Erlangen: Um neun Klassen und viele Erfahrungen reicher

28.4.2017, 15:00 Uhr
Erlangen: Um neun Klassen und viele Erfahrungen reicher

© Harald Sippel

Manchmal wirken sie so, als könnten sie kaum selbst glauben, was hier geschafft wurde. Wenn Roland Topinka, Leiter der staatlichen Berufsschule Erlangen, auf die letzten beiden Jahre zurückblickt, scheint es, als ob er einen Marathonlauf absolviert hätte. Matthias Freitag, als Lehrer bis vor kurzem an der Schule für die Berufsintegrationsklassen zuständig und seit Anfang 2016 bei der Regierung von Mittelfranken als Koordinator für die Berufsintegration berufsschulpflichtiger Asylbewerber und Flüchtlinge zuständig, geht es nicht anders.

Neun Klassen für Flüchtlinge und Asylbewerber hat die Erlanger Einrichtung heute, vor März 2015 gab es keine einzige. 180 solcher Klassen sind es in Mittelfranken, hinzu kommen 14 Klassen in Erstaufnahmeeinrichtungen. "Das entspricht neun Mittelschulen", sagt Roland Topinka. "Da hat man schon was auf die Beine gestellt."

Und man hat "alles aus dem Boden stampfen müssen", so der Schulleiter. Die Vorgaben: die Sprache fördern, die Integrationsbereitschaft fördern, die Ausbildungsfähigkeit fördern. "Man muss das realistisch sehen", sagt Roland Topinka. "Dass wir das in fünf Jahren hinkriegen, davon geht niemand mehr aus." Eine Integrationsphase von zehn Jahren sei dagegen viel wahrscheinlicher. Dann seien die meisten der jungen Leute Ende 20 — ein Alter, bei dem man davon ausgehen könne, dass sie als Arbeitnehmer noch viele Jahre lang eine Stütze der Gesellschaft seien.

"Wir müssen die Erfahrungen auswerten, die wir in den ersten beiden Jahren gemacht haben", sagt Roland Topinka. Das heißt auch: Man weiß nun, dass man auf das Bildungsniveau der Flüchtlinge besser eingehen muss. Ohnehin musste das erst einmal genau ermittelt werden. Dass Flüchtlinge aus dem arabischen Raum bei ihrer Flucht keine Zeugnisse mitbringen konnten oder diese nicht aussagekräftig sind, weil beispielsweise im Bürgerkrieg in Syrien oftmals die Vermittlung von Bildung schlichtweg nicht stattfinden konnte — auch das weiß man heute. Und dass der Bildungsstand bei denen, die später kamen, meist niedriger war als bei der ersten "Flüchtlingswelle". Das Wissen in Mathematik beispielsweise sei häufig höchstens auf dem Stand der dritten Klasse Grundschule.

"Wir haben die Herausforderung, die Schüler so zu unterstützen, dass sie nach zwei Jahren in eine Ausbildung gehen können", sagt Topinka. Klar ist, dass die Betriebe, die Kammern und die Berufsschule dabei zusammenarbeiten müssen.

Es sei, da ist er sicher, ein großer Schritt von einer Berufsintegrationsklasse in eine Fachklasse mit ihrer jeweiligen Fachsprache. Zwar könnten viele der jungen Asylbewerber schnell relativ gut Deutsch sprechen, doch im Schriftlichen hapere es. Deshalb überlegen die Kammern, ob sie ihre Prüfungsaufgaben in Leichter Sprache formulieren können. Und deshalb wird an der Berufsschule jetzt auch ein Förderkurs "Berufssprache Deutsch" angeboten, der mit Texten aus den jeweiligen Fachbereichen vertraut macht. Von 40 Azubis mit Sprachförderbedarf haben sich 20 angemeldet.

Handwerk sehr interessiert

Einsichten und Erfolge gibt es also viele. Einschränkend stellt Topinka jedoch fest: "Die Berufsintegration ist nur erfolgreich, wenn es dann in die Ausbildung geht und diese fertig gemacht wird. Da aber haben wir in Erlangen noch keine Erfahrung."

Das Interesse, die Schüler in diese Ausbildung zu bringen, ist nach wie vor groß. "Speziell das Handwerk hat in vielen Bereichen Probleme, Bewerber zu finden", konstatiert Topinka. Zwar sind weder Gastronomie noch Pflege — wo der Fachkräftemangel besonders groß ist — unter den 23 Ausbildungsberufen, die die Erlanger Berufsschule anbietet. Dafür aber werden beispielsweise angehende Maler und Friseure unterrichtet, und auch der Bereich Sanitär/Heizung/Klimatechnik ist in Erlangen angesiedelt. Da die Sprache hier keine Hürde sei, hätten Asylbewerber gute Aussichten, in diesen Bereichen die Ausbildung erfolgreich zu beenden, zeigt sich der Schulleiter überzeugt.

Eine Einschränkung schickt Matthias Freitag jedoch hinterher. "Ich denke, dass wir mit drei Jahren Ausbildung in den meisten Fällen nicht hinkommen." Das sei noch zu klären, fügt Topinka hinzu. Die Betriebe müssten mitspielen.

Die Chancen dafür stehen gut. Denn die meisten Betriebe, die Asylbewerber als Azubis haben, sind überzeugt von deren Potenzial. Ihm sei der Fall eines Arbeitgebers bekannt, der einem Azubi, der einen Abschiebebescheid erhalten hat, die Rechtsanwaltskosten bezahle, damit dieser eine Aufenthaltsgenehmigung bekomme, sagt Topinka.

Die derzeitige Abschiebepolitik macht den Asylbewerbern sehr zu schaffen und hat auch die Situation in der Berufsschule grundlegend verändert — auch wenn, wie Topinka sagt, "unsere Schüler alle noch da sind, auch wenn sie einen Abschiebebescheid oder ein Anhörungsverfahren haben." Das Unterrichten ist seitdem jedenfalls nicht leichter geworden. "Die Abschiebepolitik führt zu Unruhe in den Klassen", sagt Michael Freitag.

Und ein weiteres Problem gibt es: Dass die Berufsintegrationsklassen eigentlich nicht wirklich auf Integration angelegt sind, weil sie sich im Hinblick auf Geschlecht — männlich — und Sprache — arabisch — aus einer weitgehend homogenen Schülerschaft zusammensetzen: In einigen Klassen sind 60 Prozent Syrer und 30 Prozent Iraker. Gut ist es, wenn auch mal Schüler beispielsweise aus osteuropäischen Ländern dabei sind, weil dann untereinander Deutsch gesprochen wird. Im Arbeitsleben, so viel steht fest, findet Integration schneller statt als in der Schule. Oder in der Freizeit. Der Rat der Schule an die Flüchtlinge: Schließt euch einem Verein an!

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