Flüchtlinge in Erlangen: "Lauter gute Jungs" im Frankenhof

8.10.2015, 18:08 Uhr
Flüchtlinge in Erlangen:

© Harald Sippel

Zum Abschied gibt es eine Umarmung. „Mach’s gut“, sagt Matthias Locher zu einem Jugendlichen vor dem winzigen Büro der Clearingstelle im Frankenhof. „Geh’ deinen Weg.“

Für den Mitarbeiter des Jugendamtes beginnt am nächsten Tag der wohlverdiente Urlaub. Danach wird er im gleichen Amt aus der Suchtberatung in eine Stelle im neu geschaffenen Arbeitsbereich „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ wechseln. Für den jungen Flüchtling hingegen ist noch nicht ganz so klar, wie es weiter gehen wird. Eines aber ist sicher: Erst einmal wird er in der Obhut des Erlanger Jugendamtes bleiben.

In der Obhut des Jugendamtes

Es ist gesetzlich vorgegeben, dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gleichgestellt werden mit deutschen Jugendlichen, die Jugendhilfe brauchen. Und das heißt, dass sie in der Obhut eines Jugendamtes sind, das sie beispielsweise in einer Pflegefamilie, einem Heim oder einer Wohngruppe eines Jugendhilfeträgers unterbringt. Zuvor kommt allerdings ein Aufenthalt in einer Clearingstelle, in der etwa geklärt wird, wie alt die Jugendlichen sind, welche Schulbildung sie haben - und ob es nicht irgendwo im Land Verwandte gibt.

Bisher gab es, unter anderem in Nürnberg, von freien Trägern der Jugendhilfe betriebene Clearingstellen. Im Juli wurde nun auf Wunsch der Regierung von Mittelfranken im Frankenhof in Erlangen eine Clearingstelle mit 25 Plätzen eingerichtet, die zugleich Notaufnahmestelle ist. Betrieben wird sie von Mitarbeitern des Jugendamtes. Fünfeinhalb Planstellen wurden dafür geschaffen, neue Mitarbeiter eingestellt.

Doch weil dies Vorlaufzeit brauchte, sprangen altgediente Jugendamtsmitarbeiter aus verschiedenen Bereichen ein. „Es musste wahnsinnig viel improvisiert werden“, sagt Christian Held. Der Leiter des Sachgebiets Besondere Soziale Dienste lobt das Engagement derer, die Überstunden machten, Urlaube verschoben, das Unmögliche möglich machten. „Wir haben bis zu 30 Leute in wechselnden Schichten koordiniert.“

Erschöpft und euphorisch

Koordinator war Matthias Locher, der an seinem letzten Tag in der Clearingstelle so wirkt wie nach einem Marathonlauf. Erschöpft, aber immer noch getragen von Euphorie. „Für uns war es eine Herausforderung“, sagt er. „Und auch für die Jungs war es eine große Leistung.“

„Das sind lauter gute Jungs“, sagt Lochner entschieden. Die meisten sind zwischen 16 und knapp 18 Jahre alt, viele stammen aus Syrien, manche aus dem Irak, Äthiopien, Pakistan. Da sei es klar, dass man ihnen noch viel vom hiesigen Leben vermitteln müsse. Gleichzeitig, „wenn man sich so reinfühlt in die Jungs“, spüre man bei ihnen eine große Dankbarkeit, aber auch eine große Ungewissheit darüber, wie es für sie weiter gehe.

„Die haben keine Eltern!“ Diese Tatsache steht für Lochner - und mit ihm alle anderen, die sich engagieren - immer unübersehbar im Raum. Er sieht sich als Anwalt der Jugendlichen. „Diese jungen Leute bringen unserer Gesellschaft etwas“, ist Lochner sich sicher.

Neue Aufgabe für Jugendhilfe

19 Jugendliche werden nun von der Clearingstelle in die beiden Wohngruppen von „Step“ in einem anderen Trakt des Frankenhofs überstellt. Die Jugendhilfeeinrichtung hat dafür eigens neues Personal eingestellt und mit der Betreuung von Flüchtlingen eine neue Aufgabe innerhalb der Jugendhilfe übernommen. „Das ist gerade da - dieser Anforderung stellen wir uns jetzt“, fasst die Projektleiterin Inge Altenbuchner zusammen, wie die Anstrengungen der letzten Wochen bewältigt wurden.

Doch auch wenn alle an der Herausforderung gewachsen sind, so ist doch klar, dass noch viel bevorsteht. So sei der Stadt Erlangen am Jahresanfang von der Regierung von Mittelfranken mitgeteilt worden, dass sie 89 Plätze für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge anbieten müsse, so Held. Seit kurzem wisse man, dass es 120 Plätze werden. „Das heißt konkret, dass wir ab 26. Oktober bis Jahresende alle zwei Wochen 15 Jugendliche bekommen.“ Entlastung verspricht die bundesweite Verteilung ab 1. Januar.

Kapazitäten sind ausgeschöpft

Inzwischen sind in Erlangen die Kapazitäten für betreutes Wohnen beziehungsweise Wohngruppen ausgeschöpft, weiß man im Jugendamt. „Wir brauchen dringend Unterbringungsplätze“, sagt Held. Doch nicht nur die Räume fehlen. Genauso fehlt den Jugendhilfeträgern das Personal. Und auch an Schulplätzen für die Jugendlichen mangelt es. Die drei Flüchtlingsklassen an der Berufsschule sind voll, eventuell werden zum zweiten Halbjahr zwei weitere Klassen eröffnet. Doch bis dahin?

Für Jugendliche, die nicht in die Schule gehen, ist vormittags zusätzliches Personal bei den freien Trägern nötig. Und wenn keine weiteren Wohngruppen mehr eingerichtet werden können, wird es in der Clearingstelle einen „Stau“ geben. Mit entsprechenden Folgen: Platz- und Personalbedarf.

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