Erlangen: Fehlt Schulen das Verständnis für Jungen?

28.6.2016, 12:00 Uhr
Erlangen: Fehlt Schulen das Verständnis für Jungen?

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Herr Karl, wundern Sie sich, wenn so viele Lehrerinnen und Lehrer in ihre Workshops kommen?

Peter Karl: Nein, gar nicht. Denn viele Schulleiter sagen mir, dass sie heute 80 bis 90 Prozent der Probleme an ihren Schulen mit Jungs haben. Da geht es um Verhaltensproblematik, um Lernmotivation, herausforderndes Kontaktverhalten, brachiale Konfliktlösungsmuster oder um Rückzug und Passivität. Lehrerinnen und Lehrer arbeiten sich zum Teil an diesem veränderten Jungenverhalten auf, leiden oder sind ratlos und überfordert mit dieser Problematik. Und es wird auch zunehmend klarer, dass unsere Jungs in Schwierigkeiten sind.

Die Jungs in Schwierigkeiten? Was ist bei ihnen denn anders als früher?

Peter Karl: Ihre Welt hat sich deutlich verändert. Zum einen haben sich die Mütter verändert, sie sind überfürsorglich, erziehen damit unabsichtlich zur Unselbstständigkeit und zur Egozentrik, und damit zur Anspruchshaltung und Verweichlichung, zu mangelnder Verantwortung und Einsatzbereitschaft für notwendige Aufgaben.

Erlangen: Fehlt Schulen das Verständnis für Jungen?

© Harald Sippel

Zum anderen fehlen oft die Väter mit ihrem Verständnis für die Jungen, wie auch mit dem Einfordern von Einsatz und Verantwortung. Und noch etwas ist anders: Wir haben einen mächtigen Miterzieher — die Medien und die Technik. Das führt zu einem Mangel an Körperbewegung und Körpererfahrung, zu einem Mangel an Sozialkontakten und auch zu einem mangelnden Umgang mit Spannungen.

Und was ist mit den Lehrern? Warum fällt es ihnen so schwer, damit klar zu kommen?

Peter Karl: Das Problem ist, dass wir eine Tendenz zur Feminisierung der Pädagogik haben — auch zum Teil bei den männlichen Lehrern.

Was heißt das?

Peter Karl: Gefragt sind Anpassung, Vernünftigsein. Es bedeutet auch: über alles reden müssen, alles muss ordentlich sein. Aber das entspricht oft nicht der natürlichen Vitalität von Buben. Diese sind häufig mehr aktionsorientiert, sie haben Freude an Risikoverhalten und an Tatkraft, sie zeigen Mut, Provokation dient oft zur Kontaktaufnahme. Das Schmerzliche für Jungen ist, dass viele ihrer archetypischen Verhaltensweisen und Fähigkeiten vorschnell als Problem erlebt beziehungsweise problematisiert werden. Damit fühlen sich Jungen nicht verstanden, ihr hohes Gerechtigkeitsempfinden ist verletzt – und sie ziehen sich immer mehr zurück, „fliehen“ aus der Realität in ihre virtuellen Welten, wo sie sich als handelnd und mächtig erleben können.

Was sind Ihre Lösungsvorschläge?

Peter Karl: Die Lehrer, Schulen insgesamt sollten grundsätzlich über ihre Sicht auf Jungen nachdenken und den Schritt zu einer geschlechtersensiblen Pädagogik wagen. Denn viel von dem, was Lehrer stresst, ist natürliches Verhalten oder ein Versuch, Aufmerksamkeit zu erhalten. So ist zum Beispiel die eher körperorientierte Kontaktform und spielerisches Raufen ein Akt der Brüderlichkeit und Freundschaft. Es ist eine große Lücke in der seelischen Entwicklung, dass wir eine der wichtigsten Bubenlebensformen verbieten. So lernen die Jungen heute ihre Kraft nicht kennen. Das fehlt ihnen später, wenn sie junge Erwachsene sind.

Und was können Lehrer machen, um Jungen besser zu fördern?

Peter Karl: Die Wertschätzung von Jungs ist die Grundlage und Ausgangsbasis. Und natürlich ist es hilfreich, wenn Jungen zu einem Lehrer Vertrauen haben, ihn als Autorität, Vorbild, Motivator und Schiedsrichter akzeptieren. Der Kernbegriff ist „liebevolle Autorität des Lehrers“. Denn: Ohne Beziehung keine Erziehung!

Darüber hinaus müsste aber auch konzeptionell in Unterrichtsgestaltung und Schulstruktur einiges geändert werden. Doch davon sind wir noch weit entfernt.

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