Erlangen: Mahnmal für junge "Euthanasie"-Opfer

19.4.2018, 18:00 Uhr
Erlangen: Mahnmal für junge

© Harald Sippel

Seit genau 20 Jahren ist Prof. Wolfgang Rascher der Direktor der Erlanger Kinder- und Jugendklinik – und fast genauso lange befasst sich der 68-Jährige mit der dunklen NS-Vergangenheit des Universitätsklinikums. Vor knapp zwei Jahren war er gemeinsam mit Johannes Mann, dem Pfarrer der Hugenottenkirche, und Prof. Karl-Heinz Leven (Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin) die treibende Kraft, dass eine bundesweite Ausstellung zu den NS-Vernichtungsprogrammen vor Ort nicht nur gezeigt wurde. Vielmehr wurde die Schau durch ein eigenes Kapitel zur Erlanger Rolle in dieser Zeit eindrucksvoll ergänzt.

Nun, da Rascher in wenigen Monaten in den Ruhestand geht, dürfte ein Herzenswunsch für ihn in Erfüllung gegangen sein: Endlich nämlich erinnert ein Denkmal direkt vor dem Eingang der Kinderklinik an jene 20 Jungen und Mädchen, die zwischen 1942 und 1945 als Patienten der Uniklinik in der sogenannten Kinderfachabteilung Ansbach verstarben.

Bei elf Mädchen und Jungen gilt es als sicher: Sie wurden von NS-Ärzten mit dem Medikament Phenobarbital (Luminal) getötet, oder, wie Rascher in seiner bewegenden Rede sagt, "die Überdosis an Schlafmitteln nahm ihnen die Kraft zum Atmen". Die anderen neun Kinder fielen ebenfalls dem von den Nazis mit dem beschönigenden Begriff "Euthanasie" bezeichneten Programm (aus dem Griechischen: "schöner Tod") zum Opfer.

Aber dieser Tod war alles andere als schön, sondern grausam und qualvoll. Obwohl das heute jeder weiß, erschüttern die Sätze bei der Gedenkstunde in der Kinderklinik doch aufs Neue. Vor allem das Schicksal der dreijährigen Ursula Kurze. Rascher greift sie, stellvertretend für alle in Ansbach getöteten jungen Erlanger Patienten heraus, um die Menschenverachtung der NS-Kinderärzte zu zeigen.

Mutter mit Pflege überfordert

Das Mädchen kam als Frühgeburt auf die Welt und entwickelte sich nicht altersgemäß. Die Erlanger Kinderärzte diagnostizierten eine "apathische Idiotie". Heute, sagt Rascher, würde man das eine "psychomotorische Retardierung" nennen. Das Erschütternde, das das ganze Ausmaß der Verblendung zeigt, ist die Reaktion der Mutter: Auf ihr Drängen sollte das Mädchen Anfang 1943 in ein Pflegeheim verlegt werden, da sie mit der Betreuung überfordert war und, wie Rascher sagt, "dem Staat noch weitere gesunde Kinder schenken wollte".

Die Erlanger überwiesen das Kind an die Ansbacher Tötungsanstalt, wo Ursula Kurze Anfang November 1943 starb — getötet mit dem Schlafmittel Phenobarbital (Luminal). Ihr Name und der von 19 weiteren kranken und behinderten Kindern, die die Erlanger damals in die Ansbacher Tötungsanstalt überwiesen, steht nun auf der Granittafel in der Loschgestraße. "Ihre Leidensgeschichten wurden nie öffentlich gemacht", sagt Pfarrer Mann, "ihre Namen nie ausgesprochen". Nun aber gebe die Gedenkstele den Opfern einen Namen.

Das hebt auch der Ärztliche Direktor des Universitätsklinikums, Prof. Heinrich Iro, hervor: "All dieser Kinder soll mit dem Denkmal gedacht werden." Es veranschauliche, was eine Ideologie auslösen kann und wozu Menschen fähig sein können. Mit diesem Gedenkstein, den der Oberpfälzer Künstler Peter Kuschel entworfen hat, bekenne sich die Uniklinik ganz klar zu ihren Verfehlungen und ihrer schweren Schuld während der Nazi-Herrschaft, betont Rascher.

Dabei blickt der Direktor nicht nur zurück, sondern auch nach vorn: "Dass dieses Mahnmal direkt am Eingang der Kinder- und Jugendklinik steht, unterstreicht das Anliegen des Uniklinikums, seine geschichtliche Schuld nicht nur anzuerkennen", sagt Iro, "wir müssen daraus auch eine besondere Verantwortung ableiten — für die Gegenwart und die Zukunft".

Keine Kommentare