Erlangen: Über die Erschaffung von Welten

4.6.2018, 11:00 Uhr
Erlangen: Über die Erschaffung von Welten

© Stefan ößler-Rademacher

Vielleicht hatte sich der Journalist verhört. Oder Jeff Lemire hatte sich den falschen Namen gemerkt. Zumindest stand vor ein paar Wochen in einem US-Comicmagazin ein Lob des kanadischen Künstlers für einen Richard Kleist. Der habe einen interessanten Comic über Nick Cave gemacht.

Es bedeutet tatsächlich was, wenn ein bekannter Zeichner wie Lemire ein Lob für einen Comic aus Deutschland ausspricht, schließlich arbeitet er in der gigantischen Maschinerie der nordamerikanischen Comic-Industrie mit DC und Marvel, die einen hohen zweistelligen Millionen-Umsatz jedes Jahr generiert. Nur: Es war eben Reinhard Kleist, der diesen Comic zeichnete.

Und der Name des 48-jährigen Zeichners aus Berlin gehört längst bei der deutschen Leserschaft zu den bekannten Größen, spätestens seit seinem Comic über das Leben von Johnny Cash. Dessen Biographie transformierte Kleist in seinen eigenen Erzählstil, verschob die Grenzen zwischen Fiktion und Fantasie.

Schon bei der Veröffentlichung vor zwölf Jahren jubelte das Feuilleton, der richtige Comic zur richtigen Zeit, der es vor allem in die Buchhandlungen schaffte und die Graphic Novel als Begriff in die öffentliche Debatte brachte. Endlich sei der Comic erwachsen, schrieben diverse Journalisten damals und sahen mit Kleists Comic den Beweis erbracht. Allerdings verkannten sie, dass der Comic als Kunstform da auf mehrere Jahrzehnte an Geschichte zurückschauen konnte.

Letztlich bewiesen diese Statements so vor allem die Ignoranz der jeweiligen Redakteure und weniger die Qualität von Kleists Werken. Dessen frühe Veröffentlichungen in den 90er Jahren zeugten bereits von seinem erzählerischen Können und seinem außergewöhnlichen Strich. Kleists Zeichnungen und sein Gefühl für Rhythmus entwickeln so eine packende Dynamik.

In den letzten Jahren arbeitete er damit an biographischen Stoffen, etwa in den Comics "Castro" und "Der Boxer". Aber: Wie viel kann ein Künstler noch von sich selbst in dieser Form ausdrücken? "Bei dem Comic über Nick Cave ist ziemlich viel von mir drin, habe ich bemerkt", sagte Kleist in einem Interview. "Es geht ja in dieser Geschichte um das Erschaffen von Welten als Künstler und – damit verbunden – so eine Art Gottgleichheit." Und das macht Kleist die ganze Zeit mit seinen Geschichten, er lässt seine Versionen und Vorstellungen von verschiedenen Leben entstehen, setzt die Teile zusammen. "Das ist das, was mich am meisten fasziniert beim Lesen von Comics und Büchern oder Hören von Songs: Wenn Welten entstehen, in denen man sich verlieren kann, wenn die Figuren lebendig werden. Das ist schon immer mein Ziel gewesen."

Am Freitagabend erhielt Reinhard Kleist den Max-und-Moritz-Preis in der

Kategorie "Bester deutschsprachiger Comic-Künstler", vor mehr als zwanzig Jahren erhielt er den Preis schon einmal für eines seiner ersten Werke: "Lovecraft", eine Geschichte über einen Comickünstler, der eine Biographie über den bekannten Horrorautoren zeichnen will. Die Parallele zur Wirklichkeit hier: Kleist hat mittlerweile seine eigene Form des Erzählens gefunden – die gezeichnete Biographie.

"Ich bleibe bei den Biographien, weil es mich interessiert, aber ich suche nach anderen Figuren oder probiere neue Stile aus. Ich könnte mir nicht vorstellen, ein ganzes Leben Asterix zu zeichnen. Was das Geld betrifft: natürlich gerne. Aber künstlerisch würde mich das nicht interessieren. Ich will schon immer weitergehen." Die Leser dürfen auf den weiteren Weg gespannt sein.

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