Erlangen: Arbeitslose reden bei Vermittlung mit

2.12.2016, 06:00 Uhr
Erlangen: Arbeitslose reden bei  Vermittlung mit

© Archivfoto: dpa

Das Projekt könnte Schule machen. Denn auf die Idee, Bezieher von Arbeitslosengeld (Alg) II (gemeinhin als Hartz-IV-Empfänger bekannt) selbst über ihre schwierige Lage reden und sie Verbesserungsvorschläge bei der Job-Vermittlung einbringen zu lassen, ist bisher kaum jemand gekommen.

Das hat die Stadt Erlangen jetzt mit einem einzigartigen Modellprogramm, das mit einem Bündel von Maßnahmen die Langzeitarbeitslosigkeit bekämpfen soll, begonnen. Eine Wesentliche davon ist eben die Beteiligung der Betroffenen an Workshops und Arbeitsgruppen zu genau diesem Thema.

Und schon jetzt, nach den ersten Sitzungen, zeichnen sich Erfolge ab. Zum Beispiel für Ursula B. Die frühere Siemens-Mitarbeiterin ist seit mehreren Jahren arbeitssuchend. Auf Grund von körperlichen und psychischen Erkrankungen könnte die 53-Jährige, wie sie sagt, „höchstens halbtags“ einer Beschäftigung nachgehen. Das alles macht eine Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt schwierig. Die verzweifelte Suche nach einer Stelle hat an Ursula B’s Selbstbewusstsein genagt. „Man fühlt sich nutz- und wertlos“, sagt sie.

Mit der ungewöhnlichen Offensive gegen Langzeitarbeitslosigkeit aber hat die Erlangerin wieder ein Betätigungsfeld: Sie ist eine von zehn Betroffenen, die sich mit Vertretern von Stadt und dem Netzwerk „Ratschlag für soziale Gerechtigkeit“ (ein Bündnis aus gewerkschaftlichen, kirchlichen, parteipolitischen Gruppen sowie Wohlfahrtverbänden) um effektivere Vermittlungsmöglichkeiten bemühen. Schon die vergangenen Treffen haben Ursula B. Mut gemacht und sie zu neuer Kraft motiviert: „Das kann sich jemand, der nicht arbeitslos ist, schlecht vorstellen, aber man kommt nicht in die Gänge, man sitzt auf dem Sofa und wird immer träger.“

In den Anti-Couch-Verein

Diese Abwärtsspirale will das breite Bündnis auch mit Unterstützung der Arbeitgeber jetzt durchbrechen. Eine Initiative etwa setzt ganz niederschwellig an und will dem entgegenwirken, was Ursula B. so offen und eindrucksvoll schildert: die zunehmende Passivität und Motivationslosigkeit von Hartz-IV-Empfängern. Ein Anti-Couch-Verein soll Betroffene künftig in den Momenten auffangen, in denen sie das Haus gar nicht mehr verlassen wollen. Dazu, so sehen es die Pläne vor, werden so genannte Mittler eingesetzt, die in den Stadtteilzentren, also vor Ort, mit den Betroffenen ins Gespräch kommen sollen. Diese Berater helfen den Langzeitarbeitslosen bei Problemen weiter, arbeiten selbst eng mit den Jobvermittlern zusammen und geben Informationen, etwa zu Gesundheit und Bewegung.

Denn sportliche Aktivitäten gehen weit über das rein Körperliche hinaus. Sobald sich Langzeitarbeitslose regelmäßig zu Turn- oder Schwimmstunden verabreden, erhalten sie für ihren Alltag wieder Struktur — und das tut auch der Psyche gut. Auch diese Erfahrung hat Ursula B. gemacht.

Zsuzsanna Majzik kennt den Zusammenhang von Körper und Geist. Die Mitarbeiterin des Sportamtes wird bei den konzertierten Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit als Beraterin für Beteiligungsprozesse tätig sein — also die Bereiche betreuen, die auf die Zusammenarbeit mit Hartz-IV-Empfängern setzen.

Dieser Ansatz ist neu und innovativ, aber nicht der einzige, den Sozialbürgermeisterin Elisabeth Preuß, der DGB-Kreisvorsitzende Wolfgang Niclas und IHK-Chef Patrick Siegler bei einem Pressegespräch vorstellen. So sollen die Strukturen und Kompetenzen der Gesellschaft zur Förderung der Arbeit (GGFA) geändert und die Briefe an Langzeitarbeitlose verständlicher werden.

Insgesamt soll sich die Zahl der mehr als 1000 Langzeitarbeitslosen in der Stadt verringern und die Integration in den Arbeitsmarkt besser funktionieren. „Die Vermittlung in Erlangen“, sagt DGB-Chef Niclas, „ist nicht schlechter als woanders, aber bisher immer noch unbefriedigend“.

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