Erlangen: Widerstand gegen die Gesundheitsdiktatur

27.9.2016, 18:00 Uhr
Erlangen: Widerstand gegen die Gesundheitsdiktatur

© Björn Hickmann

Es herrscht Unordnung im Kopf von Mia. Einer Frau, die eigentlich klar denkt und sich selten auf ihre Gefühle verlässt. Doch seit sich ihr Bruder – der auf Grund eines DNA-Beweises für einen Sexualmord verurteilt wurde, obwohl er stets seine Unschuld beteuert hatte – umgebracht hat, ist für die Wissenschaftlerin alles anders geworden. Sie beginnt an sich zu zweifeln und vor allem verliert sie den Glauben an den Staat, der sie treu umsorgt. „Gesundheit ist die erste Bürgerpflicht“ lautet das Motto in der Zukunftsvision, die von Juli Zeh fürs Theater und als Roman erschaffen wurde. Als Gastspiel des Rheinischen Landestheaters Neuss war „Corpus Delicti“ nun am Markgrafentheater zu sehen.

Es ist eine sehr plakative Inszenierung, die Bettina Jahnke hier auf die Bühne bringt. Das Wirrwarr in Mias (Linda Riebau steigert sich in ihrer Darstellung von Szene zu Szene) Kopf taucht mit hektischen Bildern als Video-Einblendung auf, dazu gibt es laute Sound-Fetzen. Selbstgespräche werden mit der „idealen Geliebten“ (sehr zurückhaltend: Johanna Freyja Iacono-Sembritzki), die unter den Geschwistern quasi weitergereicht wurde, geführt. Und immer wieder taucht für Rückblenden Josia Krug als Bruder auf.

Eingebettet sind diese inneren Konflikte in einer Krimi-ähnlichen Handlung, die in einem Deutschland spielt, das sich zu einer Gesundheitsdiktatur entwickelt hat. Die „Methode“ hat die Kontrolle über die Menschen übernommen, die Freiheit des Einzelnen wurde nahezu komplett den neuen Idealen geopfert. Der Zuschauer trifft hier auf Vertreter des Staates, denen Gefühlsregungen fremd geworden sind, und auf Menschen, deren Aufbegehren zögerlich ist. Mias persönlicher Kampf wird aber schließlich zu einem politischen. Eine Wandlung, die fürs Publikum nach einer kurzen Eingewöhnungsphase an den Rhythmus der Inszenierung nachvollziehbar ist. Juli Zehs Vorlage verfügt zudem über einen durchaus spannenden Aufbau — inklusive überraschender Wendungen. Und am Ende bleibt die große Frage: Ist Widerstand zwecklos?

Keine Kommentare