringer, der vor seiner Pensionierung in Nürnberg, Den Haag und Schweinfurt Deutsch unterrichtet und Lehrer darin ausgebildet hat, in Bamberg. „Ich habe meinem Vater nie etwas von mir zu lesen gegeben.“ Er hätte es wohl auch nicht verstanden.

In den Atempausen, die Bernhard Gehringer braucht, spielt Finn Mohren (Schweinfurt) am Konzertflügel, nachdem er seine Handschuhe abgestreift hat. Etwas aus Bachs „Wohltemperiertem Klavier“.

Bernhard Gehringer, Die verschnürten Briefe. Geschichte einer Jugendliebe, 404 Seiten, Hardcover mit Fadenheftung, 29,60 Euro und „Und dann will ich dein sein. Eine Spurensuche“, Taschenbuch, 188 Seiten, 19,80 Euro sind direkt beim Autor unter Tel. 0951-96 84 44 04 erhältlich. Mehr dazu auch unter www.bernhard-gehringer.de

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